Bücher. Berlin. Buylocal.

Wir befinden uns im Jahre 2012. Die gesamte deutsche Buchbranche wird von Amazon, eBook und Thalia besetzt. Die gesamte Buchbranche? Nein! Eine Gruppe von unbeugsamen Buchhändlern leistet Widerstand: Deutschlandweit versammeln sie sich, um gemeinsam gegen den Kundenrückgang zu kämpfen und an das soziale Bewusstsein der Käufer zu appellieren. Buylocal heißt die Initiative, die auch Berlin erreicht hat.

Zwei helle Räume, Stuck und Kronleuchter an den Decken, und in den wandhohen Regalen: Bücher. Die Ladentür öffnet sich, eine junge Mutter schiebt einen großen Sportbuggy herein, bugsiert ihn an den Büchertischen vorbei und steuert auf die Kinderbuchecke zu.

Hinter der Ladentheke steht der Inhaber der Tucholsky-Buchhandlung Jörg Braunsdorf. Im Mai 2010 hat er seine Buchhandlung in Berlin-Mitte eröffnet. Mutig, wenn man sich die Trends in der Buchbranche vor Augen führt. Gerade kleine Buchhandlungen haben es schwer, mit den großen Filialisten wie Thalia, der Konkurrenz durch Online-Anbieter wie Amazon und dem sich allmählich etablierenden eBook mitzuhalten.
Den Kampf gegen rote Zahlen, die großen Ketten und das Internet hat eine Initiative kleiner Buchhandlungen aufgenommen. „Buylocal“ heißt die von den Ravensburger Buchhändlern Michael Riethmüller und Christoph Paris ins Leben gerufene Kampagne. 22 Buchhandlungen deutschlandweit haben sich bisher zusammengetan, um gemeinsam dem zunehmend anonymen Einkaufen entgegenzuwirken und den Fokus auf die eigene Region zu verstärken. Den Anfang haben sie bei sich selbst gemacht: Sie stellen Mitarbeiter aus der Umgebung ein, zahlen nach Tariflohn, tragen durch individuell und liebevoll gestaltete Geschäfte zur Attraktivität der Stadt bei, locken so Touristen an, die wiederum Geld in die Stadt tragen. Der zweite Ansatz liegt beim Kunden: Die Buchhändler wollen das Bewusstsein der Kunden für ihre unmittelbare Umgebung stärken und ihnen deutlich machen, dass sie ihrer Stadt und den dort ansässigen Geschäften etwas Gutes tun, indem sie bei ihnen einkaufen und eben nicht bei den Filialen überregionaler Ketten oder im Internet.

Bewusst umdenken

Damit liegt buylocal voll im Trend: Heute gilt als hip, wer Lebensmittel aus regionalem Anbau kauft, auch Bio-Kosmetika, Hybrid-Autos und grüner Strom finden zunehmend Anklang. Nun rückt die Initiative also das Buch in den Fokus des neuen Nachhaltigkeitsbewusstseins. In dem unter www.buylocal.de abrufbaren Postulat heißt es: „Wir wollen erreichen, dass diese Bewegung durch viele unabhängige Einzelhändler in ganz Deutschland getragen wird, die aktiv und verantwortungsvoll das Leben in ihrer Region beeinflussen wollen.“ Das klingt schön und gut – und ganz schön abstrakt. Wie sieht buylocal konkret aus?
Jörg Braunsdorf von der Tucholsky-Buchhandlung ist einer der ersten in Berlin, der sich für das bewusste Umdenken entschieden hat: „Ich habe viele Bücher der kleinen unabhängigen Berliner Verlage im Sortiment, die in den großen Filialen oft keine Chance bekommen, und veranstalte Lesungen mit Berliner Autoren.“ Auch die Buchbox, die es mittlerweile auf vier Filialen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg bringt, hat sich der Idee verschrieben: „Wir stellen kostenlose Bücherkoffer für die Arbeit mit Kindern bereit, es gibt eine Zeugnisaktion – alle Schüler aus dem Kiez mit einer Eins in Deutsch bekommen ein Buch geschenkt –, wir kooperieren mit Geschäften aus der Nachbarschaft und wir arbeiten mit kulturellen Einrichtungen wie der Kulturbrauerei und dem Kino Babylon zusammen,“ zählt Buchbox-Geschäftsführer David Mesche auf. Die Dritte im Berliner buylocal-Bunde ist Friederike Zöllner, Besitzerin des Pankower Buchlokals: „Mit meiner Buchhandlung bin ich in dem Kiez ansässig, in dem ich auch mit meiner Familie lebe. Und alle meine Bücherregale habe ich von Künstlern aus Berlin herstellen lassen.“

Die Anfänge

Angefangen hat alles 2008 im baden-württembergischen Ravensburg. Michael Riethmüller und Christoph Paris von der Buchhandlung Ravensbuch lasen von einer ähnlichen Kampagne in den USA und fragten sich, warum es so etwas nicht auch in Deutschland gibt. Von dieser Frage bis zu ersten Taten vergingen zwei weitere Jahre. Ende 2010 knüpften die umtriebigen Buchhändler Kontakt mit der Dualen Hochschule in Ravensburg und entwickelten mit den Studierenden erste Ideen. Allmählich kommt das Ganze ins Rollen: „Wir haben gerade erst die passende Rechtsform gefunden und eine GmbH gegründet“, erzählt Christoph Paris. Im Januar fand ein Treffen mit Buchhändlern aus ganz Deutschland statt, seit Februar gibt es eine facebook-Gruppe, der mittlerweile 95 Mitglieder angehören. Nun werden Förderer gesucht, ein Logo ist in Planung, das wie das Bio-Emblem als Gütesiegel fungieren soll, und längerfristig werden die teilnehmenden Buchhandlungen einen Mitgliedsbeitrag zahlen. Buylocal ist als loses Netzwerk zu begreifen, wo sich die Buchhändler austauschen können. Zusammen wollen sie sich auch für den Erhalt der Buchpreisbindung stark machen.

Ein Zwölfjähriger, den großen Schulranzen auf den Rücken geschnallt, kommt herein und reicht Jörg Braunsdorf ein Buch: „Ich hab es angefangen, aber ich fand es langweilig.“ „Dann suchst du dir halt ein anderes aus.“

Jörg Braunsdorf leiht seinen jungen Testlesern regelmäßig Bücher aus, die er mit persönlichem Feedback zurückbekommt: „Nur so kann ich meinen Kunden das Richtige empfehlen.“ Zum Service, den er seinen Kunden bietet, gehört für Jörg Braunsdorf neben fundierten Buchempfehlungen inzwischen auch ein eBook-Angebot: „Der Trend ist nicht aufzuhalten. Noch werden eBooks nicht mit Buchhandlungen assoziiert, sondern nur mit Amazon und Online-Shopping. Wenn die Kunden aber bei mir im Laden eBooks testen und kaufen können, ist das auch für mich gewinnbringend.“ Über die Hälfte der Buchhändler hat inzwischen erkannt, dass man sich den digitalen Trends nicht verweigern darf: Sie wollen eBooks in ihr Sortiment aufnehmen, ihren Internetauftritt verbessern und den Kunden die Möglichkeit bieten, rund um die Uhr Bücher auf ihrer Internetseite zu bestellen.

Ein junger Mann blickt etwas schüchtern an den Regalwänden entlang, bis er ein Buch hervorzieht und sich in stumme, die Gegenwart vergessende Lektüre vertieft. Eine Frau mit Stirnband und großem Blumenstrauß im Arm betritt den Laden: „Sind meine Japanischbücher schon angekommen?“ Ja, sind sie.

Große Feinde, kleine Hoffnung

Jörg Braunsdorf bestellt alles, die Bücher können im Laden abgeholt oder kostenlos nach Hause geschickt werden. Dass das ebenso schnell und unkompliziert funktioniert wie bei Amazon, wissen viele nicht. Wer ist eigentlich der größte Feind der kleinen Buchhandlungen: die großen Filialisten, das eBook oder Amazon? „Amazon“, antwortet wie aus der Pistole geschossen Christoph Paris. Amazon hat eine riesige Auswahl, keine Lieferkosten, kurze Lieferzeiten – und ist unschlagbar günstig. „Das erste, was die Leute sehen, ist der Preis“, meint der 23-jährige Tobias Berg, ein überzeugter Amazon-Käufer. „Wenn ich drei, vier Euro sparen kann, ist das doch super.“ Er sei sich schon bewusst, dass der Einzelhandel unter den Angeboten im Internet leide, aber was genau das für einzelne Branchen bedeute, wisse er nicht. Genau an dieser Stelle will buylocal aufklären. „Wenn der Kunde „buylocal“ hört, soll ihm sofort klar sein, dass der Einkauf einen positiven Nebeneffekt hat“, sagt Christoph Paris. Auch wenn der Kauf im Internet oft bequemer ist, soll der Kunde den Weg in den Laden gerne auf sich nehmen. Erklärtes Marketing-Ziel der Kampagne: Buylocal ist sexy.

Auffällig ist, dass der Trend bisher überwiegend in kleinen Gemeinden ankommt: Die buylocal-Buchhändler kommen aus Gegenden wie Nürtlingen, Erkrath oder Dieburg. Zwar sind auch Buchhandlungen in Stuttgart, Düsseldorf und Essen dabei, aber insgesamt hält sich das Interesse in größeren Städten in Grenzen. Es ist bezeichnend, dass die drei Berliner buylocal-Buchhandlungen in den In-Bezirken mit den biobewussten Jungfamilien liegen: Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte. Im Vergleich zu anderen Städten hat Berlin da einen Standortvorteil: „Momentan liegt die kleine, inhabergeführte, im Kiez verankerte Buchhandlung im Trend“, meint Friederike Zöllner aus Pankow. „Blickt man auf die vielen Bioläden, die sich in den letzten Jahren in den Kiezen etabliert haben, gibt das Zuversicht auf ein Umdenken in der Gesellschaft.“ David Mesche von der Buchbox dagegen zweifelt: „Ich bin skeptisch, ob es gelingt, buylocal deutschlandweit so bekannt zu machen, dass ein Geschäft in der öffentlichen Wahrnehmung damit punkten kann.“ Ein bemerkenswertes Anliegen ist es auf jeden Fall. Und es muss keineswegs auf die Buchhandlung beschränkt bleiben. Christoph Paris‘ Vision ist es, nicht nur die Buchhandlungen, sondern alle inhabergeführten qualitativ hochwertigen Geschäfte miteinzubeziehen.

Eine junge Frau in Turnschuhen und mit roter Farbe auf den Lippen erklärt, leicht schwäbelnd, sie brauche ein Buch für eine Siebenjährige. Jörg Braunsdorf hat da gleich eins parat: „Das kann ich Ihnen wärmstens empfehlen!“, und packt das Buch sogar als Geschenk ein. Diesen Service gibt es nur vor Ort.

2 Kommentare zu „Bücher. Berlin. Buylocal.“

  1. Katharina Hierling

    Vielen Dank für die Vorstellung dieser tollen Initiative. Wenn man es sich anschaut, eigentlich eine Win-Win Situation. Für den Buchhändler, für die Kunden und sogar für die unabhängigen Verlage wird hierbei endlich eine Plattform geschaffen. Man merkt ja doch meist erst bei einer wirklichen Buchhändlerberatung, was einem sowohl im Internet als auch bei den Filialisten entgeht. Denn meiner Meinung nach ist das wirklich Schöne am Buchkauf doch der Austausch mit Gleichgesinnten. Aber wie bereits in dem Artikel erwähnt, stelle auch ich mir die Frage, wie man eine solche Initiative verbreiten kann. Aber ich möchte nicht daran glauben, dass Amazon das Ende für die Buchhandlungen bedeutet. Also: Support your local bookstore!

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