Poesie verfilmt – ein Gespräch mit Avi Dabach

Avi Dabach hat in Jerusalem Film studiert und arbeitet heute als unabhängiger Regisseur und Videokünstler. Seine Poesiefilme werden auf internationalen Festivals gezeigt. Mit Litaffin spricht Dabach über die neue Kunst des Poesiefilms und dessen Auswirkungen auf die Poesie selbst.

Litaffin: Was kam zuerst für dich – Wort oder Bild? Poesie oder Film?

Dabach: Ich glaube, es war das Wort und mein Interesse an Poesie. Als Teenager habe ich häufig Gedichte gelesen. Später habe ich auch viele Filme gesehen, ohne jedoch zu denken, dass ich selbst irgendwann mal welche machen würde. Als ich dann anfing, Film zu studieren, sollten wir einen Kurzfilm mit nur einem Charakter drehen. Ich entschied mich, den Film über mein Lieblingsgedicht zu machen. In diesem Film habe ich Poesie und Bilder zum ersten Mal gemischt. Es lief nicht wirklich gut, aber es war ein Anfang. (Lacht). Einer meiner Lehrer sagte mir damals, es wäre keine gute Idee, die beiden Künste zu vermischen…

Litaffin: Was macht ein Gedicht für dich verfilmenswert?

Dabach: Es muss erst mal ein Gedicht sein, das ich mag. Es gibt natürlich viele gute Gedichte, aber manche fordern mich geradezu auf, sie zu verfilmen. Bei manchen Gedichten habe ich sofort Bilder im Kopf, wenn ich sie das erste Mal lese. Bei anderen passiert das nicht sofort, aber dennoch fühle ich, dass ich mich trotzdem an sie heran wagen sollte.

Litaffin: Du hast schon einige Gedichte von T. Carmi verfilmt. Was ist so besonders an seinen Gedichten?

Dabach: Carmi ist mein liebster israelischer Dichter. Er schreibt auf eine sehr einfache Weise in einem wunderschönen Hebräisch. Gleichzeitig sind seine Gedichte aber sehr tiefgreifend in ihrer Bedeutung. Bis heute habe ich bereits acht Filme gedreht, die auf seiner Poesie basieren.

Litaffin: Wie gehst du vor, wenn du ein Gedicht verfilmen willst?

Dabach: Das ist eigentlich bei jedem Gedicht anders. Manchmal habe ich eine Idee lange Zeit im Kopf, bis ich plötzlich irgendetwas sehe, was diese Idee bildhaft macht. Als ich zum Beispiel eines von Carmis Gedichten verfilmen wollte und absolut nicht wusste wie, habe ich eine Tanzperformance gesehen und schließlich das Gedicht mit dem Tänzer verfilmt.

Litaffin: Wie schaffst du es, ein Gedicht auf ein Setting zu beschränken?

Dabach: Ich mag das Wort „beschränken“ nicht. Ich erweitere das Gedicht, ich übersetze es. Manchmal ist das ganz schön schwierig, manchmal ist es ganz einfach. Manchmal ist es sehr billig, manchmal ziemlich teuer… (Lacht).

Litaffin: Aber denkst du nicht, dass ein Setting das Gedicht begrenzt?

Dabach: Ich versuche in meiner Arbeit immer, das Gedicht zu erweitern. Man kann viele Poesiefilme sehen, die genau das schaffen, die das Gedicht sogar weiter erzählen. Genauso gibt es natürlich Poesiefilme, die das Gedicht einfach nur illustrieren. Ich versuche immer, eine Verbindung zwischen Wort und Bild zu finden, so dass eine Dynamik zwischen beiden entsteht, die eine neue Interpretation ermöglicht.

Litaffin: Du hast einige deiner Filme schon auf internationalen Festivals neben Poesiefilmen aus anderen Ländern präsentiert. Konntest du da eine Besonderheit des israelischen Poesiefilms ausmachen?

Dabach: Soweit ich das gesehen habe, werden in israelischen Kurzfilmen weniger Animation und dafür mehr Elemente aus dem „echten Leben“ genutzt. Ich vermute, dass der Hauptgrund dafür das Geld ist. Es ist so viel einfacher, deine Kamera zu nehmen und etwas zu filmen, was bereits existiert, anstatt in ein Animationsstudio zu gehen. Wenn man auf einem Filmfestival ist, sieht man nach jedem Film einen Abspann mit den Danksagungen an die Förderer und Unterstützer. Bei israelischen Filmen ist dieser Abspann meist ganz schön kurz, da die Filme meist experimenteller gemacht werden.

Litaffin: Also hat die Poesie und speziell der Poesiefilm auch in Israel einen schweren Stand?

Dabach: Das größte Problem in Israel ist, dass es eigentlich keinen Rahmen gibt, in dem ich meine Poesiefilme zeigen kann. Es ist unheimlich schwierig den Leuten zu erklären, was ein Poesiefilm überhaupt ist. Zum Glück wird es seit etwa einem Jahr ein bisschen einfacher, das Genre wird bekannter und Räume werden geschaffen. Aber ich habe immer noch zwei Filme, die niemals in Israel gezeigt wurden, dafür aber unter anderem in New York und in Berlin. Daran müssen wir noch arbeiten – an einer besseren Plattform für Poesiefilme in Israel.

Litaffin: Denkst du, dass die beginnende Verbreitung des relativ neuen Genres des Poesiefilms auch das öffentliche Interesse für die eher alte Kunst der Poesie wecken kann?

Dabach: Auf diese Frage gibt es genau zwei Antworten: ja und nein. Ja, denn durch Poesiefilme dehnt sich auch die Poesie selbst aus und erreicht eine größere Öffentlichkeit. Leute, die normalerweise keine Poesie lesen, treffen plötzlich wieder auf sie und entwickeln im besten Fall ein Interesse für sie. Schließlich könnte dies der Grund dafür sein, wieder mehr Poesie zu lesen, über sie nachzudenken und sie zu diskutieren. Nein, denn man muss Gedichte nicht mehr lesen, wenn man sie auch in Form von Videogedichten sehen kann. Letztlich ist doch auch die Form der Poesie bereits eine Kunst. Bevor man Gedichte drucken konnte, musste man sie vortragen. Heute gibt es kaum noch Dichter, die ihre Kunst noch gut vortragen können. Man muss nur an Bob Holman (amerikanischer Spoken Word Künstler, Anm. d. Red.) denken. Er ist einer der wenigen international bekannten Künstler, der seine Poesie noch performen kann. Ansonsten ist die Kunst, das eigene Gedicht vorzutragen, fast tot. Vielleicht droht dem gedruckten Wort durch das Genre des Poesiefilms dasselbe Schicksal. Aber letztendlich wird die Poesie durch den Film doch auch weiter verbreitet, einem größeren Publikum zugänglicher gemacht und somit ihre Rolle gestärkt. Das ist doch eine gute Sache, oder?

Igra Rama – Mountain High. Ein Poesiefilm von Avi Dabach, basierend auf dem Gedicht von Tal Nitzan.

Spring 82. Ein Poesiefilm von Avi Dabach, basierend auf dem Gedicht von T.Carmi.

Das Interview führte und übersetzte Miriam Koruschowitz.

Foto © Miriam Koruschowitz.


Letzte Artikel von Miriam Koruschowitz (Alle anzeigen)

2 Kommentare zu „Poesie verfilmt – ein Gespräch mit Avi Dabach“

  1. Tolles Interview und tolle Filme. Die Kategorie des Posiefilms war mir bisher kaum bekannt. Eine Internetseite, die solche Filme auflistet, gibt es nicht zufällig?

    1. Miriam Koruschowitz

      Danke für die Blumen lieber Markus! Natürlich nehm ich das Lob für die Filme nicht entgegen, damit hab ich ja nix am Hut.. ;) Hier ist der Youtube-Kanal vom Zebra Poetry Film Festival: http://www.youtube.com/user/ZebraFestival Dort findest du viele schöne Poesiefilme, unter anderem auch einen weiteren von Avi Dabach („Teich“), der im Berlin-Tel Aviv Workshop entstanden ist. Davon gibts auch eine Dokumentation („Poetic Encounters Workshop“). Genauso findest du auf dem Kanal die beiden anderen Ergebnisse des Workshops „Die unsichtbare Hand“ von Joshua Simon und „Christmas in Huntsville“ von Emanuella Amichai. Viel Spaß beim Stöbern!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen