Blogrundschau#2: (Never) Judge a book by its cover!

Von Sarah Ehrhardt und Lisa Heyse.

Never judge a book by its cover mal ganz wörtlich genommen – wir alle lassen uns doch mehr oder weniger bewusst oder unbewusst vom Äußeren eines Buches anziehen oder abstoßen. Wer hat sich nicht schon einmal dabei ertappt, die eigene Lektüre in der U-Bahn in einer ergonomisch denkbar ungünstigen horizontalen Position zu halten, nur damit das Cover dem Gegenüber nichts suggeriert, was nicht suggeriert werden soll? Unsere zweite Blogrundschau durchforstet das WWW nach Meinungen zum Buch als Gestaltungsobjekt. Was macht ein gutes Cover aus? Welche gestalterischen Möglichkeiten eröffnen sich im Falle des Buchs als Verbindungsglied zwischen Text und Bild jenseits der klassischen Umschlagpräsentation? Und warum ist das Buch als Design-Gegenstand auch bei Innenarchitekten heiß begehrt?

Für große Aufmerksamkeit hat in letzter Zeit nicht nur das außergewöhnlich gestaltete Buch Tree of Codes von Jonathan Safran Foer (litaffin berichtete), sondern auch das Projekt “All the world’s a page” gesorgt, das bei der Einweihung des Gemeinschaftsbüro Glas+Bild in Berlin zu begutachten war. Von Weitem wirkt das ganze ziemlich grau und visuell wenig ansprechend, doch im Detail offenbart sich der Sinn der 70 x 100 cm großen Posterdrucke. Sie sind keinesfalls schlicht gestaltet, sondern weisen ganz eigene Strukturen auf, die keinesfalls aus grafischer Lust und Laune, sondern durch die Worte bedeutender Literaten entstanden sind. Begeistert sind nicht nur wir, sondern auch das Fontblog und die Redaktion vom goldmag.

Einen neuen potenziellen Lieblingsjob hat uns der Artikel “Selling a book by its cover” der New York Times beschert. Darin bestätigt uns die Autorin Penelope Green, was wir schon lange vermutet haben: Bücher geben einem Raum einen anderen Charme, als es gemalte oder gemeißelte Kunstwerke tun. Sie verbreiten Wärme, zeugen von Belesenheit und geben den vier Wänden so ihren ganz eigenen ästhetischen Stempel. Im englischsprachigen Raum haben sich einige findige Designer-Köpfe dieses Gefühl zum Geschäft gemacht. Sie bestücken, je nach Kundenwunsch, die riesigen Bücherregale in millionenschweren Villen, Spa- und Wellness Centern oder Casinos in Las Vegas mit Büchern in passenden Einbänden. Manchmal dauert es Jahre, um eine bestimmte Anzahl an englischen Büchern in hellem Ledereinband zu finden, manchmal werden fremdsprachige Kollektionen in entsprechender Optik erworben oder – wenn es allein um die Optik geht – vom Format passende Bücher aus dem modernen Antiquariat wie gewünscht neu eingeschlagen.
Zum Kopfschütteln? Diese Entwicklung zeigt doch eigentlich nur einmal mehr, dass das gedruckte Buch seinen Platz in der Gesellschaft nicht verliert. Auch Trend-Spotting-Agenturen bemerken den neuen Fetisch: “The more that objects become replaced by digital virtual counterparts — from records and books to photo albums and even cash — watch for people to fetishize the physical object. Books are being turned into decorative accessories, for example, and records into art.” Und anscheinend geht der Trend in der Upper Class auch dorthin, unter dem passenden Einband tatsächlich Bücher haben zu wollen, die man – rein theoretisch – lesen könnte.
Wer weitere Ideen für außergewöhnliche Regal- und Bücherkonstrukte sammeln möchte, sollte einen Blick auf dieses Blog werfen.

Über eine besondere Herausforderung schreibt Cover-Designer Peter Mendelsund auf seinem lesens- und sehenswerten Blog Jacket Mechanical. Für den Alfred A. Knopf-Verlag hat er Kafkas Werke neu gestaltet: recht minimalistisch, aber in erstaunlich strahlenden Farben. „Kafka’s books have a tendency to be jacketed in either black, or in some combination of colors I associate with socialist realism, constructivism, or fascism“. Seine Absicht sei es gewesen, „to let some of the sunlight back in“, ohne dabei die  (An-)Spannung des Textes aus den Augen zu verlieren. A propos Augen: mehr zu den Gründen für die Wahl des Motivs und der Typographie der im Juli dieses Jahres erscheinenden Werke ist hier nachzulesen.

Ein anderer Grafiker, Christopher King, zur Zeit Art Director im amerikanischen Verlag Melville House, spricht im Interview mit dem Blog Caustic Cover Critic darüber, welche Freiheiten die Arbeit in einem kleinen, unabhängigen Haus für ihn als Coverdesigner mit sich bringt: „Any designer who’s ever faced the firing squad (a.k.a., packaging meetings) could appreciate what a relief it is to seek approval only from our two publishers, […] who are almost never heard to say, „make the title bigger.“ Dass friedliche Diskussionen ums Umschlagdesign ohne Druckausübung von Seiten des Marketings und der Vertreter leider nicht überall die Regel sind, ist wohl kein Geheimnis. Größere Titel, knalligere Farben und systematische Imitationen bekannter und vor allem erfolgreicher Buchcover sind nur einige Forderungen, die viele Designer zu einem Spagat zwischen ansprechender, vertretbarer und verkaufsfördernder Gestaltung zwingen.

Marketing-Experte und Bestseller-Autor Seth Godin sieht die wichtigste Funktion der Covergestaltung im Erregen von Aufmerksamkeit. Seiner Ansicht nach generiere diese eine höhere Bekanntheit via Mund-zu-Mund-Kommunikation, die anschließend die Verkaufszahlen steigere. In seinem leider recht knappen Artikel führt Godin außerdem verschiedene Wege auf, über die das Buch seine Wirkung beim Endkunden erreichen kann und kommt zu dem Schluss, der uns zu dieser Blogrundschau inspiriert hat: „I don’t know about you, but I judge books by their cover every day.“

Und auch die digitale Front vermeldet buchgrafische Ambitionen. Unter dem Titel „LetterMpress: A Virtual Letterpress on Your iPad“ möchten Designer John Bonadies und Programmierer Jeff Adams die Technik und Kunst des klassischen, mit hölzernen Typen arbeitenden Buchdrucks preservieren. Während der Zugang zu den realen Buchdruckplatten und -pressen häufig nur noch mit dem (vielen!) nötigen Kleingeld zu erreichen ist, soll eine iPad-App die Verbreitung der von vielen Künstlern und Grafikern wieder entdeckten Optik ermöglichen. Wie das ganze funktioniert und vor allem aussieht, schaut ihr euch am besten im Video an.

Seid ihr überzeugt? Bis zum 20. April kann man über die kickstarter.com-Webseite seine monitäre Unterstützung für die Weiterentwicklung der App zusichern und im Gegenzug ein kleines Geschenk dafür bekommen.

Allen von euch, die sich genauso wie wir über schöne Bücher und interessantes Grafikdesign freuen, seien auch diese Blogs zum regelmäßigen Stöbern ans Herz gelegt:

http://www.casualoptimist.com/

http://www.book-by-its-cover.com/

http://bookcoversanonymous.blogspot.com/

http://seenbooks.blogspot.com/

http://www.slanted.de/themen/buecher

Wieder einmal haben wir vor allem Beiträge aus dem englischsprachigen Raum entdeckt, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Es scheint einfach viel weniger deutsche Blogs zum Thema Buchkunst zu geben. So war es nicht verwunderlich, dass wir vor allem auf britische und amerikanische Verlage gestoßen sind. Grafische Vorreiter scheinen hier Penguin Books und neuerdings auch die Visual Editions zu sein.

Liebe Blogger, es wird also Zeit, dass auch Design und Covergestaltung deutscher Bücher und Verlage ihren Platz im World Wide Web erhalten, denn an guten Beispielen mangelt es nicht!

Grafik oben © Gerd Altmann/graphicxtras / PIXELIO, www.pixelio.de

4 Kommentare zu „Blogrundschau#2: (Never) Judge a book by its cover!“

  1. Hej Reno,

    das Buch kannte ich noch nicht, aber die Art seiner Gestaltung scheinen viele Autoren und Herausgeber von Ratgeberbüchern zu in irgendeiner Form innovativen oder chicen Themen für sich zu entdecken. Ganz ähnlich ist zum Beispiel „REWORK“ (http://37signals.com/rework) von Jason Fried und Davis Heinemeier Hansson.

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