Vom Krieg

Die Anthologie „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ versammelt Texte von geflüchteten AutorInnen aus Kriegs- und Krisengebieten. Die häufigste Antwort auf die Frage, was sie sich wünschten, war: „Weiterschreiben.“

© Zarah Mampell

Das Bündnis WIR MACHEN DAS gründete sich 2015 aus 100 Frauen, deren gemeinsames Ziel es war, angesichts einer in Deutschland hysterisch geführten Debatte um Flüchtlingspolitik „der Herausforderung weltweiter Migration mit Menschlichkeit und Sachverstand zu begegnen“. Ein Projekt dieses Bündnisses ist die Initiative Weiter Schreiben, die geflüchteten SchriftstellerInnen eben das ermöglicht. Annika Reich und Lina Muzur haben eine Anthologie mit den so entstandenen Texten herausgegeben.

Im Rahmen des Projekts bildeten sich Tandempaare aus bekannten deutschsprachigen AutorInnen einerseits und geflüchteten AutorInnen andererseits. Diese stammen aus Syrien, dem Irak, dem Jemen und Afghanistan, außerdem nehmen auch Roma- und Sinti-AutorInnen aus Deutschland, Österreich und Ungarn teil, weil „Krisengebiete nicht immer woanders sind, sondern für manche Menschen mitten in Europa.“

Schilderungen des Unsagbaren

Die Texte der Geflüchteten, sowohl Lyrik als auch Prosa, wurden von acht ÜbersetzerInnen ins Deutsche übertragen. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie sich das Leben anfühlen muss, nachdem der Krieg einem die Heimat, die Familie, das Gewohnte weggenommen hat. Es sind schmerzhafte, grausame Bilder, Schilderungen des Unsagbaren, für das die AutorInnen doch Worte gefunden haben. Man liest diese Anthologie nicht „hintereinander weg“, dafür ist sie nicht gemacht. Hier herrscht eine solche Stärke und Dichte, dass man vieles mehrmals lesen muss, und jedes Mal Neues entdeckt.

Die meisten der geflüchteten AutorInnen stammen aus Syrien, und so macht der Krieg in Syrien und seine Verarbeitung einen großen Teil der Inhalte aus. Eine kurze Erzählung der syrischen Schriftstellerin Widad Nabi gab der Anthologie ihren Namen. „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“ berichtet eindringlich von der Verlorenheit Nabis in Berlin und von der Sehnsucht nach dem Zuhause, dem alten Aleppo, das so nicht mehr existiert. Verlassene Orte und ihre Bedeutung sind zentral in der Begegnung mit Tandempartnerin Annett Gröschner. Verlassene Orte, in denen die Seelen weiter zu wohnen scheinen. Nabis Lyrik zeugt ebenfalls von Sehnsucht und Traurigkeit:

Das Leben wird nicht so schlimm,
es schenkt dir ein neues Haus.
Aber deine Seele bleibt ein Wolf,
der jede Nacht heult
auf der Stufe deines alten Hauses.

Kein Erbarmen

Bei dem Zusammentreffen der Schriftstellerinnen Noor Kanj und Svenja Leiber stellt letztere fest: „Eile ist hier nicht dienlich.“ Sie gibt der Zusammenarbeit Zeit und kündigt indes an, Noor Kanjs Namen überall zu erwähnen, „damit man sich an den Klang gewöhnt“. Die Lyrik Noor Kanjs macht betroffen: „Wir erwarten kein Erbarmen mehr, von niemandem.“

Die Stimmung ist fast durchgängig schwer, was kann man anderes erwarten. Ab und an blitzt ein Hoffnungsschimmer auf, allerdings geschieht dies auf Seiten der deutschsprachigen TandempartnerInnen, die nicht in vergleichbarem Maß ihre unmittelbare Vergangenheit zu verarbeiten haben. Nino Haratischwili hat eine Laudatio zur Verleihung des Kleinen Hertha-Koenig-Preises an ihre syrische Tandempartnerin Lina Atfah gehalten, die in der Anthologie abgedruckt ist. Bis dahin seien sich die beiden nicht persönlich begegnet, und doch habe sie in den Texten Atfahs das „Glühen in den Augen meiner Großmutter“ wiedererkannt, wenn diese Lyrik rezitierte und auf die Feinheiten der Sprache hinwies.

Fady Jomar schreibt ein Gedicht über all die Dinge, die er im Koffer mitgenommen hat:

In den Koffern stecken Gesichter,
Salz, Geduld und verworrene Stimmen,
Gedränge, Geschichten und Menschen.
Sie haben kein Wort
für unbeschwert.
Die Koffer sind Mutter,
Olivenöl, Thymian und Brot,
Hefte voller Träume.

Yamen Hussein berichtet seiner Tandempartnerin Lena Gorelik, wie er sich in München eine Landkarte der Gefühle anlegte. Ein anrührendes Gedicht von ihm handelt von weggewehten Kleidungsstücken, die seine Mutter zu Friedenszeiten bei der Nachbarin suchte.

Ali Al-Kurdi beschreibt die Entfremdung vom inhaftierten Vater, den er aufgrund einer langen Haftzeit lediglich als „ein Foto mit Rahmen“ erlebte.

Einsamkeit im Koffer

Rasha Habbal erzählt in „Scheckige Hände“ von einem Päckchen, das ihr der Vater aus Syrien schickt, darin enthalten sind zwei Bücher und eine Perlenkette, die im Haus des Vaters an der Wand hing.

Wie ist es möglich, dass dein ganzes Leben in nur einer einzigen Viertelstunde an dir vorbeizieht? Dein Leben zieht an dir vorbei, und du redest dir weiter ein, dass du frei bist von diesen Händen, die dich von dort aus festhalten.

Betreten legt man das Buch beiseite. Die Trauer und die Sprachlosigkeit, die einem in den Texten begegnen, sind schwer zu ertragen und machen hilflos. Aber, wie Monika Rinck bemerkt: „Die Gewalt, die anderswo in der Welt herrscht, geht auch diejenigen an, die in Frieden leben.“ Wenn schon die Lektüre dieser Texte von Krieg und Flucht einen so tiefen Eindruck hinterlässt, wie mag es dann denen gehen, die diese Texte verfasst haben, die ihre eigenen Erlebnisse auf diese Weise verarbeitet haben? Sie wollen weiter schreiben, und sie brauchen LeserInnen, um von dem Verlust, der Leere, und den Fragen, die bleiben, zu berichten. Um Geschichten von Pflanzen zu erzählen, die keiner mehr gießt, und von Einsamkeit im Koffer.

Von Zarah Mampell

Annika Reich und Lina Muzur (Hg.): Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt. Weiter Schreiben – Literarische Begegnungen mit Autorinnen und Autoren aus Krisengebieten. Ullstein 2018

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