Auf dem Podium: Thomas Lehr, Elisabeth Ruge, Holger Heimann und Julia Claren (v. l.) © Tobias Bohm

Das Buch ist tot. Lang lebe das Buch.

Über die „Zukunft der Bücher“ lohnt es sich zu sprechen: Julia Claren, die Leiterin des Kulturkaufhauses Dussmann, Elisabeth Ruge, die Leiterin des Hanser Berlin Verlages und der Schriftsteller Thomas Lehr sprachen im Literaturhaus Berlin über gute Argumente für das Buch. Ein Plädoyer für das Buch. Und gegen seine Produzenten. 

 

Auf dem Podium: Thomas Lehr, Elisabeth Ruge, Holger Heimann und Julia Claren (v. l.) © Tobias Bohm
Thomas Lehr, Elisabeth Ruge, Holger Hei- mann und Julia Claren (v. l.) © Tobias Bohm

Treffen sich eine Verlegerin, eine Buchhändlerin und ein Schriftsteller. Sagt die Buchhändlerin: „Das gedruckte Buch ist ein unfassbarer Medienspeicher. Um ein Archiv in die nächste technologische Stufe zu bringen, ist das Buch am besten geeignet. Es ist ressourcensparsam und flexibel. Da kann der elektronische Text garnicht mithalten.“

So fangen Witze an. Die Buchhändlerin aber macht keinen Witz. Sie ist die Leiterin des Kulturkaufhauses Dussmann, Julia Claren. An diesem Abend Ende November letzten Jahres spricht sie mit der Leiterin des Hanser Berlin Verlages, Elisabeth Ruge, und dem Schriftsteller Thomas Lehr im Literaturhaus Berlin über die „Zukunft der Bücher“. Moderator Holger Heimann, Redakteur beim Börsenblatt, nickt und macht sich selbst überflüssig, weil er nicht nachfragt, als Frau Claren argumentiert. Was an diesem Abend auf der Bühne des Literaturhauses passiert, ist zum Lachen. Aber niemand lacht.

Das gedruckte Buch ist kein unfassbarer Medienspeicher: Das Buch ist ein Medium. Es ist Datenspeicher für Schrift und Bild. Und man kann es fassen. Auch ein ebook ist (nur) ein Datenspeicher für Schrift, (bewegtes) Bild und Ton. Unfassbar daran ist zumindest, dass ein Stapel Bücher, deren Texte ein ebook digital speichern kann, nicht mehr zu fassen ist.

Das gedruckte Buch ist nicht ressourcensparsam. In Deutschland werden jährlich 20 Millionen Tonnen Papier verbraucht: das bedeutet Platz 1 in Europa. Ein ebook spart dieses Papier. Und wer auf einer Reise versucht hat Tolstois Krieg und Frieden zu lesen, weiß: Ein Buch ist nicht immer flexibel. Jene Argumente für das Buch, die Frau Claren anbringt, sind Gegenargumente. Und die besten dazu.

Eine Veranstaltung als Argument: Gegen das Buch.

Nachdem sich Frau Claren im Glauben an die Überlegenheit des Buches lächerlich gemacht hat, pflichtet ihr Frau Ruge bei und bricht kurzerhand eine Lanze für die Buchdruckqualität: „Es gibt viele Leute, die ebooks kaufen und keinen Sinn haben für die Buchhaftigkeit eines Buches. Und davon gibt es viele Menschen.“ Der Witz ist offenbar noch nicht vorbei. „Gute Argumente“ brauche man, um junge Generationen vom Buch zu überzeugen. Die Runde hatte sich vor der Veranstaltung im Nebenraum darauf geeinigt, kein Loblied auf das Buch zu singen. Scheinbar hat man das Suchen guter Argumente zuvor auf einen anderen Termin verschoben.

Die ganze Veranstaltung ist ein Argument gegen das Buch. Die Frage, was das Buch so besonders mache, können Frau Claren und Frau Ruge nicht beantworten, obwohl sie als einflussreiche, erfahrene Akteure der Buchbranche nach ihrer Expertenmeinung gefragt werden. Sie verweisen traditionell auf die Buchhaftigkeit des Buches. Und warum sagt niemand etwas? Weil man zusammenhält in der Buchbranche. Weil ein Argument gegen ein Argument für das Buch ein Argument gegen das Buch wäre. Es ist keine Diskussion, diese konservativen Meinungen müssen nicht erst gebildet werden. Angesprochen auf die Argumente für das Buch, finden Claren und Ruge scheinheilige Argumente gegen das ebook. Aber gibt es denn gute Argumente für das Buch?

Ein Lehrstück für Verlag und Buchhandlung.

Ja, die gibt es. Und ironischer Weise nennt sie derjenige, der nicht auf das Buch angewiesen ist: Thomas Lehr, der Schriftsteller. Dabei geht es keinem Schriftsteller primär darum, dass der Leser ein gedrucktes Buch in den Händen hält. Ihm geht es um das Publizieren eines Textes, um Sprache, um Fiktion. Und so ist es folgerichtig auch der Schriftsteller, der es als erster auf den Punkt bringt: Sprache ist älter als Papier, Sprache kommt auch ohne Papier aus.

Er, der Schriftsteller ist es auch, der bereits 1993 in seinem Buch „Bibliothek der Gnade“ die Entwicklung des Buchmarktes literarisch voraussagt: Im sogenannten Schattenarchiv der unverlegten Bücher braucht es nur einen Knopfdruck zur Erstellung einer Kopie dergleichen. Die Liberalisierung der Buchproduktion negiert die vorherige Selektion. Über Schund oder Diamant entscheidet einzig der Leser. So klug, wie Lehr diese Entwicklung fünf Jahre vor Google und Amazon voraussagt, so glaubwürdig sind an diesem Abend auch seine Argumente für das Buch.

Rotwein und Kerzenschein. 

„Bücher haben eine Aura und ich habe mehr Spaß am Papier.“ Es ist das erste gute Argument für ein Buch. Und die Liste der Vorteile ist lang: Papier riecht, Papier fühlt sich gut an. Ein Buch ist mehr als die Summe seiner Blätter. Zigarettenasche und Rotwein machen ein Buch noch schöner, aber ein ebook kaputt. Das Buch kann man mit zum Strand nehmen, den ebook-Reader auf Geschäftsreise. Kein elektronisches Licht dieser Welt lässt Buchstaben im Glanz einer Kerze erscheinen. Ein ebook kann ein Buch nicht ersetzen, aber das muss es auch nicht.

Es ist eine gesellschaftliche Entwicklung die nicht aufzuhalten ist, erst recht nicht von einer erzieherischen Idee, wie Frau Claren sie in einem schwachen Moment ihres Lobliedes nennt. Und auch nicht von einem Buch, das im Feuer der elektronischen Revolution einfach niederbrennt. ebooks können mehr als Bücher und sich gegen diese Entwicklung zu wehren ist falsch. Das Buch ist den technologischen Anforderungen des 21. Jahrhundert nicht gewachsen. Und das ist auch gut so, denn das wird einmal das stärkste Argument für das Buch sein. Die nächste technologische Stufe mit einem Buch zu beschreiten, wie es Frau Claren vorschlägt, ist also so sinnvoll, wie eine Pferdekutsche auf der Autobahn. Stilvoll zwar, aber nicht zeitgemäß.

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5 Kommentare zu „Das Buch ist tot. Lang lebe das Buch.“

  1. Ein genuin nicht-technisches, will heißen nicht-digitales Medium in einem digitalen Zeitalter als alleiniges Medium hochzuhalten und sich gegen jedwede digitale Medienform so lange wie möglich zu verschließen, kann nicht funktionieren.
    Das wissen alle, und doch wehren sich viele.

    Das Alte bewahren, Angst vor Neuem, da Ungewissem? Das ist mesnschlich, ab einem gewissen Punkt vielleicht aber auch schädlich.
    Es liegt im Auge des Betrachters, eine Veränderung als eine Bedrohung für das Alte oder Chance für etwas Neues wahrzunehmen.

    Vielleicht spielen aber auch finanziell (zu?) enge Spielräume eine Rolle, um vehement zu experimentieren. Im Wesen von Experimenten liegt immer auch das Potenzial, schief zu gehen. Wer da keine Pufferzone hat, hat es schwer.

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