Literatur und Babys? Ja, bitte!

2016 bei New Directions verlegt, dauert es hoffentlich nicht mehr lange, bis die deutsche Übersetzung zu Rivka Galchens Little Labors erscheint. In ihrer Textesammlung macht sie verschiedene Beobachtungen rund um das Thema Babys: Alltagssituationen, Assoziationen und philosophische Spielereien. 

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Wenn man bei Freunden zu Gast ist, die seit neustem Nachwuchs haben, und dann noch lauter andere Freunde dieser Freunde da sind, die auch alle Nachwuchs haben, dann fühlt man sich als jemand ohne Kinder schnell abgehängt. Ganz anders ist es bei der Lektüre von Rivka Galchens essayistischen Beobachtungen Little Labors. Zwar haben all diese Texte mit Babys im Allgemeinen oder mit dem Baby der Autorin im Speziellen zu tun, aber überrumpelt oder genervt fühlt man sich von ihnen keinesfalls. In einer ihrer Erzählungen stellt Galchen selbst fest, dass Babys in literarischen Texten eine Seltenheit sind. Kinder kommen vor, ja, aber Babys eher nicht.

Wenn Literatur und Babys jedenfalls immer so toll verknüpft werden, wie es der kanadischen Autorin gelingt, dann kann man das nur begrüßen. In ihren feinfühligen, teils philosophischen Essays schreibt sie über Alltagssituationen, Gedanken und Beobachtungen, seit sie ein eigenes Kind hat. Diese Texte tragen Titel wie Other people’s babiesReligious aspects of the babyLiterature has more dogs than babies oder How the puma affects others. Hier sei erwähnt, dass „Puma“ ein liebevoller Spitzname für ihr Baby ist. Das Schöne und Besondere an Galchens Erzählungen ist, dass ihre Beobachtungen tatsächlich neutral sind. Sei es das Phänomen, dass ihre Tochter furchtbar gerne das unterste Fach des Badezimmerschranks ausräumt, das seit der Geburt des Kindes veränderte Verhalten ihrer Mitmenschen (zum Beispiel ein Obdachloser, der, zuvor immer ruppig und aggressiv, nun der größte Gentleman ist) oder seien es seltsame Aufzug-Begegnungen mit einer fiesen Nachbarin  Galchen blickt aus einer gewissen Distanz auf diese Situationen, ohne emotionale Aufgeregtheit. Sie nimmt sie hin, macht sich Gedanken darüber, die sie später wieder verwirft und irgendwann erneut aufgreift: Es gelingt ihr, ihren Gedankenfluss zu Papier zu bringen, ohne dass er chaotisch, überfordernd oder schlicht uninteressant ist.

Und: Sie traut sich, ehrlich zu sein. So gibt sie zum Beispiel zu, dass sie Babys eigentlich nie sonderlich mochte, bis sie selbst eins hatte. Oder sie berichtet von den Momenten, in denen sie sich „wiped out“ fühlt  ausgelaugt. Nie aber hat man den Eindruck, sie lade ihren seelischen Ballast beim Leser ab. Auch hier bleibt sie ihrem Stil treu und beobachtet, wie ihr diese Gefühle passieren, um sie staunend zu analysieren. Oder sie hinterfragt mit bemerkenswerter Geduld die Worte, die diese Gefühle beschreiben.

Little Labors ist kein Ratgeber, kein Erfahrungsbericht und keine Fiktion. Es ist ein literarischer Text über ein neues Leben das Leben mit einem Baby   unterteilt in eine Vielzahl kreativer Schnipsel, einer origineller als der andere. Dabei bleibt das Thema Nachwuchs immer unterschwellig, fast im Hintergrund, es ist der rote Faden, der alles verbindet, und doch geht es in Galchens Geschichten um so viel mehr: Identität, Verantwortung, Einsamkeit, Wahrnehmung und Frausein.

Little Labors
von Rivka Galchen
New Directions, 15,99 €
Gebunden, 130 Seiten

Lena Prisner

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