Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © Angie Martiens

„Der Ursprung der Liebe“ und was von ihr übrig blieb

Liv Strömquists zweite deutschsprachige Übersetzung ist seit Kurzem raus und  wird in den Medien und Buchhandlungen bereits gefeiert. Nach ihrem deutschen Graphic-Novel-Debüt Der Ursprung der Welt, einer Kulturgeschichte der Vulva, geht es nun um die Liebe. Der Ursprung der Liebe erzählt von der Entstehung der Liebesehe vor gerade einmal 150 Jahren, von den patriarchalen Wurzeln der Monogamie, von den Parallelen zwischen Liebe und Religion und vielem mehr. Angie hat sich mit Inna Barinberg, Polyamorie-Aktivistin und Bloggerin, über den neuen Comic, Liebe und Ketzertum unterhalten.Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © Angie Martiens

Angie: Liv Strömquists Comic-Band Der Ursprung der Liebe, der im Schwedischen schon 2010 erschien, erzählt eine Kulturgeschichte der Liebe. Er erzählt davon, dass (westliche) Monogamie historisch in der Idee des männlichen Eigentumsrechts über ‚die Frau‘ wurzelt, dass die moderne Idee von Liebesbeziehungen erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam und dass wir alle mit dieser Liebe seit jeher ein ganz schönes Drama durchleiden. Formal arbeitet das Buch sehr diskursanalytisch, schaut sich Rhetoriken und Konzeptionen der Liebe in Medien, Fernsehsendungen wie Sex and the City oder Two an a Half Men und in der Kunstgeschichte an und unterfüttert die Beobachtungen mit psychoanalytischen, philosophischen und vor allem feministischen Theorien sowie Studien. Was ist Dein erster Eindruck vom Comic, Inna?

Inna: Sie lässt sich viel Zeit, ihre Argumente auszuführen. Gerade diesen Aufbau mit vielen lebensnahen und alltäglichen Beispielen finde ich super gut und sinnvoll. Die komplexen Theorien, auf die sie meist auch nur kurz Bezug nimmt, werden durch die vielen Beispiele veranschaulicht – man kann ihr gut folgen. Ich erkenne da grob zwei Teile: zunächst das lange analytische Auseinandernehmen der Liebe und dann die Frage nach dem ‚Wo stehen wir jetzt?‘.

Strömquist hat die Liebe ganz schön auseinandergenommen

Angie: Gerade da lässt das Buch die Leser*innen aber mit vielen Fragen zurück. Strömquist hat die Liebe, wie Du eben sagtest, ganz schön auseinandergenommen: Theoretisch wurzeln Monogamie und exklusive Liebe im Besitzdenken und sind sehr stark in Machtstrukturen eingebunden; gleichzeitig ist unser monogames und exklusives Liebeskonzept so internalisiert, dass wir bei ‚Untreue‘ praktisch mit psychischem und emotionalem Leiden umgehen müssen. Es ist super vertrackt und Strömquist lässt die Lesenden insofern alleine damit zurück, als sie keine wirklichen Alternativen anbietet. Denn auch andere Modelle wie Polygamie, Polyamorie oder ganz einfach erstmal das Verabschieden von der Idee einer ewig währenden Liebe werden durch Strömquists satirischen Ton, der typisch für sie ist, letztlich auch nur als Abwandlungen des alten Dramas, aber eben nicht als positive Neuentwürfe, dargestellt.

Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © avant-verlag
Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © avant-verlag

Inna: Ja, insofern ist der Comic tatsächlich frustrierend… Versteh mich nicht falsch: Ich finde das Buch wirklich großartig, denn seine analytische und leicht zugängliche Herangehensweise ist stark und es hat mich sehr zum Nachdenken angeregt –

Angie: Absolut! Allein das Grundanliegen von Strömquists feministischen Comics ist ohne Frage wichtig und toll!

Inna: – ja, aber ich habe mich schon ein wenig daran gestört, dass sie über den analytischen Fokus und über wiederholte Begriffe wie ‚rational‘ insgesamt den Eindruck erweckt, man könne an die Frage einfach rational rangehen. Als brauche man nur erkennen, dass die Welt konstruiert ist und als könne man es dann einfach anders machen – aber Liebe funktioniert eben nicht immer rational. Verzahnungen von Macht und Geschlechtlichkeit und Liebe lassen sich nicht so einfach lösen, da wir auch emotional eingebunden sind. Gerade das ist das Grundproblem, dem sich ja auch meine Workshops wie der Embracing-Jealousy-Workshop widmen… Ich meine, prinzipiell sehe ich es nicht kritisch, dass Strömquist hier die Arbeit leistet, die Liebe auseinanderzunehmen, und einen dann mit offenen Fragen zurück lässt – sie ist ja nicht unsere Erziehungsperson und muss uns an die Hand nehmen –, aber ich fände es eben sinnvoll, wenn der Comic an manchen Stellen noch etwas differenzierter wäre.

Angie: An welchen Stellen noch, abgesehen von der Suggestion einfacher und rationaler Lösbarkeit?

Inna: Die Darstellung von Poly-Beziehungen finde ich zu pessimistisch und undifferenziert. Das hattest Du schon kurz angedeutet. Polyamorie wird nur an zwei Stellen angeschnitten und beide Male negativ dargestellt: Vielliebe als Ketzertum in der ‚Liebesreligion’ und Vielliebe als Ausweitung des immer gleichen Liebesdramas auf mehrere Personen. Ich hingegen definiere Polyamorie, auch in Abgrenzung zur Polygamie, als Gegenkonzept zu hegemonialen Liebeskonstrukten.

Liebe im heteronormativen und westlichen Rahmen

Angie: Woran ich mich viel eher störe, ist zum einen, dass manche Beispiele meinem Empfinden nach zu übergriffig sind: Wenn sie zur Veranschaulichung die Beziehungsgeschichten von Britney Spears und Kevin Federline, Whitney Houston und Bobby Brown, Prinzessin Diana und Prinz Charles auspackt, psychologisiert sie diese realen Personen, die wir fast nur aus den Inszenierungen in den Medien kennen können. Im Falle fiktiver Figuren und kultureller Produkte, die Strömquist ja auch betrachtet, finde ich das legitim, aber über psychologische Motive realer Individuen und deren Intimwelt zu spekulieren, ähnelt mir zu sehr einem Klatschpressengestus… Zum anderen ist da der absolute Fokus auf Heteronormativität. Das lässt sie – zum Glück – nicht unkommentiert: Ab und an wird kontextualisiert, dass es hier um Liebe im heteronormativen Rahmen geht. Ich kann diesen Fokus angesichts des kulturgeschichtlichen Anspruchs ja auch nachvollziehen, denn natürlich ist die Heteronormativität die zentrale Struktur, die unsere gesamte Kultur prägt und auch nicht-heteronormative Identitäten und Beziehungen stehen ja immer vor ihrem Hintergrund. Doch bleibt hier dann so vieles Andere ungesagt. In Der Ursprung der Welt wird die Heteronormativität weit häufiger aufgebrochen.

Inna: Ja, das ging mir auch so beim Lesen. Allerdings denke ich nicht, dass die starke kulturelle und historische Verankerung der Heteronormativität rechtfertigt, dass man den Blick nur auf sie richtet. Es gab ja immer auch Zeiten und Kulturkreise mit nicht-heteronormativer Liebe und Sexualität. Gleiches trifft auch auf Polygamie und Polyamorie zu. In bestimmten Poly-Kreisen wird immer wieder kritisiert, dass der westliche Blick die Poly-Beziehungen anderer Kulturen entweder nur belächelt oder vollständig ausgeblendet hat.

Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © avant-verlag
Liv Strömquist „Der Ursprung der Liebe“ (avant-verlag 2018) © avant-verlag

Angie: Beide Ansätze umgeht Der Ursprung der Liebe aber, gleichwohl man nicht davon sprechen kann, dass es vor Beispielen anderer Kulturen wimmeln würde. Es wird auf die alte nordische Mythologie verwiesen, in der etwa Odins Frau Frigg zahlreiche polygame Ausflüge vornimmt – was erst im 19. Jahrhundert zensiert und umgeschrieben wurde – und es wird auf die Polyandrie der früheren Inuits verwiesen.

Inna: Der Verweis auf die Inuits steht aber ganz in dem Licht, noch einmal erneut zu zeigen, dass Beziehungen der Liebe und Sexualität halt immer sozial konstruiert sind. Was mir hingegen fehlt, sind konstruktive Verweise auf andere Möglichkeiten, Liebe und Sexualität und Beziehung zu denken.

Angie: Womit wir wieder zum Punkt kämen, dass dieser dekonstruktivistische Comic wahnsinnig gut destruiert, aber kaum konstruktiv wird. Der Ursprung der Welt war sowohl in seinen Inhalten als auch in seiner Bildwelt deutlich empowernder. Davon war meine Erwartungshaltung an den neuen Comic geprägt. Trotzdem bleibt Der Ursprung der Liebe ein wirklich gutes Werk mit tollen Ansätzen und Anstößen.

Die Liebesreligion und das Ketzertum

Inna: Ja! Mich hat besonders das Kapitel zur Liebe als Mini-Religion angeregt.

Angie: Sie spricht dort über die strukturellen Parallelen von Religion und Liebe; davon, dass Liebe genauso organisiert ist wie Religion. Beides wird über Rituale und Symboliken produziert und erschafft ein kollektives Wir in Abgrenzung zu den ausgeschlossenen Anderen. Ein wirklich spannender Ansatz! Allerdings bringt Strömquist ihn nur ein ohne damit weiterzuarbeiten.

Inna: Als Poly-Aktivistin beschäftigt mich die Frage, ob Polyamorie mehrheitstauglich ist. Wenn die Liebe wie eine Religion funktioniert, bildet das Erlangen von Liebe das höchste Ziel – wie Strömquist es gezeichnet hat. Wenn das Ziel erreicht ist und die Liebe nachlässt, kommt es jedoch zum großen Wendepunkt und die Liebe, die als oberstes Ziel niemals aufgegeben wird, muss auf neue Objekte bzw. Subjekte gerichtet werden – zum Beispiel Kinder und Familiengründung. Hier fiel mir auf, wie stark das mit unserer gegenwärtigen neoliberalen Konsum-, Verwertungs- und Selbstoptimierungslogik einhergeht. Nach dieser Verwertungslogik wird etwas verworfen oder beendet, wenn es nicht hundertprozentig passt – zum Beispiel wenn jemand Lust auf physische Nähe zu anderen Menschen außerhalb der Zweierbeziehung verspürt oder sich verliebt. Polyamorie verstehe ich als Gegensatz zu dieser Logik – als religiöses „Ketzertum“ um in Strömquists Worten zu sprechen –, weil es nicht versucht der Idee von einer ‚einzig wahren und immer währenden Liebe’ nachzueifern. Letztlich hieße das, dass Polyamorie nicht ohne Weiteres mehrheitstauglich ist, weil unsere Organisation von Liebe derzeit viel zu sehr nach jenen Logiken funktioniert, die die gesamte Gesellschaft prägen.

Ein toller und empfehlenswerter Band

Angie: Was also ist Dein Fazit zu Der Ursprung der Liebe?

Inna: Der Comic ist toll, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie die meisten von uns sozialisiert werden und wie wir zu lieben lernen. Ein guter Einstieg, um sich zu fragen ‚Wie will ich lieben?’. Strömquist lässt uns am Ende ein bisschen hilflos zurück, nach all den Analysen, doch gleichzeitig finde ich das auch aufregend, weil es eröffnet, dass Liebe so aussehen kann, wie wir wollen. Sie muss keinen festen Mustern folgen.

Angie: Wie schon Der Ursprung der Welt, das Charlotte hier kürzlich zum Indiebookday empfohlen hatte, ist auch Der Ursprung der Liebe theoretisch gut gefüttert, lässt sich aber in seiner Zusammensetzung aus satirischem Humor, Alltagsbezügen und typischer Comic-Ästhetik leicht lesen. Strömquist hat mich mit diesem Stil ziemlich schnell zum Fan gemacht. Wir brauchen dringend weitere deutsche Übersetzungen von Liv Strömquist, lieber avant-verlag!

 

Liv Strömquist, Der Ursprung der Liebe 
übers. von Katharina Erben
avant-verlag, 2018
136 Seiten, schwarz-weiß, 20,- €
Orig.: Prins Charles Känsla (Ordfront/Galago, 2010)

 

Weiterführende Tipps für Berlin und anderswo

Innas Workshops zu Polyamorie und zum Umgang mit Eifersucht lassen sich häufig in Berlin, aber auch anderswo, besuchen, etwa Ende April in Hannover und Mitte Juni in Berlin. Wer in Berlin ist, kann im DDR-Museum auch noch bis Ende Juli 2018 in der kleinen Sonderausstellung „Liebe, Sex & Sozialismus“ mehr über die Liebes- und Beziehungskonzepte der DDR erfahren.

 

Die mehrfach ausgezeichnete Schwedin Liv Strömquist (*1978) ist Politikwissenschaftlerin, Comiczeichnerin und Radiomoderatorin. Im Schwedischen veröffentlichte sie seit 2005 bereits neun Comics, derer bislang zwei beim avant-verlag in deutscher Übersetzung erschienen sind. Ihre feministischen Comics setzen sich satirisch mit gesellschaftlichen Strukturen von Klasse, Geschlecht und Sexualität sowie deren Verzahnungen auseinander.

Inna Barinberg(*1991) studierte Philosophie in Rostock und Berlin und schreibt als freie Autorin unter anderem für Der Freitag und das Missy Magazine. Seit 2016 führt sie den Blog Polyplom. Von der täglichen Kunst polyamore Beziehungen zu führen und gibt im deutschen Raum Workshops zu Polyamorie (Poly How-To) und Eifersucht (Embracing Jealousy).
Angie Martiens
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