»WortWelten« Vom Reichtum der Fremde

Sherko Fatahs neuer Roman Ein weißes Land (Luchterhand) wird von Thomas E. Schmidt (Die Zeit) als Beispiel angeführt, „wie welthaltig die deutsche Literatur geworden ist.“ Dieser Welthaltigkeit widmet sich die seit 2007 jährlich in Bremen stattfindende globale° – Festival für grenzüberschreitende Literatur. Eingeladen werden Autorinnen und Autoren, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihr Geburtsland verließen und versuchen, in der Fremde „heimisch“ zu werden. Sie besitzen also nach dem Ordnungskriterium des statistischen Bundesamtes einen „Migrationshintergrund“. Ihre Diskussionsbeiträge werden jeweils in Publikationen des Ulrike Helmer Verlag zusammengetragen.

Im aktuellen Band WortWelten wird im Allgemeinen das Verhältnis von Sprache und Schreiben thematisiert und im Besonderen der literarische Umgang mit Grenzerfahrungen (Krieg, Diktatur, Flucht, Exil). Hierbei wird vor allem das Dilemma deutlich, in dem sich manche Autoren befinden beziehungsweise in das sie unfreiwillig gedrängt werden. Abbas Khiders Unbehagen wuchs, als sein Debütroman Der falsche Inder (Nautilus) „nur“ inhaltlich besprochen wurde. Die formalen Aspekte, die die Flucht des Protagonisten aus dem Irak plastisch vor Augen führen, wurden hingegen von der Literaturkritik sträflich vernachlässigt. Aber gerade für sein Handwerk möchte der Autor Anerkennung erhalten und nicht nur weil er eine gute Geschichte zu erzählen hat.

Aufschlussreich sind ebenfalls die verschiedenen Stellungnahmen zum (Reiz-)Thema „Integration“. Khider polemisiert ein wenig, wenn er sagt: „Ich stehe jeden Tag morgens im Bad vor dem Spiegel und ich habe ein Problem mich mit meinem Bild im Spiegel zu integrieren. Wie kann ich das mit der gesamten deutschen Gesellschaft.“ Zoran Drvenkar lehnt es grundsätzlich ab, in dieser Debatte für irgendwen Partei zu ergreifen. Sein Argument: Jeder könne nur für sich selber sprechen. Ilija Trojanow hält berechtigterweise dagegen, dass man die Deutungshoheit nicht anderen wie beispielsweise Thilo Sarrazin überlassen dürfe. Positiv bewertet Trojanow deshalb die Entwicklung, dass sich zunehmend auch „deutsch-deutsche“ Autoren, wie Thomas Lehr mit seinem Roman September. Fata Morgana (Hanser), globalen Themenkomplexen annehmen und sie in die Öffentlichkeit tragen.

Zur Seite gestellt wird diesen Beiträgen ein erhellender Aufsatz des Literaturwissenschaftlers Wilfried F. Schoeller. Darin skizziert er die „neuen Formen von Weltliteratur“ als „eine Verschränkung des Nichtidentischen, der Verfremdungen, der Überlagerungen und des Transfers“ von Bekanntem und Unbekanntem, Innen- und Außenperspektiven. Schoeller zeigt auf, welch ungeheure Bereicherung dies nicht nur für die Literatur, sondern auch für die jeweilige Gesellschaft bedeutet. Nur so, von den Peripherien her gedacht, vermag beispielsweise Europa zusammenwachsen.

Etwas fehl am Platz wirken das äußerst kurze Gespräch mit dem israelischen Autor Assaf Gavron und der Aufsatz von Maaheen Ahmed, in dem sie die zeitgleich zur globale° ausgestellten Kunstwerke auf ihren Synthesecharakter von Kultur und Politik prüft. Der Leser muss sich hierbei vollständig auf seine Imagination verlassen, weil die entsprechenden Abbildungen fehlen. Die 40 Seiten umfassenden Autorenporträts mit bibliographischen Angaben erscheinen in Zeiten von Wikipedia und Autorenwebsites ebenfalls unnötig. Stattdessen wäre ein weiterer Beitrag wünschenswert gewesen, der sich noch einmal dem Untertitel des Bandes annimmt und beispielsweise eine der unterschiedlichen „Positionen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur zwischen Politik und Ästhetik“ eingehend analysiert. So bleibt es bei einer gelungenen Einführung, die Lust auf mehr macht, gerade weil die betroffenen Autoren einmal selbst zu Worte kommen.

Immacolata Aodeo, Heidrun Hörner und Jan-Helge Weidemann (Hg.) „WortWelten“ – Positionen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur zwischen Politik und Ästhetik. Ulrike Helmer Verlag, 20.00 €, Paperback, 230 Seiten, erschienen Oktober 2011

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