Die Last meiner eigenen Gegenwart

Was ist schön? Die Frage ist tausende von Jahre alt, und die Antworten darauf, was das Schöne sei, verändern sich mit den Epochen. Was Schönheit oder gutes Aussehen heute ist, sagt uns vor allem die Werbung. Alexandra Kleeman greift in ihrem Debütroman „A wie B und C“ die Rolle der weiblichen Schönheit und deren Kommerzialisierung auf und schreibt über das Verstörende einer Kultur, die von Frauenkörpern besessen ist.

ABC

Die junge US-Autorin ist 29 Jahre alt und lebt in New York City, ihre Texte erschienen bereits in prestigeträchtigen Magazinen wie Harpers, n+1 und dem New Yorker. Für ihr Debüt wurde sie bereits mit dem Bard Fiction Prize 2016 ausgezeichnet.

In ihrem Roman entwirft Kleeman eine unheimliche wie verstörende 21. Jahrhundert-Dystopie über eine moderne Konsumgesellschaft voller Beauty-Rituale und Hautpflege-Marketing Kampagnen. Wir erleben und beobachten diese Welt durch die Augen von A, einer melancholischen jungen Frau, die ein zurückgezogenes, fast schon geisterhaftes Leben führt und von ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin B überfordert ist. B schleicht nachts durchs Haus, trinkt zu viel Zitronenwodka und verübelt A ihre Abwesenheiten. Sie scheint nicht überlebensfähig, sie ist ängstlich und möchte so sein wie A.

Je mehr wir uns sahen, desto mehr vermisste mich B. Unter ihrem Blick spürte ich ständig die Last meiner eigenen Gegenwart und wurde es langsam leid (. . .) und wartete deshalb jeden Tag ein wenig länger, bevor ich aus meinem Zimmer kam. Ich zögerte es hinaus, mein Lebenskonstrukt wieder zu betreten.

Sowohl A als auch B haben ein sehr ausgeprägtes Körperbewusstsein, ernähren sich ausschließlich von Orangen und Wassereis und sehen sich zum Verwechseln ähnlich. A ist sich sicher: „Wenn man uns auf eine Liste Adjektive reduzieren würde, käme bei uns wohl fast das Gleiche heraus“. Auch teilen sie Interessen: Beide lieben Fernsehwerbungen und Reality-Shows, die neusten Outfits und Kosmetikartikel. Ihre symbiotische Beziehung bricht auseinander, als sich B ihre langen Haare abschneidet, welches immer das Haar gewesen war, wodurch man sie auseinanderhalten konnte. Durch Bs äußerliche Verwandlung gerät A in eine existentielle Identitätskrise.

Dann wäre da noch C, der Freund von A. An Tagen, an denen es A mit ihrer besten Freundin nicht mehr aushält, dient seine Wohnung als idealer Zufluchtsort. C lebt nach dem Lustprinzip, ist absolut egozentrisch und chronisch desinteressiert. Für ihn ist A nur ein Accessoire, etwas, das zu seiner Belustigung beiträgt.

Die Handlung schreitet nur sehr schleichend voran. Die Autorin legt dabei den Fokus auf unwichtige Details wie die Beschreibung von Werbespots, dem Schälen einer Orange oder der Einrichtung eines Supermarktes. Philosophierende Gedanken über körperliche Prozesse, wie beispielsweise „Innerhalb des Körpers sind Gedanken, die nie Luft spüren, nie Helle sehen und in einem erdrückenden Dunkel enden“, wirken schwülstig und deplatziert. Auch die Charaktere sind nur schwer greifbar. Kleeman zeichnet sie innerhalb dieser Pseudo-Disney-Welt zu blass, zu oberflächlich. Dass die Protagonisten statt Namen nur Buchstaben tragen, soll vermutlich eine Verallgemeinerung der Figuren auf die Gesellschaft implizieren. Die Autorin erzählt hier keine persönliche Geschichte, sondern beschreibt die Erfahrungen einer ganzen Generation.

Die Ich-Erzählerin verbringt außerdem sehr viel Zeit damit, Candy Cake – Werbespots zu beobachten und darüber nachzudenken. Candy Cakes sind massenproduzierte, überzuckerte Snack-Kuchen, die A schließlich zu der Vereinigung „Conjoined Eaters“ führt – die „neue christliche Kirche des vereinigten Essers“. Eine Sekte, in der alle Mitglieder als Geister verkleidet sind, sich dementsprechend verhalten und sich ausschließlich von Candy Cakes ernähren. Immer wieder werden Werbespots der Candy Cakes im Detail beschrieben. Es handelt sich hier um   beängstigende Szenen, die mit Slogans wie „Wir wissen, wer du wirklich bist.“ unterlegt sind. In den Spots versucht Candy Cat (eine Katze) stets die Süßigkeit zu fressen, scheitert jedoch immer wieder auf grausame, beunruhigende Art.

Die Sekte als ultimative Flucht vor der Realität und der scheinbare Rückzug aus der Konsumgesellschaft, der die Hauptfigur aber noch mehr in die Gefangenschaft des Konsumwahns treibt, wirkt zu plakativ und simpel. Dass A am Ende nicht vor sich selbst und der Welt weglaufen kann und die Flucht somit scheitert, ist vorsehbar. Nichts desto trotz hat Alexandra Kleeman eine ganz eigene Form von Konsum- und Gesellschaftskritik geleistet. Die ermüdenden Wiederholungen von Werbung, Markenartikeln und die Kritik an einer oberflächlichen Konsumdiktatur werden bewusst als Stilmittel eingesetzt, um den Lesefluss zu erschweren. Die Lektüre wirkt quälend, erzeugt aber zugleich eine einzigartige Dichte durch das völlig sinnleere Konsumieren der Figuren.

Die Autorin nutzt diese Geschichte, um uns einen Spiegel vorzuhalten. Wir (viele von uns) lassen uns durch Werbespots und Trends beeinflussen, suchen unsere Identität, kontrollieren teilweise exzessiv die Kalorien unserer Mahlzeiten. „A wie B und C“ ist eine Allegorie vieler Krankheiten unserer Zivilisation, von deren Heilung die Gesellschaft noch weit entfernt zu sein scheint. Alexandra Kleeman hat einen außergewöhnlichen ersten Wurf geleistet, der neben dem Aufwerfen der Identitätsfrage, vor allem Appetit macht. Appetit nach dem richtigen Leben im falschen.

Luisa Kaiser

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