Ein Hauch vom März im Herbst. Mit Ulrike Almut Sandig/Marlen Pelny

Buchhandlungen, heißt es, müssen nicht nur ausgezeichnete Bücher im Sortiment haben und den unschlüssigen Käufer kompetent beraten. Nein, sie müssen, um heutzutage wettbewerbsfähig zu bleiben, dem Kunden noch MEHR bieten. Mehr im Sinne von Non-Book-Artikeln und literarischen Veranstaltungen.

Zumindest Letzteres beherzigt die Tucholsky-Buchhandlung zutiefst. Hervorzuheben sei an dieser Stelle das Format Weltbühnen-Verlagspräsentation. In dem wird Verlagen, vornehmlich Kleinverlagen aus Berlin und Umgebung, Raum gegeben, sich der Öffentlichkeit vorzustellen und dem interessierten Leser einmal den Schöpfungsprozess des Buches zu verdeutlichen.

Am Mittwochabend hatte der Schöffling Verlag aus Frankfurt am Main die Ehre, bevor anschließend die Lyrikerin und Autorin Ulrike Almut Sandig, bekannt durch ihren preisgekrönten Erzählband Flamingos, und die Musikerin und Dichterkollegin Marlen Pelny das gemeinsame Werk Märzwald – Dichtung für die Freunde der Popmusik darboten. Um es schon mal vorab zu verraten: Es war ein rundum gelungener Abend.

Der Vertriebsleiter Simon Kurzenberger gab zunächst unprätentiös die Chronik des Verlages wieder, die in allem als Erfolgsgeschichte zu verstehen ist: 1994 vom Ehepaar Klaus und Ida Schöffling mit dem Anspruch gegründet, deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu fördern und zu etablieren, stellt der Verlag heute 12 Mitarbeiter an und hat seine Programmsparten sukzessive ausgebaut. Die Herausgabe von junger deutschsprachiger Lyrik und Exil- und Holocaust-Literatur sind zwei wichtige Eckpfeiler, die zum enormen Ansehen des Verlags beigetragen haben – weshalb der Schöffling Verlag aus der hiesigen Verlagslandschaft auch nicht mehr wegzudenken ist. Gleichzeitig stellte Kurzenberger klar, dass mit am verkaufsträchtigsten die literarischen Kalender sind, insbesondere der Katzenkalender. Dadurch wird die „Quersubventierung“ auch bekannt als (nachträgliche) Mischkalkulation anderer Projekte möglich. Dass dies bei der CD Märzwald nicht nötig sein wird, ist allen Beteiligten zu wünschen. So oder so darf man dem Verlag zu dem (mutigen) Schritt gratulieren, die erste CD im eigenen Programm zu haben.

Denn wie man sich live davon überzeugen konnte, handelt es sich glücklicherweise nicht um eine Zusammenstellung dadaistischer Experimente. Hier gehen Lyrik und Musik vielmehr eine hervorragende Symbiose ein, wobei keine von beiden sich in den Vordergrund schiebt und die andere Seite verdeckt. Stimmungsvoll, mit sehr viel Gefühl werden die Gedichte musikalisch interpretiert und ziehen den Zuhörer immer tiefer in den Märzwald hinein. Der Märzwald ist nicht zwingend jener dunkle Ort, wo man vom Wege abkommt und sich im Dickicht verläuft, sondern eher ein Ort der Zuflucht und Geborgenheit, den jeder Mensch im Inneren mit sich trägt, führte Sandig aus. Ein Rückzugsgebiet für den Hörer, wenn alles um ihn herum rauscht und dröhnt. Bleibt zu hoffen, dass diese Form der Popmusik weitere Nachahmer findet und hierzulande an Gewicht gewinnt. Denn wer will schon weg, wenn „leis aus zwei blauen Boxen ein fast verschwundener Ozean rauscht“?

Foto © Schöffling / Covermotiv Tanja Kernweiss

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