„Guapa“ von Saleem Haddad – ein mitreißendes Debüt

Rasa ist siebenundzwanzig Jahre alt, wohnt mit seiner Großmutter in einer arabischen Stadt und sollte langsam heiraten. Das denkt zumindest sein Umfeld. Doch der Mensch, den er liebt, darf er nicht einmal in der Öffentlichkeit küssen, denn es ist ein Mann. Saleem Haddads Debütroman „Guapa“ erzählt 24 Stunden im Leben von Rasa, in denen sich alles verändert.

Im Rahmen der Indiebookchallenge 2018/19, herausgefordert von Sarah Käsmayr / Maro Verlag, widmen wir uns eine Woche lang dem Thema #queeresBuch: 7 Tage, 7 queere Indie-Bücher. Charlotte stellt den Roman Guapa vor.
Saleem Haddad „Guapa“ © Charlotte Steinbock

In der vergangenen Nacht hat seine Großmutter Rasa und seinen Geliebten Taymour im Bett erwischt und damit bröckelt nicht nur das Narrativ, die Rasa der Welt all die Jahre erfolgreich über sich erzählt hat, auch in seinem Innern verliert er das Gleichgewicht. In diesem einen Tag nach dem traumatischen Ereignis, stellen sich Rasa viele Fragen sowohl zu seiner Identität als auch zu der seines Landes und seiner Familie.

Fremdbestimmte Identitätskrisen

In Rückblenden erfahren wir, wie er seit seiner frühesten Jugend mit der Sehnsucht nach Amerika aufgewachsen ist. Mit der Sehnsucht nach diesem Land, aus dem George Michael kommt. George Michael, durch den ihm klar geworden ist, was an ihm anders ist; der ihm diese identitätsstiftenden Worte geschenkt hat: „Ich bin schwul.“ Als Rasa nach der Schule zum Studieren nach Amerika geht, ist er voller Hoffnung, endlich ein schwules Leben führen zu können, endlich nicht mehr von einem Teil seiner Selbst bestimmt zu werden, den er gezwungen ist zu unterdrücken. Doch es ist das Jahr 2001. Es ist September. Kurz nach seiner Ankunft passiert der Anschlag auf die Twin Tower und die Stimmung in der Gesellschaft beginnt zu kippen. Während am Tag nach den Anschlägen noch ein blonde Studentin an seine Tür klopft und ihm versichert, niemand würde ihm die Schuld geben, so geschieht doch schnell genau das. Er sieht sich mit Blicken, Klischees und Vorwürfen konfrontiert, wohin er auch geht. Auf einmal ist seine Homosexualität nicht mehr die große offene Frage seiner Identität. Sie wird verdrängt durch sein Arabischsein, seine Herkunft und Religion. In unendlicher Einsamkeit und Abgeschiedenheit fragt er sich, was das bedeutet.

Innere und äußere Zerrissenheit

Rasas innere Zerrissenheit steht der Zerrissenheit seines Landes gegenüber. Wir reisen mit ihm zurück in die Vergangenheit, zu den ersten Protesten des arabischen Frühlings mit all den großen Hoffnungen. Es herrscht eine Welle der Euphorie und die idealistischen Demonstrant*innen sind sich sicher, die Zukunft des Landes mit den eigenen Händen schmieden zu können. Trotz Tränengas in den Augen hätten sie nicht energetischer und hoffnungsvoller sein können.

Mein strahlendes Gesicht mit tausend anderen, dicht gedrängt, wehende Flaggen und Siegeshymnen. Die Kamera schwenkte über unsere namenlosen Gesichter, und wir jubelten ihr zu. Jeder von uns hatte durchaus einen Namen, eine Geschichte, ein Leben. Doch wir waren bereit, all das hinter uns zu lassen, um stark, vereint, standhaft zu wirken. Für diesen einen Augenblick wollten wir namenlos sein und gemeinsam ein Bollwerk gegen den ganzen verdammten Mist bilden, den wir bis dahin für unabänderlich gehalten hatten.

Doch die Stimmung kippt, eines Tages fallen Bomben. Stück für Stück reißen religiöse Extremisten die Revolution an sich, bis es nur noch die autoritäre Regierung auf der einen Seite gibt oder den streng religiösen Widerstand auf der anderen. Unter keinem der beiden Regime dürfte Rasa seine Homosexualität offen ausleben. Zu den wenigen Hoffnungsschimmern gehört die queere Untergrundszene.

Doch inmitten dieser verwesenden, brennenden Stadt gibt es noch Nester der Hoffnung. Man findet sie in den winzigen Hinterzimmern von Untergrundbars, wo Frauen mit kurzen Haaren Männern in Frauenkleidern zujubeln.

Einer dieser Männer in Frauenkleidern ist Rasas bester Freund seit Kindertagen, Maj. Er wird in den 24 Stunden, die wir Rasa begleiten, von der Polizei festgehalten. Es bleibt unklar, ob es wegen seiner sexuellen Identität ist oder wegen seiner aktivistischen Arbeit, bei der er für ausländische Medien Beweise für Polizeibrutalität dokumentiert. Brutalität, die er nun am eigenen Leibe erlebt. Schon immer hat Maj sich für nichts geschämt und sich nicht versteckt und hat dafür die Gewalt anderer in Kauf genommen. Auch nach dem Verhör ist er nur überzeugter  von seinem Kampf und der Notwendigkeit, seine Identität in aller Schrillheit auszuleben. Rasa ist stolz auf ihn und bewundert ihn für diese innere Festigkeit, die ihm selbst fehlt. Er kann aber auch nicht den anderen Weg gehen, der von verschiedenen Figuren vorgelebt wird: Heiraten, ein „anständiges Leben“ führen, eine Familie gründen und ein zweites geheimes Leben im Schatten leben, wo die wahren Bedürfnisse hin und wieder für einen kurzen Moment befriedigt werden. Für dieses Leben hat sich jedoch Rasas Geliebter Taymour entschieden.

Ein nicht weniger kompliziertes Thema ist die Familie. Seit dem Verschwinden seiner Mutter und dem Tod seines Vaters wohnt Rasa mit seiner Großmutter Teta zusammen.

Diese alte Frau und ihre altertümlichen Wertvorstellungen. Ihre Ideale hätten schon vor langer Zeit aussterben sollen, und doch hängen sie noch in der Luft wie ein Furz. Leute wie sie stehen zwischen Taymour und mir. Weiß diese alte Frau denn nicht, was Liebe ist? Haben das Alter und ihr schales Schamgefühl ihr Herz vertrocknen lassen? Eib, würde sie sagen. Eib. Diese zwanghafte Beschäftigung mit der Frage, was die anderen wohl sagen könnten, hat sie ihrer Menschlichkeit beraubt.

Eib ist mehr als nur Scham. Es ist die größte Drohung und tritt immer wieder als der große moralische Gefängniswärter der Gesellschaft auf. Teta ist besonders besessen davon. Rasa muss nicht nur seine Handlungen vor ihr verstecken, sondern vor allem seine Gedanken und Gefühle.

Ich war nun der Mann im Haus und völlig unvorbereitet auf diese Rolle. Zudem regten sich noch andere Gefühle in mir, gefährliche Gefühle, die Tetas Regeln herausforderten. Nach außen hin durfte man nichts sagen, deshalb schuf ich in meinem Innern einen geheimen Käfig, in dem ich diese dunklen Gedanken lagerte. Ich fing sie ein wie Vögel und steckte sie in diesen Käfig für Zeiten, in denen ich sie brauchen konnte. In diesen Käfig sperrte ich Geheimnisse, die ich nicht mal flüstern konnte, damit sie nicht in die Welt entwichen.

Die Reflexion über Sprache spielt ebenso eine große Rolle, da sie direkt an Fragen der Identität und der Politik anknüpft.

Das ist nur ein Teil der Themen dieses rund 260 Seiten starken Buches. Es geht um Sprache und Narration, Vertrauen, Freundschaft, Widerstand, Fremdheit, Anstand, Kultur, Rollenbilder und Freiheit. Elegant schafft Saleem Haddad all dies zu verstricken mit viel Emotion, sehr tiefgründig und zugleich unglaublich spannend. Ein echter Pageturner, bei dem man ständig zurückblättern muss, um die verdichteten Gedanken noch einmal in Ruhe wirken zu lassen, bevor man sich wieder vom Strom der Erzählung mitreißen lässt.

Saleem Haddad, "Guapa"

Albino Verlag, Berlin 2017

Taschenbuch, 400 Seiten, 16,99 EUR

Beiträge zur Indiebookchallenge #queeresBuch:

            Beitrag I: Queer, Schwarz, rebellisch – Biskaya

            Beitrag II: „Guapa“ von Saleem Haddad – ein mitreißendes Debüt

            Beitrag III: Queer & Unerschrocken

            Beitrag IV: Eine Liebe genderneutral erzählt – „Sphinx“ von Anne Garréta

              Beitrag V:  „Fleisch“ – queere Liebe mit viel Klischee

              Beitrag VI:  Indie & Queer? – Die Frankfurter Buchmesse 2018

              Beitrag VII: Sterbehilfe ganz nahe – „Einfach gehen“ von Steven Amsterdam

Charlotte Steinbock
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