From Panels with Love #22: Unterm Birnbaum

Was passiert, wenn eine klassische Schauergeschichte zum Graphic Novel wird? Dann kommt ein Buch heraus, wie die Fontane Adaption Unterm Birnbaum, gezeichnet von Birgit Weyhe. Eine gute Idee, doch sie hat auch ihre Tücken.

 

Foto © Karolin Kolbe
© Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum, Carlsen 2019.

Ein Mann tigert ruhelos durch den Garten, seine alte Nachbarin beobachtet ihn durch die Vorhänge. Der Mann ist Adam Hradschek, ein Zugezogener, der mit seiner Frau Ursel in das kleine Dorf kam. Die Kinder sind tot, die Stimmung zwischen den beiden kühl. Ursel hängt ihren Gedanken nach und flechtet Blumenkränze. Was sie damit wolle, fragt ihr Mann. Ursel wundert sich nicht. Wie so häufig hat Adam hat den Todestag der Kinder vergessen. Vielleicht, weil er trinkt und spielt, eine ganze Weile schon. Hohe Schulden hat er, wie er Ursel endlich verrät. Dann kündigt sich Szulski an, der Mann, dem Adam Geld schuldet und der das Leben des Ehepaars Hradschek vollends ruinieren könnte.

 

Geschichte des Misstrauens

Unterm Birnbaum ist eine Dorfgeschichte voller Misstrauen, voller Hinterlist und Beobachtung. Die Nachbarn passen aufeinader auf und argwöhnen zugleich bei jeder Unregelmäßigkeit Furchtbares. Sie alle versuchen, ihr Bild vor den Mitmenschen zu wahren; ihr Bild von Anstand, Ordnung und einem geregelten Leben. Für Ursel, eine Frau aus gutem Hause, ist die drohende Armut durch den Schuldeneintreiber schlimmer, als ein Todesurteil:

Armut ist das Schlimmste, viel schlimmer, als der Tod! Das darfst du mir nicht antun! Dann nehme ich mir das Leben und gehe in die Oder, gleich auf der Stelle! […] Armut ist eine Bestie, die einen zerfleischt! Nein! Das muss verhindert werden! Auf jeden Fall!

Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Szulski kommt in die Stadt, ins Wirtshaus, und Ursel macht sich auf den Weg mit ihrem Pferdewagen. Etwas wird passieren, doch was, das wissen die Leser*innen nicht. Klar ist, es wird etwas Schlimmes sein, denn während Ursel durch den Regen fährt, sieht sie sich als erbarmungslosen Wolf. Später ist Szulski verschwunden und am Flussufer wird nur noch der Mantel gefunden. Doch zu dem Zeitpunkt ist Ursel bereits krank, sieben Tage lang fantasiert sie im Fieber, und stellt damit alles in Frage, was wir bis dahin gelesen habe.

 

© Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum, Carlsen 2019.

Düstere Atmosphäre in zwei Farben

Die Atmosphäre auf den gut siebzig Seiten ist düster und, ja, auch schauerlich. Die Zeichnungen sind in zwei Farben gehalten: Schwarz und ein Gelbton, der ein wenig ins Grün, ein wenig ins Senffarbene geht und sich nicht genau zuordnen lässt. Eine Farbe, die in die Szenerie zu passen scheint. Man weiß nicht recht, woran man in diesem Dorf und seinen Bewohnern ist. Die Zeichnerin arbeitet mit Flächen aus Ornamenten in Tüchern und Kleidung der Figuren, aber auch eine ganze Seite besteht mitunter aus einem einzigen Muster. Es gibt wiederkehrende Motive, welche die aufkommende Spannung und die Enge der Dorfroutine unterstreichen: der Totenkopf, die Teetasse, die Silhouetten der Figuren in Scherenschnitten und natürlich der Birnbaum, unter dem – das wird im Laufe der Handlung deutlich – etwas Schreckliches vergraben zu sein scheint.

Viele Metaphern des Textes werden in Bildern ausgedrückt. Das Biest, über das Ursel nachdenkt, ist ein Wolf. Der ruhelose Adam wird als Tiger hinter Gittern dargestellt – ein echter Zugewinn für den sonst reduzierten Text, der nah am Original zu sein scheint. Der Comic reiht sich in die Carlsen-Reihe Die Unheimlichen ein, für die Zeichner*innen Klassiker der Schauergeschichten bebildern und interpretieren. So gibt es bereits Bände zu Edgar Allan Poe oder Elfriede Jelinek, die das gleiche Prinzip verfolgen. Diese Idee ist gut, das spürt man nach wenigen Seiten.

 

Etwas mehr Verständnis

Schwieriger als Leserin ist hingegen die Handlung nachzuvollziehen. Ohne Fontanes Novelle zu kennen, fehlen einge Informationen, die im Comic eine Leerstelle bleiben. Somit ist manchmal nicht ganz nachvollziehbar, was gerade passiert und wie es zum nächsten Ereignis kommt. Da es sich um eine Schauergeschichte handelt, lässt sich das aber vielleicht auch dem Unerwartbaren, Erschreckenden zuschreiben, das mit dem Comic zweifelsohne einhergeht. Schön ist, dass den Bilder viel Raum gelassen wird: Ganzseitige Illustrationen, detailgetreue Birnen, Gedanken der Figuren, die viel Platz einnehmen dürfen. Damit wird Unterm Birnbaum zu einem Graphic Novel, das athmosphärisch viel kann, sehr schön anzuschauen ist und gleichzeitig eine wertvolle Interpretation des Klassikers darstellt. Das Original gelesen zu haben, kann für das Verständnis der Geschichte dennoch sehr hilfreich sein. Vielleicht – wie bei mir – ist die Lektüre des Graphic Novels auch ein Anlass, die Vorlage selbst einmal zu lesen.

© Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum, Carlsen 2019.
Isabel Kreitz (Hrsg.): Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum, Carlsen 2019.

 

Karolin Kolbe
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