Ina wartet auf ein „Später“. Sie wartet auf das Leben, das sie wirklich leben will. Bis dahin trinkt sie viel Gin Tonic, hat etwas Sex, genug Schlaf und jobbt in der Theaterkantine. Hinter den Theaterkulissen begegnet sie ihrem Vater, den sie nie kennengelernt hatte. Und verliebt sich dann auch noch unglücklich in eine Schauspielerin. Janna Steenfatt widmet ihren Debütroman Die Überflüssigkeit der Dinge einer Protagonistin, die zwischen Antriebslosigkeit und Tatendrang durchs Leben wandelt.
Die Überflüssigkeit der Dinge Foto: Eileen SchülerMehr lesen
Heute erscheint Liv Strömquists vierter ins Deutsche übersetzte Comic-Band unter dem Titel Ich fühl’s nicht. Die Zeichnerin und Autorin setzt sich ein weiteres Mal mit der Liebe auseinander und verknüpft Kapitalismus, Konsum und austauschbare Partner*innenschaften auf gewohnt witzige und kluge Art und Weise.
90 Jahre nach dem Erscheinen Hesses meistgelesenen Romans Narzissund Goldmund findet der Klassiker der deutschen Literaturgeschichte eine neue Form. Ab März in den deutschen Kinosälen. Auf Leinwand und Hochglanz poliert. Mit viel nackter Haut und Undercuts.
Von Anna-Maria Velhorn
Große Romantik zwischen Kornblumen: Goldmund und Lina Foto: S&L Medianetworx GmbHMehr lesen
Eine zermatschte Taube auf der Straße, das ist für Lois das Sinnbild von gescheiterter Existenz. Als sie neun Jahre alt ist, wird sie so zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert. Ihr Vater hat ihr das erklärt: wenn Tauben sterben wollen, dann werfen sie sich vors fahrende Auto. Inzwischen ist Lois Anfang dreißig, an die tote Taube denkt sie noch manchmal und muss sich plötzlich selbst mit Gedanken an den Tod auseinandersetzen. Paulina Czienskowski widmet ihren Debütroman Taubenleben einer Protagonistin, die mit großem Anlauf versucht, herauszufinden, wer sie eigentlich ist.
Wie geht man mit der Trauer um, wenn eine geliebte Person stirbt? In ihrem Debütroman Marianengraben beschreibt Jasmin Schreiber wie es gelingen kann, aus der Tiefe der Trauer aufzutauchen und ins Leben zurückzufinden.
TRIGGERWARNUNG: IN DIESEM TEXT GEHT ES UM DAS THEMA VERGEWALTIGUNG. Chanel Miller hat eine Vergewaltigung überlebt. An einem Abend, an dem sie eher zufällig auf eine College-Verbindungsparty ging, hat Brock Turner seine Finger in ihre Vagina gesteckt, während sie bewusstlos hinter einem Müllcontainer lag. Für Chanel beginnt damit ein jahrelanger, zehrender Prozess, während dem sie ihre Identität geheim hält und von Richtern, Verteidigern und den Medien auseinandergenommen wird. Doch jetzt hat sie ein mutiges Buch über die Schrecken der Vergewaltigung und des Gerichtsprozesses geschrieben, an dessen Ende der Vergewaltiger Brock Turner nur drei Monate ins Gefängnis kam und die Gesetze in Kalifornien zugunsten der vergewaltigten Personen geändert wurden.
Marianne hat etwas Dummes getan. Mit einem Springseil hat sie sich aufgehängt, bis ihre ältere Tochter Edith sie findet und das Seil durchschneidet. Jetzt müssen Edith und ihre Schwester Mae weg aus Louisiana nach New York zu ihrem Vater. Katya Apekinas Debütroman Je tiefer das Wasser erzählt von zwei Schwestern, die alles versuchen, um von ihren Eltern geliebt zu werden. Dafür reißen sie ihre eigenen Grenzen ein.
Andre Lux hat einen Comic gezeichnet, gekritzelt und auf Karopapier verewigt. Im Stil seiner EgonForever!-Comicstrips ist jetzt die Geschichte von Lars, dem Agenturdepp erschienen, der zwischen Telkos und USPs in der Social Media Abteilung einer sehr hippen Werbeagentur arbeitet.
Tina und ihr Fritzemann hatten eine Todgeburt. Ein Schock. Wut, Schmerz und Schuldgefühle. Wie soll man mit dieser Ungerechtigkeit einfach weiterleben? Um nicht durchzudrehen, stürzt die Comiczeichnerin sich in ihre Arbeit – herausgekommen ist dabei Das Licht, das Schatten leert, eine autobiografische Graphic Novel, die das Erlebte zu verarbeiten versucht. Ein schonungsloser und sehr persönlicher Bericht über Verlust und Trauer, aber auch voller Zuversicht und Witz.
Gibt es ein Leben nach dem Tod? In Mariana Lekys Roman „Die Herrenausstatterin“ geht es nicht etwa um die „Himmel oder Hölle“-Frage, sondern darum, wie man die Trauer bewältigt, wenn der Tod ins Leben tritt und sich plötzlich alles ändert.
Obwohl der Roman Die
Herrenausstatterin bereits 2010 im DuMont Verlag erschienen ist,
erfreut sich die Literatur von Mariana Leky seit der Veröffentlichung
ihres Romans Was man von hier aus sehen kann, neu gewonnener
Beliebtheit. 65 Wochen lang stand das Buch auf der
Spiegel-Bestsellerliste und war 2018 das Lieblingsbuch der
Unabhängigen Buchhändler*innen.
Durch den Erfolg ihres vierten Romans
gewann Leky einige neue Fans dazu, die nun fleißig den
Leky-Lesestoff der letzten 20 Jahre aufarbeiten. Zugegebenerweise
identifiziere ich mich selber mit dieser Gruppe. Auch mein Weg zu Die
Herrenaustatterin begann mit Lekys Bestseller. Als ich das Buch
zu Ende gelesen hatte, packte mich eine derartige Verzweiflung, dass
ich wie ein Junkie auf Entzug noch am selben Tag zum Buchhändler
meines Vertrauens eilte, um mir Leky-Nachschub zu besorgen. Ich
wollte unter allen Umständen in der wunderbar melancholischen
Erzählwelt der Autorin bleiben.
Eine erfrischende und mutmachende Geschichte
Hauptprotagonistin des 206-Seiten
schmalen Buchs ist Katja Wiesberg, eine Anfang 30-jährige
Übersetzerin. Bereits auf den ersten Seiten erfahren wir, dass sich
etwas an dem überschaubaren Alltag von Katja ändern wird: Es
beginnt damit, dass ihr Mann Jakob verschwindet. Nicht etwa im
wortwörtlichen Sinn, sondern im Sinne einer sich aufbauenden Distanz
zwischen den beiden Eheleuten. Wie so oft in Lekys Romanen zeigen
sich die inneren Probleme ihrer Charaktere durch äußere Symptome:
Katja fängt an immer weniger zu sehen – auch Jakob ist nur noch
ein verwaschener Farbfleck vor ihren Tag für Tag schlechter
werdenden Augen. Ganz bewusst scheint ihr Körper die Ehekrise
verdrängen zu wollen. Ihre Freundin Eva versucht sie abzulenken,
doch während einer ihrer Spielabende erreicht Katja ein unerwarteter
Anruf, der, wie es schlimme Nachrichten an sich haben, ihr Leben in
ein „Vorher“ und ein „Nachher“ teilen wird.
Wie man es schafft, von einem
dramatischen Wendepunkt und einer von Liebeskummer geplagten
Protagonistin den Übergang zu einer erfrischenden und mutmachenden
Geschichte zu flechten, scheint zu Mariana Lekys Expertise zu
gehören. Denn auch in Die Herrenausstatterin schreibt die
Autorin tröstend davon, wie das Leben weitergeht, egal wie groß der
Schmerz und die Sorgen zu sein scheinen.
Schmerzhafte Splitter der Vergangenheit
Wie beschwerlich und mühsam dieser Weg
sein kann, und vor allem, dass man diesen Weg nicht allein gehen
sollte, wird trotzdem deutlich. Denn tief in ihrer Trauer steckend,
bekommt Katja Gesellschaft von zwei Charakteren, Blank und Armin, die
genauso skurril wie liebenswert erscheinen. Diese beiden
eigentümlichen Gestalten päppeln die Protagonistin mithilfe einiger
Liter Astronautennahrung, einem unerwarteten Trip nach Holland und
ihrer unermüdlichen Fürsorge langsam wieder auf.
Obwohl die Geschichte nach dem
Auftauchen der beiden Gestalten deutlich unterhaltsamer wird, rückt
Katjas Trauer doch nie ganz in den Hintergrund. Immer wieder tauchen
schmerzhafte Splitter ihrer Vergangenheit während ihrer Abenteuer
auf. Mithilfe der neuen Begleiter lernt sie die Trauer anzunehmen:
„Vermutlich nimmt es kein Ende“, sagte Blank dann. „Vermutlich nimmt es kein Ende, solange Sie leben.“ […] „Aber es wird leiser“, sagte er. „Ich verspreche Ihnen, dass es leiser wird. Irgendwann ist es ungefähr so leise wie ein Lied, das ein Nachbar in der Wohnung nebenan hört.“
Lust auf das Leben und die Liebe
Wahrscheinlich müssen die meisten Menschen mit einem von den Nachbarn immer wieder gespielten Lied leben; ein Lied, das sich eben nicht abschalten lässt und einen immer wieder unerwartet aus dem Alltag reißt. Die Herrenausstatterin erinnert daran, dass wir in unserer Trauer oftmals nicht alleine sind. Und dass auch ein „Leben nach dem Tod“ möglich und womöglich sogar unerwartet schön und anders sein kann, als man es sich in dunklen Stunden ausmalt. Es ist Lekys unvergleichbare Stärke als Autorin das Leben in all seiner Unvollkommenheit und Absurdität mit solcher Hingabe und Zuversicht aufs Papier zu bringen, dass sogar ein Buch, das sich hauptsächlich mit dem Tod und Trauer beschäftigt, plötzlich Lust auf das Leben und die Liebe macht.
Oder, um es mit Blanks, respektive Mariana Lekys Worten zu sagen: „Ich habe immer geglaubt, das Leben sei eine Einladung mit Tischkärtchen. Als müsste man sich, schon aus Gründen der Höflichkeit auf den Stuhl setzen, der einem zugewiesen wird, auch wenn es am anderen Ende des Tisches viel lebhafter zugeht. Ich möchte Ihnen sagen: Das ist ein Irrtum. Es ist eine Einladung mit freier Platzwahl.“
Die
Herrenaustatterin von Mariana Leky, erschienen 2010 im DuMont Verlag,
Köln. Seit 2015 auch als Taschenbuch erhältlich.
ISBN: 978-3832165178.
11€
Yasemin Altınay hat ein Magazin herausgebracht, das es so bisher nicht gab: Literarische Diverse. Ein Magazin für junge und vielfältige Literatur versammelt in der ersten Ausgabe Texte unter dem Überthema Engagement. Ein Schwerpunkt, schreibt Yasemin im Editorial, liegt darauf, Texte von BIPoC und LGBTQ+ Personen zu veröffentlichen und diesen Texten mehr Raum im deutschsprachigen Literaturbetrieb zu geben. Ein Herzensprojekt mit einer sprachlich und optisch fantastischen Umsetzung.
Das zweite Buch des Booker-Preisträgers Aravind Adiga bedrückt, verunsichert und transportiert dabei eine gehörige Portion Pessimismus. Ein Reiseführer durch eine zerrüttete Gesellschaft.
Über seinen Text wird schon seit dem Jahr 2017 diskutiert: der Autor Aleksej Sal’nikov portraitierte eine Familie aus seiner Stadt Jekaterinburg. Auf Deutsch ist dieses Buch bislang noch nicht erschienen.
Smartphones, das Internet, selbstfahrende Autos – schöne Erfindungen, aber auch auf Kosten unserer Autonomie? Viele können sie nicht mehr hören, diese ewige Technologiekritik. Roger Willemsen formuliert sie in einer posthum erschienenen Zukunftsrede mit neuer Dringlichkeit.