Die neuen Leiden der Kritiker

Jetzt haben sie alle mal getanzt und dies nicht nur im sprichwörtlichen Sinne. Die Betriebsnudeln im literarischen Feld auf der Hegemann-Party. Bourdieu beschreibt den Literaturbetrieb als ein Netz, in dem die Akteure um ihre Machtposition ringen. Der Autor ist einer dieser Akteure, aber der kulturbeflissene Zeitungsleser weiß: Nichts läuft heute ohne Agenten, Verleger, Lektoren, Journalisten etc. Und, das ist auch nichts Neues, wird aber ständig als dieses präsentiert, ohne den Leser. Der darf nicht vergessen werden, eigentlich ja auch nicht die weibliche Form des Nomens, aber das mieft nach Patschuli.
Ich habe das nicht ganz verstanden, wo wird jetzt exakt der Leser vergessen? Der Leser sorgte für die Topplatzierung auf der Bestsellerliste und eigentlich liest der größte Anteil der Leserschaft auch kein Feuilleton. Heißt es immer. Habe ich natürlich nur in meinem Bekanntenkreis überprüft. Und das sind auch alles Betriebsnudeln.
Elke Heidenreich tanzt wie keine zweite auf der großen Betriebsparty. Das beweist erneut ihr Artikel in der SZ. Es ist auch schon fast anderthalb Jahre her, dass das zdf sie rauswarf, weil sie Reich-Ranickis Kritik am Fernsehpreis verteidigte und sich schämte beim zdf zu arbeiten. Heidenreich bekommt, wenn sie will, Aufmerksamkeit, die rare Ressource der Medien. Mir ist Emotionalität im Kulturbereich sympathisch. In Deutschland sind die Menschen ja sowieso meist nicht besonders emotional, das ist hier gleichgesetzt mit unseriös. Unseriös ist es, seinen Arbeitgeber anzugreifen, auch wenn die Frau immerhin ihrem Sender Zuschauer en masse brachte. Dabei: Wenn man in Deutschland endlich mal emotional werden will, dann bitte in der Kultur.
Heidenreich war meines Erachtens nicht auf der Feier. Das Buch hätte sie wohl nicht besprochen. Amelie Fried kann sie nicht ersetzten, nur ihr Konzept übernehmen. Dennis Scheck war immer schon besser. Heidenreich hat natürlich Recht. Es wird zu viel die Person Hegemann und ihr Text vermischt. Die Texte zur Debatte tarnten sich als Rezension oder Portrait und waren dann moralische Abwägungen oder die Konstruktion eines Skandals. Ich mochte den Text und habe zur Person keine Meinung. Eine Meinung zur Debatte habe ich schon, aber die ist nicht originell, deshalb hier nicht mehr dazu. Es wäre konsequent, nun eine Rezension zu schreiben, aber das will ja nun wirklich niemand mehr hören.

Stattdessen zur Literaturkritik:
Heidereich legt in ihrem Artikel zum Einen fest, wie Kritik sein sollte und zum Anderen, wie sie selbst Bücher kritisiert. Sie kritisiert Bücher gar nicht, sie hat immer nur Bücher empfohlen, das hat sie auch so immer gesagt und es ist tatsächlich erstaunlich, dass sie das immer wieder betonen muss. Es gefällt ihr bestimmt nicht, dass mir da Walser einfällt. Walser hat sich gestern im LCB furchtbar sympathisch über Frank Schirrmacher aufgeregt und Dennis Scheck und Heinz Ludwig Arnold haben zugehört. Gegen Walser haben viele was, auch Heidenreich, nehme ich an, weil sie über seine Präsenz in den Feuilletons offensichtlich genervt ist („Oder von Martin Walser, immer wieder Walser“). Auf einem Vortrag an der Humboldt Universität wurde Walser, für die polemische Aussage, Kritiker sollten nur loben oder schweigen, ausgebuht. Das hat er auch gestern noch einmal betont. Scheck merkte kurz an, das sei doch langweilig, aber Walser wurde von der Kritik auch wirklich hart beurteilt, ich meine angegriffen. Auch wenn Heidenreich für ihre Kritik, die eigentlich keine ist, gescholten wird, ist das schnell persönlich.
Ich habe schlichtweg keine Lust, Texte über Bücher zu schreiben, die ich nicht mag. Den ich bin zu aller, aller erst eine Leserin.
Und wie sollte Kritik nach Heidenreich sein: „sie soll in erster Linie tatsächlich erzählen, um was es in einem Buch geht, damit der geneigte Leser entscheiden kann, ob ihn das, was nun folgt, eigentlich interessiert. Dann soll sie sich kritisch mit dem Text auseinandersetzen, ihn einordnen oder abgrenzen und ein Fazit ziehen.“ Dies ist schwer zu bestreiten, aber im Falle Hegemann kann man das natürlich noch mal betonen. Reich-Ranicki, um Längen unterhaltsamer als Heidenreich, würde ihr wahrscheinlich zustimmen, obwohl er viel Inhalt voraussetzt und auch empathisch verreißt, wenn auch mit Angabe von Gründen. Gottsched würde wohl noch betonen, dass die Texte ruhmreich für die Nation sein sollten und Alfred Kerr es stilistisch verschönern.
Weidermann machte sich noch sehr unbeliebt, als er in Lichtjahre, stark vereinfacht von Autoren auf deren Werk schloss. Bei Hegemann macht das jeder. Biller aber immerhin lustig ironisch.
Emotional lesen sich alle: Kerr, Reich-Ranicki, Heidenreich, Weidermann… Zum Glück.

Wer Spaß daran hat, darf in den Kommentaren gerne noch weitere Literaturkritiker polemisch zusammen fassen. Würde mich amüsieren. Da fehlen noch: Sieburg, Foucault, Opitz, Herder, Schlegel, Benjamin, Löffler…

1 Kommentar zu „Die neuen Leiden der Kritiker“

  1. Ich führe da immer gerne Aphorismen des Altmeister der Satire Kurt Tucholsky ins Feld:
    „Bei den großen Schneidern liegen manchmal Empfehlungen von Schustern und Hemdenmachern herum. So sehen unsere Buchkritiken aus.“
    „Manche Menschen lesen überhaupt keine Bücher sondern kritisieren sie.“
    „Es ist bei den meisten eine Art Geltungstrieb, der sich da bemerkbar macht. Fast jeder Kritiker hät sich in der Viertelstunde, wo er seine Kritik aufpinselt, für einen kleinen Hergott. Ein besonders übles Exemplar dieser Gattung hat einmal gesagt: „Ich wollte ja die Buchkritik längst aufgeben. Aber“ -- er sprach Dialekt -- „aber man gibt doch nicht gern’s Peitscherl aus der Hand!“

    Fazit: Tucholsky und Walser hätten sich bestimmt gemocht.

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