Im Gespräch mit Madeleine Prahs

Letztes Jahr ist „Nachbarn“, das Debüt der Leipziger Autorin Madeleine Prahs, erschienen. Der Episodenroman verknüpft die Schicksale von sechs Menschen im Zeitraum von 1989 und 2006. Im Gespräch mit LITAFFIN erzählt Madeleine vom Schreiben, der Arbeit an ihrem ersten Buch und warum „Nachbarn“ nicht ausschließlich ein Wenderoman ist. 

Portrait Madeleine Prahs 2014
Foto: Louis Volkmann

Du bist gerade in Berlin im Literarischen Colloquium, lebst aber eigentlich in Leipzig. Was machst du gerade im LCB?
Ich habe für mein neues Romanprojekt das Aufenthaltsstipendium des LCB bekommen und freue mich sehr, hier sein zu dürfen.

Wie ist die Idee zu deinem ersten Roman „Nachbarn“ entstanden?
Es gab in dem Sinne keine Idee oder zündendes Moment. Das hört sich jetzt vielleicht nicht so sexy an, aber „Nachbarn“ entstand langsam. Der Roman entwickelte sich aus einer Kurzgeschichte heraus, und in dieser Kurzgeschichte waren alle Figuren schon vorhanden bis auf das kleine Mädchen Marie. Im Laufe des Schreibprozesses wurden diese Figuren dann zu so etwas wie Mitbewohnern. Es gab oft Momente, in denen ich am Text verzweifelt bin, dann habe ich die Combo einfach vor die Tür geschoben und laut gerufen: „Macht’s gut und kommt bitte nie wieder!“ Aber am nächsten Tag standen sie dann wieder vor der Tür, sahen schrecklich zerzauselt und völlig übernächtigt aus, und dann habe ich sie wieder in die Wohnung gelassen. Ich bin meinen Figuren einfach nicht entkommen, die waren sehr hartnäckig.

Wie lange hat die Arbeit daran gedauert und wie hat sich dein Schreibprozess gestaltet?
Nach meinem Studium begann ich als Lektorin und Journalistin zu arbeiten. In der wenigen freien Zeit, die ich hatte, habe ich aber nicht nur geschrieben, sondern auch gelesen, systematisch gelesen. Schreiben hat ja auch immer mit Handwerk zu tun, und dieses Handwerk muss man ja lernen. Ein Musiker braucht auch seine Zeit, bis er sein Instrument kennt. Ich schreibe vor allem in den Abend- und Nachstunden, ich schreibe viel, ich lasse die Texte liegen, und nach einiger Zeit wird gestrichen und zwar radikal. Von dreizehn geschriebenen Seiten bleiben nach dem Kürzen vielleicht nur zweieinhalb übrig. Das ist manchmal hart, aber es hat ja auch keiner behauptet, dass es einfach werden würde (lacht).

Wieso hast du gerade diese Figurenkonstellation ausgewählt? Die Figuren haben ja ganz verschiedene Hintergründe.
Auch hier begann alles mit Suchbewegungen. In der Konstellation um Hans, Hanna, Matthias stand die Frage nach dem Verrat im Zentrum, bei Anne, Fritzsche und Marie ging es um Existenzängste und Verlustängste. Mit dem Kunstgeschichtsprofessor Hans Hofmann haben wir jemanden, der im akademischen Milieu zuhause ist, Karl Fritzsche war Zeit seines Lebens Eisenbahner und wird arbeitslos. Anne ist Altenpflegerin und alleinerziehende Mutter. Die Lebenswelten dieser Figuren, aber auch die geschichtlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, denen diese Welten unterworfen sind, haben mich enorm interessiert, und ich habe viel Zeit für die Recherche aufgewandt. Eines stand von Anfang an fest: Ich wollte unbedingt zeigen, wie diese Figuren ihre Existenz bestreiten. Ich glaube, Arbeit ist etwas Identitätsstiftendes, und man kann das nicht auf zwei, drei Seiten abhandeln. Harun Farocki hat einmal in einem Interview gesagt, dass in Filmen noch immer viel mehr Energie darauf verwendet wird, Liebe, Produkte oder Kriminalität zu zeigen. Ich finde, das trifft auch auf die Gegenwartsliteratur zu, dabei erzählt Arbeit doch sehr viel von der sozialen Beschaffenheit einer Gesellschaft. Mein nächster Roman spielt also in einem Großraumbüro (lacht).

Ich bin meinen Figuren einfach nicht entkommen, die waren sehr hartnäckig.

Wie gehst du damit um, dass der Roman als Wenderoman gelabelt wird? Wie wichtig ist dieser Aspekt innerhalb des Romans?
Man kann das ja nicht beeinflussen, aber wenn ich mir jetzt wünschen könnte, wie dieser Roman wahrgenommen wird, würde ich sagen: nicht als reiner Wenderoman. Der Fall der Mauer und die gesellschaftlichen Umwälzungen, die nach 1989/1990 stattgefunden haben, haben vielen ehemaligen DDR-Bürgern ganz neue Perspektiven eröffnet. Hier setzt mein Roman ein, ich schaue, wie entwickeln sich die Figuren, bis zu welchem Grad erfüllen sich ihre Hoffnungen, Träume und Wünsche – oder eben nicht. Aber „Nachbarn“ endet im Jahr 2006, und hier spielt es dann keine Rolle mehr, ob die Figuren aus Ost oder West kommen. Es geht um Themen wie Existenzangst oder Alterseinsamkeit, und es war mir von Anfang an sehr wichtig, diese Figuren auch mit den Problemen einer Gegenwart zu konfrontieren. Meine Figuren kommen im Jetzt und Heute an. Natürlich haben sie eine Vergangenheit, die mit der »Wende« zu tun hat, aber sie haben auch eine Gegenwart. Und diese Gegenwart ist gesamtdeutsch.

Wie kamst du zum Schreiben?
Als Jugendliche habe ich begonnen, Gedichte zu schreiben. Die Gedichte wurden irgendwann länger, wurden Prosaminiaturen. Aus den Prosaminiaturen wurden Kurzgeschichten, und mein Debüt „Nachbarn“ hat sich aus einer Kurzgeschichte entwickelt.

War das schon immer dein Wunsch?
Naja, also Schreiben kann ja auch mitunter sehr anstrengend sein, es kostet viel Kraft, wenn man es ernst meint. Mitunter ist dann eher der Wunsch oder Gedanke da, alles hinzuschmeißen und Rockstar zu werden (lacht). Ich hatte vor der Bezeichnung „Schriftstellerin“ lange großen Respekt, und es wussten bis zur Veröffentlichung von „Nachbarn“ auch viele nicht, dass ich überhaupt schreibe. Mir war das wichtig, in diesem geschützten Raum zu sein, in dem man mit seinem Schreiben noch alleine sein kann und nicht jeden halben Meter über seine Texte oder das Schreiben reden muss, sondern sich über etwas ganz anderes austauschen kann, über Filme oder Musik, über Fußball oder die Frage „Sind wir möglicherweise zu nah am Wodka gebaut?“ (lacht)

Was liest du privat gerne? Was hat dich beeinflusst?
Momentan lese ich Edgar Hilsenraths „Der Nazi und der Frisör“ und der Roman begeistert mich sehr. Mein Lieblingsbuch, ungebrochen, ist immer noch „Meister und Margarita“ von Bulgakow, meine Lieblingserzählung ist „Die Nase“ von Gogol. Auf die einsame Insel würde ich einen Gedichtband von Thomas Brasch mitnehmen. Zwei zeitgenössische Autoren, deren Romane und Erzählbände ich sehr mag, sind Ralf Rothmann und die großartige Schottin A. L. Kennedy. Keine schreibt so schräg, komisch, wahr und verzweifelt über die Liebe – diesen kleinen, wasserfarbenen Klumpen ohne Fell.

Vielen Dank an Madeleine für das Interview!

Eva Philippi

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen