„Die letzten Tage des Patriarchats“ von Margarete Stokowski – Bestandsaufnahme oder Kampfansage?

Sie hat wieder zugeschlagen. Margarete Stokowski bringt ein neues Buch heraus, genau zwei Jahre nach ihrem Erstling „Untenrum frei“, das der Journalistin das Renommee als eine der wichtigsten Stimmen der neuen Feminismen bescherte.

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats © Charlotte Steinbock

Darin erklärte Stokowski, warum wir untenrum nicht frei sein können, wenn wir es obenrum (also im Denken) nicht sind und wo dafür noch gegen Denkmuster, Gesellschaftsstrukturen und unbewusste Vorannahmen gearbeitet und gekämpft werden muss. Der Titel ihres neuen Buches „Die letzten Tage des Patriarchats“ könnte nun die Hoffnung wecken, es ginge darum, dass die Debatten der letzten beiden Jahre uns so weit gebracht haben, dass wir das Patriarchat jetzt abschaffen. Schließlich haben wir als Gesellschaft viel über MeToo, das Sexualstrafrecht und Gleichberechtigung in verschiedensten Bereichen diskutiert.

Doch darum geht es nicht. In dem Buch sind ausgewählte Kolumnen versammelt, die Stokowski für die taz und Spiegel Online zwischen 2011 und 2018 geschrieben hat. Wo sich inzwischen die Umstände oder Gesetze geändert haben, ist das kommentiert. Es ist nicht sehr häufig der Fall. Vielmehr ist es erschreckend zu sehen, wie sehr viele der Kolumnen, die ja das Tagesgeschehen kommentieren und kritisch beleuchten, nach Jahren noch absolut aktuell sind. Die eine oder andere Anspielung muss aus heutiger Sicht erklärt werden, die Mechanismen und Strukturen, die Stokowski lässig und scharfzüngig analysiert, sind oft dieselben.

Witz, Tiefgang und Überraschungsmomente

Es gibt unglaublich witzige Beiträge, die dennoch eine Menge Tiefgang besitzen. So zum Beispiel wenn die Autorin schildert, wie sie einer Freundin von einem übergriffigen Kommentar eines Nachbarn erzählt. Deren Reaktion:

„Wer so was fragt, der kriegt sofort aufs Maul!“, rief sie. „Und wenn er fragt, warum, dann gleich noch mal.“

„Meine liebe L.“, sage ich, „du glaubst nicht wirklich, dass ich jahrelang Philosophie, Soziologie und Politik studiert habe und dazu einen Haufen Sprach- und Rhetorik- und was weiß ich für Kurse besucht hab, um Leuten, die etwas Blödes sagen, dann einfach auf die Fresse zu geben?“  – „Nö“, sagt L., „aber ich habe Literaturwissenschaft studiert, um dir sagen zu können, dass die besten Geschichten so enden.“

„Wie, so?“, fragte ich. „Mit Gewalt?“  – „Nein“, sagt L., „Quatsch. Mit etwas Unerwartetem.“

Überraschen, das schafft Margarete Stokowski immer wieder. Nicht, weil ihre Meinungen und Analysen zu so unerwartbaren Ergebnissen kommen, sondern weil sie so beiläufig, verständlich und witzig formuliert und dabei immer klar bleibt, messerscharf unterscheidet und sich auch im großen Medientrubel nicht aus der Ruhe bringen lässt. Trotzdem guckt sie genau dahin, wo es ungemütlich und kompliziert wird.

Freiheit im Handeln und Denken

Auf jeder Seite können wir der Autorin beim freien und unabhängigen Denken zuschauen. Es ist eine Einladung, es der Autorin nachzutun und macht Mut. Wir brauchen mutige und kluge Menschen, die sich öffentlich einmischen mit wohldurchdachten Meinungen und einem starken moralischen Kompass, der nicht zu Dogmatismus führt sondern zu mehr Freiheit im Handeln und Denken für alle. So eine ist Margarete Stokowski. Ein Grund dafür, warum wir solche Menschen brauchen:

Uns allen hat das Patriarchat tief ins Hirn geschissen, dass Männer mehr wert sind als Frauen, und es ist unglaublich schwer, sich das alles wieder aus dem Kopf zu kratzen.

Stokowski widmet sich vielen verschiedenen Themen, jeder Text steht für sich. Es geht um dicke Mädchen in Leggings (mehr davon), Pimmelwitze (bitte nicht machen), Pegida, die AfD, Willkommenskultur, gefühlte Regelbrüche, Betreuungsschlüssel für Nazis, Postcolognalismus, den Fetisch des imaginären Regelbruchs, Lesbenpornos, Depressionen und so viel mehr. Dabei entsteht ein sehr schlüssiges und rundes Bild, nämlich ein Verständnis davon, was es heißt, die Welt durch feministische Augen zu sehen. Nicht ‚die Frauen‘ oder ‚die Männer‘, sondern eben die ganze Welt mit allem, was dazugehört. Feminismus heißt hier ein Kampf für Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, äußere und innere Freiheit für alle Menschen ohne Wenn und Aber. Es ist ein Buch, das ausnahmslos jede*n etwas angeht!

Die Kolumnen für dieses Buch sind nicht nur aufmerksam überarbeitet und zusammengestellt, oft sind einzelne Kommentare von Leser*innen aufgenommen worden. Fairerweise stellt die Autorin hier in wenigen Beispielen eine große Bandbreite der Reaktionen dar. Von irrationalem Hass bis hin zu Dankbarkeit und diesem besonderen Lob nach einer Kolumne über Angst:

„Sehr geehrte Frau Stokowski, ich muss Ihnen danken. Ich schäme mich, denn aus einem ehemals toleranten Menschen ist ein Angstbürger geworden. Sie haben recht, Angst ist ein schlechter Ratgeber, und macht alles im Leben schwerer. Wir würden vermutlich nie einer (politischen) Meinung sein, aber Ihr Kommentar […] hat in mir zumindest etwas bewegt. Ich habe auf Ihren Kommentar zumindest einen Anfang gemacht und Pegida entliked. Einen schönen Abend noch.“

Also mir macht das wirklich Hoffnung.

 

Margarete Stokowski, "Die letzten Tage des Patriarchats"
rowohlt, 2018
Hardcover, 24 Euro.

 

Charlotte Steinbock
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