Lektüre der Longlist – Ein (gescheiterter) Selbstversuch Teil VI

Auch wenn das „Longlist-Projekt“ als kläglich gescheitert bezeichnet werden kann, ist es trotzdem durchaus lohnenswert, die nominierten Titel nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Von Zeit zu Zeit sollen sie Euch zumindest hier noch begegnen, denn immerhin wurden, davon gehen wir jetzt zumindest mal aus, die 20 Titel ja nicht umsonst nominiert, die besten deutschsprachigen Romane des letzten Jahres zu sein.

Ein wahres Schwergewicht, nicht nur wegen seiner knapp 700 Seiten, sondern auch schon des Titels wegen ist Bodo Kirchhoffs Roman „Die Liebe in groben Zügen“. Der Aufbau des Romans erinnert an eine EP im Endlosmodus: sechs Erzählstränge werden im Wechsel immer wieder aufgegriffen und abgespielt. Und genau wie die Platte, die man auf endlos gestellt hat, weil man nicht genug davon bekommen konnte, gehen einem die Stränge nach der zigsten Wiederholung nur noch auf die Nerven. Man kann das immerselbe Lied nicht mehr hören.

Natürlich, Liebe ist ein großes Thema, wenn nicht sogar DAS Thema, so etwas Monumentales braucht Raum und auf diesen 700 Seiten Raum erliest man die Liebe aus den verschiedensten Blickwinkeln: abgewetzt und geschliffen, wie nach vielen Jahren Ehe, schmerzhaft und bedingungslos, wenn sie gerade neu entdeckt wird. Man erfährt sie als Ergebnis verschiedenster Konstellationen: zwischen Eheleuten und Affären, gleichgeschlechtlich und bedingungslos. So bunt wie der Teppich ist, den uns Kirchhoff mit seinem „Liebesfaden“ dort webt, bleibt das Muster doch das gleiche: ein 64 jähriger Mann, der ein Buch über Liebe und Liebende schreibt.

Es heißt zwar „… in groben Zügen“ aber so grob die Züge nicht, zumindest nicht die, welche er seinen Charakteren gibt: Vila und Renz, das Frankfurter Ehepaar jenseits ihrer besten Zeiten, die Tochter Katrin, eine unstete Enthnologin, Marlies und Bühl, die jeweiligen Geliebten, und, nicht zu vergessen, Franz von Assisi und Klara. Besonders die Ehe von Vila und Renz wird dem Leser auf’s Genaueste dargestellt. Nackt und unverfälscht steht sie vor uns, mit ihren Falten und Makeln, aber auch mit ihrer Schönheit, „die nur der Liebende sieht“. Gewiss legt uns Kirchhoff hier ein „opus magnum unter den Eheromanen“ vor, was durchaus seine Berechtigung hat, nur hätten es 200 Seiten weniger auch getan. Genau wie es wohl nichts besonderes mehr ist, nach 30 Ehejahren zusammen am Frühstückstisch zu sitzen, die immer gleiche Aussicht zu haben – auch wenn sie in diesem Fall zwischen Frankfurt und Italien wechselt – sind seine immer gleichen Beschreibungen der immer gleichen Abläufe, Orte und Charaktere auch irgendwann nicht mehr besonders. Dann wäre es wohl an der Zeit gewesen, die Platte zu wechseln oder den CD Player auszuschalten.

Der Bugatti ist zwar hinüber aber eins hat Dea Lohers neuer Roman auf jeden Fall nicht: einen Sprung in der Platte. „Bugatti taucht auf“ beginnt im ersten Teil mit den Tagebucheinträgen des Rembrandt Bugatti. Der zweite Teil, ein Bericht über die Geschehnisse einer Fastnacht in Locarno, bei der ein junger Mann von drei Jugendlichen zusammengeschlagen und tödlich verletzt wird, beginnt zunächst im Futur. Es ist wirklich bemerkenswert, wie strikt sie das Tempus einhält, und ein Vergnügen, den Schilderungen zu folgen. Im zweiten Teil, ab dem siebten Kapitel, wechselt die Zeit abrupt ins Präteritum. Das ist genau der Punkt in dem sich der Handlungsschwerpunkt verschiebt, weg von der Vogelperspektive über der Kirmes in Locarno, hin zu genauen Betrachtungen der beteiligten Personen, wobei der Ton durchgängig sachlich bleibt.

Im dritten Teil kommt schließlich die Bergung des Bugatti. Die drei Teile sind strikt getrennt und gehören doch zusammen. Wir haben zunächst also Rembrandt Bugatti, den Bruder des Autoherstellers, im Folgenden den tragischen Tod Lucas und im abschließenden Teil Jordi, einen Freund der Eltern Lucas. Luca als auch Jordi stammen aus dem Locarno, in dessen See 90 Jahre zuvor der Bugatti versenkt wurde.

Bis hierhin: alles klar? Wenn nicht, Dea Loher versteht es jedenfalls, auf bemerkenswerte Weise einen Mikrokosmos aufzuziehen, der sich im Laufe der Jahre um dieses Auto gesponnen hat, ohne dass es direkt Einfluss auf die Menschen gehabt hätte. Mit einem präzisen Auge für Situationen und Charaktere verknüpft sie die drei Erzählstränge zu einer prägnanten Geschichte.

Bodo Kirchhoff
Die Liebe in groben Zügen
erschienen bei: Frankfurter Verlagsanstalt
670 Seiten, 28.00 €

Dea Loher
Bugatti taucht auf
erschienen bei: Wallstein Verlag
208 Seiten, 19.90 €

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