Wir sind keine Millenial-Avocado-Toast-Generation

Daria Bogdanska hat einen Comic gezeichnet über ihre Erfahrung mit polnischem Pass in Schweden arbeiten zu wollen. Und sich parallel an einer Comicschule zu behaupten. Karolin hat sie getroffen und über Arbeit, Selbstbewusstsein und eine vermeintlich faule Generation geredet.

Foto © Karolin Kolbe

In deinem Comic “Von unten“ geht es um dich, es ist ein autobiographischer Graphic-Novel. Deine Hauptfigur heißt wie du Daria. Soll ich eine Unterscheidung machen zwischen Daria und Comic-Daria?

Du kannst mich gern direkt ansprechen, normalerweise lesen Leute meinen Comic, dann treffen sie mich und sagen: Ich glaube, ich kenne dich! Ich meine, natürlich kennst du mich nicht, aber wenn wir uns getroffen hätten und ich dir von all dem erzählt hätte, würdest du mich kennen. Es ist ein kleiner Eisbrecher, für mich ist es okay, dass mich Leute nach dem Lesen kennen, weil sie dadurch viel Persönliches über mich erfahren. Ich denke, das ist eine gute Sache.

 

Von unten © Avant-Verlag

Der Originaltitel „Wage Slaves“ bedeutet auf Deutsch „Lohnsklav*innen“. Für die deutsche Ausgabe wurde aber der Titel „Von unten“ gewählt. Im Deutschen kommt das Wort Sklave zum ersten Mal vor, als du, Daria, denkst: „Ich will kein Sklave sein.“ Was meinst du damit?

Ich kann das wahrscheinlich auf vielen Ebenen erklären. In dieser speziellen Situation in dem Buch schaue ich durch ein Fenster, es ist eine Szene, bei der ich durch Malmö fahre, Freitagnacht nach der Arbeit. Ich sehe all diese schwedischen weißen Menschen, wie sie betrunken durch die Straßen gehen und feiern. Und dann alle Migrant*innen in den Falafel-Geschäften, im Restaurant, die servieren. Irgendjemand Freitagnacht arbeitet, damit die anderen feiern können. Ich sehe das vor dem Hintergrund, wie wenig wir als Migrant*innen verdienen, wie unsere Bedingungen aussehen. Das ist die ganze Situation, in der wir stecken. Wir suchen nach einem besseren Leben in einem anderen Land und sind verzweifelt. Wir werden in diese Situation gebracht, die wir nicht wirklich wählen können. Und das ist für mich Sklaverei. Natürlich ist es ein starkes Wort, ich möchte niemanden beleidigen und geschichtlich geprägte Begriffe falsch berühren. Natürlich, Sklaverei in den Vereinigten Staaten war eine völlig andere Sache, als das, worüber wir hier sprechen. Es heißt ja auch, dass die Sklaverei abgeschafft wurde und das ist die Frage, die ich in meinem Comic zu stellen versuche. Haben wir heute vielleicht einfach eine andere Form der Sklaverei, die wir nicht als Problem sehen? Wir haben noch keine Sprache entwickelt, um über diese Dinge zu sprechen.

Da ist noch ein anderer Aspekt, der in dem Wort „Lohnsklav*in“ drin steckt. Es geht hier nicht nur um Menschen mit Migrationserfahrung. Wir alle sind Lohnsklav*innen. Viele Journalist*innen betonen immer diesen Aspekt, wenn sie mich nach dieser Szene fragen, und bauen dann einen Dualismus zwischen den schwedischen privilegierten Leuten und den migrantischen Arbeiter*innen ein, als ob der Konflikt zwischen denen besteht. Aber ich versuche zu unterstreichen, dass das ein Effekt von einem anderen Problem ist. Der Konflikt liegt für mich vor allem zwischen den Kapitalbesitzer*innen, denen die Firmen gehören, und den anderen. Die einen machen Geld auf dem Rücken der anderen, und die anderen werden benutzt, um an ihnen zu verdienen. Und das betrifft uns alle. Ich denke, wir sind alle Sklaven. Und das versuche ich zu sagen.

 

Wie kamst du letztlich aus diesem absurden Kreislauf aus illegaler Arbeit, schlechten Lohn und Ausbeute raus, den du im Comic beschreibst?

Bitte verrate es nicht der schwedischen Migrations-Behörde, aber ich bin eine registrierte Beziehung mit dem Typen eingegangen, den ich damals getroffen habe. Ich meine, es war keine komplette Lüge, weil wir uns wirklich trafen. Aber normalerweise wäre ich keine registrierte Beziehung eingegangen, doch meine Lage, in der ich nicht legal arbeiten konnte, zwang mich dazu. Das ist ein Aspekt, der alle Menschen, aber speziell auch Frauen betrifft. Ich war raus aus dem System und kam nicht rein. Es war eine kafkaeske Situation und ich musste diesen Weg gehen und mich mit der eingetragenen Beziehung von einem Mann abhängig machen. So hat es funktioniert, nach fast einem Jahr hatte ich endlich eine persönliche Nummer, die es mir erlaubte, legal zu arbeiten und eine Krankenkasse zu bekommen, es ist verrückt!

 

Selbstporträt © Daria Bogdanska

In deinem Buch zeigst du, wie du deinen Job verlierst und dein Chef unfair mit dir umgeht. Hast du jemals darüber nachgedacht aufzugeben?

Auf keinen Fall! Nicht eine einzige Millisekunde! Ich meine, es macht mich noch immer wütend. Was passierte, nachdem ich gefeuert wurde, ist, dass meine Gewerkschaft zu der Zeit nicht viele aktive Leute hatte und nicht viele Fälle wie mich kannte. Sie konnten mir nicht helfen, und wussten nicht, was sie tun sollten. Ich wusste es auch nicht. Ich hatte etwas versucht, ich habe so viel riskiert, and jetzt habe ich nichts und für meinen Boss gibt es keine einzige Konsequenz. Es hat mich so angepisst, das war für mich eine treibende Kraft. Ein Anstoß mehr und mehr zu tun.

 

Die Geschichte in deinem Buch spielt 2013, 2014. Was hat sich seitdem bezüglich der Arbeitsbedingungen und Ausbeutung, die du erleben musstest, geändert?

Nichts. Tatsächlich ist es eine sehr deprimierende Sache, die gerade in Schweden passiert. Es macht mich traurig, wenn ich darüber rede. Es gibt ein neues Gesetz, das Streiks oder Gewerkschaftsaktionen verbietet. Wenn ich ein*e Verhandlungsführer*in mit einer*m wirklich sehr, sehr schlechten Arbeitgeber*in bin und sage, ich möchte mein Geld zurück, ich möchte einen guten Vertrag, können wir als Gewerkschaft legal Boykottkampagnen durchführen, Medien kontaktieren, Flugblätter verbreiten, Informationen streuen, eine Blockade organisieren, alles, was sie überzeugen kann, weißt du, weil es das einzige ist, von dem sie überzeugt werden. Jetzt, ab Mai, ist es verboten und kann nur unter besonderen Umständen stattfinden.

 

Während dieser ganzen Zeit hast du viel gearbeitet, du hattest Freund*innen, du warst in deiner Gewerkschaft aktiv. Beim Lesen erfahren wir nicht viel über die Comic-Schule, im Buch ist es nicht Thema. Wussten die Leute dort, womit du den Rest deiner Zeit verbrachtest?

Ich hielt mich in der Schule ein bisschen zurück und ich hatte nicht so viel Zeit, um Kontakte zu knüpfen und – versteh mich nicht falsch – ich mag Menschen, aber manches irritierte mich. Viele Student*innen kamen aus Schweden und wurden von den Eltern finanziell unterstützt. In Schweden bekommt man außerdem Geld von der Regierung für das Studium, das man leihen kann. Einige haben sich die ganze Zeit darüber beschwert, wie hart es ist, zu studieren. Und das hat mich geärgert. Denk nichts Falsches von mir, ich mag es nicht, alles immer mit Schlimmerem zu vergleichen. Ich denke, dass jede*r das Recht hat, sich zu beschweren, um die Dinge zu verbessern. Natürlich ist es auch nicht einfach, in Schweden Student*in zu sein, aber es hat mich ein bisschen verärgert und ich glaube, ich konnte mich nicht wirklich mit vielen Leuten in der Schule identifizieren. Aber ich hatte auch dort ein paar gute Freund*innen, die mich unterstützten und mir mit der Sprache halfen. Ich schätze, ich habe der Schule nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber sie hat mir ein Kontaktnetzwerk gegeben. Und ein besseres Selbstwertgefühls. Ich habe mein ganzes Leben lang gezeichnet, aber ich hatte immer das Gefühl, dass das nicht interessant genug ist. Es ist nicht gut genug, was ich tue. Ich sah: einige Zeichnungen sind besser als meine, einige sind schlechter. Aber der Gedanke machte mir klar: Okay, wir machen wir verschiedene Sachen. Wir alle erzählen verschiedene Geschichten. Warum sollte ich hier sitzen und die ganze Zeit nur an mir zweifeln, wenn es so viele Leute gibt, die das nicht tun? Sie ziehen einfach ihr Ding durch und zeigen es anderen. Ich habe beschlossen, nicht mehr an mir zu zweifeln.

 

Autorin und Zeichnerin Daria © Daria Bogdanska

Ganz am Anfang des Comics sagst du: „Die Comicschule wird in weiterer Punkt auf meinem Lebenslauf sein, der zu nichts führt.“

Den Satz hast du bemerkt?

Ja, ich fand, das war die Einstellung, mit der dein Comic startet. Was ist deine Meinung zu der Mentalität sich immer zu verbessern, immer am Lebenslauf zu arbeiten?

 Dieses Thema interessiert mich sehr. Unsere Generation- ich bin jetzt 30- und du bist…?

25.

25. Ich denke, wir sind die gleiche Generation. Wir fühlen uns heutzutage nicht wohl. Was ist der Grund dafür? Ich denke, unsere Generation wird ziemlich oft als die verwöhnte Generation dargestellt, die Millenial-Avocado-Toast-Generation. Wir wollen uns nicht anstrengen, wir wollen nur nehmen und nehmen und wir wollen, dass alles flexibel ist und unseren Erwartungen entspricht, was meiner Meinung nach nicht stimmt. Ich denke, unsere Generation arbeitet wirklich hart. Und wir sind die Generation, die nichts für selbstverständlich hält. Wir haben keine Sicherheit, wenn es um Wohnen geht. Wenn es um Arbeitsplätze geht. Unsere Immobilienpreise werden ständig steigen. Wir müssen die ganze Zeit umziehen. Wir leben dieses vorübergehende Leben. Wir leben in einer Welt, in der sich die Wirtschaft sehr schnell verändert. Die Technologie ändert sich sehr schnell und wir müssen uns darauf einstellen vorauszuplanen. Wir müssen alles wissen und jede Fähigkeit haben, um uns ständig zu verbessern. Und wir müssen konkurrieren. Und individualistisch denken. So will ich nicht sein. Mein Beispiel, meine Geschichte ist natürlich sehr spezifisch, vielleicht ist sie nicht so gut gelaufen, aber ich möchte die Frage stellen: Sollten wir anfangen, uns zu organisieren? Sollen wir über diese Themen sprechen? Sollen wir gerne nein sagen? Und gemeinsam versuchen, die Situation entweder durch Politik oder Gewerkschaften mehr zu ändern? Wir müssen uns Gedanken dazu machen, worüber wir nachdenken sollten.

 

Das sollten wir! Leider ist die Zeit vorbei. Was tust du jetzt? Wird es mehr Comics geben?

Ich sage allen, dass ich an einem neuen Buch arbeite, aber eigentlich arbeite ich nicht so viel daran, obwohl ich Ideen dafür habe. Ansonsten arbeite ich gerade in einer Comic-Schule und unterrichte. Ich unterrichte gerne. Und der Rest der Zeit fließt in meinen Aktivismus für die Gewerkschaft. Ich habe mich entschieden, dass ich nicht so viel freiberuflicher Arbeit nachgehen werde. Ich kann durch meine Teilzeitarbeit und die Schule leben. Das Wichtigste im Moment ist das Gewerkschaftszeug. Das fühlt sich am besten, am passendsten an. Es wird eine Zeit geben, dann werde ich mich hinsetzen und dieses neue Buch schreiben. Ich muss selbst merken, was im Moment am wichtigsten ist, und das ist die Gewerkschaft. Es fühlt sich gut an, diese Wahl zu treffen, was cool ist. Es macht es mir leichter, nicht die ganze Zeit so besorgt zu sein.

Foto © Karolin Kolbe
Daria Bogdanska: Von Unten, Avant-Verlag 2019.

 

Karolin Kolbe
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