Einem armen Mann wollte nichts recht gelingen, was auch immer er anfing. Er verdiente nicht einmal das Geld fürs tägliche Brot. So ging es Tag für Tag, und als er sah, dass er nie auf einen grünen Zweig kommen würde, beschloss er durch Betrug zu Reichtum zu gelangen.
Er füllte einen Sack mit Moos, legte Wolle oben drauf und wollte ihn zum Markt tragen. Unterwegs traf er einen anderen armen Teufel. Der trug einen Sack voll Tannenzapfen, auf die er oben Nüsse gelegt hatte. Auch er wollte seinen Sack auf dem Markt verkaufen. Sie zogen gemeinsam weiter.
Da fragte der eine den anderen: „Was hast du in deinem Sack?“
– „Nüsse! Und du?“
– „Wolle!“
– „Wollen wir tauschen? Nimm du die Nüsse und gib mir die Wolle, damit mir meine Mutter Strümpfe daraus strickt, denn ich habe keine mehr.“
– „Gut, warum sollen wir nicht tauschen? Ich esse Nüsse gern. Aber die Wolle ist teurer, du musst mir noch etwas draufzahlen.“
Sie begannen zu feilschen, denn jeder wollte den anderen betrügen. Schließlich einigten sie sich. Der, welcher den Sack mit den Nüssen hatte, sollte dem anderen für die Wolle noch zwei Groschen dazuzahlen. Da er aber kein Geld hatte, bat er um Aufschub und versprach, ihm das Geld erst bei sich zu Hause zu zahlen. Der andere aber wusste genau, dass der Betrug dort herauskommen würde, und meinte, er könne solange warten. Über den guten Handel erfreut, schlossen die beiden Brüderschaft und tauschten die Säcke aus. Jeder ging seines Wegs und schmunzelte, weil er glaubte, den anderen übertölpelt zu haben. Als sie aber nach Hause kamen, sahen beide, dass sie betrogen worden waren.
Nachdem einige Zeit vergangen war, machte sich derjenige, der Moos anstatt Wolle verkauft hatte, zu seinem Schuldner auf und verlangte die zwei Groschen. Er fand ihn im Haus des Popen, wo er sich als Knecht verdingt hatte. „Bruder, du hast mich betrogen!“
– „Du hast mich auch betrogen, Bruder!“
– „Gib mir wenigstens die zwei Groschen, die du mir noch schuldest!“
– „Ich will sie dir gern geben, denn ich pflege mein Wort zu halten. Aber ich kann es nicht, denn mein Beutel ist leer! Doch ich will dir etwas sagen. Hinter dem Haus ist eine tiefe Grube. Da steigt der Pope oft hinein und gräbt. Sicher hat er da sein Geld versteckt. Wir wollen warten, bis es Abend wird, und dann lass mich in die Grube hinab! Was ich finde, wollen wir brüderlich teilen, und dann kann ich dir auch die zwei Groschen zurückgeben.“
Gesagt, getan. Am Abend, als alles schlief, nahm der Knecht des Popen einen Sack und ein Seil, und die beiden Schlauberger gingen zur Grube. Der Knecht kroch in den Sack, und sein Wahlbruder ließ ihn hinab. Der Knecht suchte und grub überall, aber er fand nichts anderes als Weizenkörner. Er dachte bei sich: ‚Wenn ich meinem Gefährten sage, dass ich nichts gefunden habe, so lässt er mich vielleicht in der Grube sitzen. Und morgen wird mir der Pope den Buckel vollhauen.’
Er kroch also wieder in den Sack, band ihn am Seil fest und rief hinauf: „Zieh, Bruder! Der Sack ist voll Gold!“ Der andere zog und dachte: ‚Warum soll ich das Geld mit ihm teilen? Ich will den Sack fortschleppen und meinen Wahlbruder in der Grube lassen. Morgen wird ihn der Pope schon herausholen.’
Er warf sich den Sack über die Schulter und lief durchs Dorf. Die Hunde begannen zu bellen und schnappten nach ihm. Er lief und lief, bis er ganz erschöpft war. Und nun rutschte ihm auch noch der Sack vom Rücken. Da meldete sich der Knecht aus dem Sack und rief: „Heb den Sack etwas höher, Bruder, die Hunde beißen mich!“ Der andere ließ den Sack vor Schreck zu Boden fallen, und sein Gefährte kam heraus gekrochen.
„So, so“, sagte der Knecht, „du wolltest mich also wieder übertölpeln.“ – „Du hast mich ja auch betrogen!“ erwiderte der andere. Sie begannen mitten auf dem Weg zu streiten, wer der größere Lügner und Betrüger sei. Schließlich versprach der Knecht seinem Wahlbruder aufs Neue, ihm die zwei Groschen zurückzugeben, wenn er ein andermal käme.
Es verging wieder eine geraume Zeit. Der Knecht hatte inzwischen geheiratet und war in das Haus seiner Frau gezogen. Eines Tages saß er auf der Schwelle und rauchte sein Pfeifchen. Da sah er seinen Wahlbruder kommen. „Frau“, sagte er, „siehst du den Mann dort? Dem schulde ich zwei Groschen. Ich habe versprochen, sie ihm zu geben, wenn er kommt. Ich werde mich tot stellen, du aber fang an zu weinen und zu klagen. Wenn er erfährt, dass ich tot bin, wird er denken, dass meine Schuld auch getilgt ist und wieder fortgehen.“
So taten sie auch: Der Mann legte sich auf den Rücken und kreuzte die Hände. Seine Frau deckte ihn mit einem Leinentuch zu und fing an zu weinen, raufte sich das Haar und jammerte. Da klopfte schon der Wahlbruder an die Tür. Die Frau trat verweint hinaus. „Gott befohlen, Frau! Wohnt hier mein Wahlbruder?“ Und er nannte dessen Namen. Die Frau antwortete unter Tränen: „Ach, ich Ärmste! Drinnen liegt er, aber er ist tot!“
„Die Erde sei ihm leicht! Mein armer Wahlbruder! Wir haben zusammen gearbeitet und Handel getrieben. Wenn ihn so ein Unglück betroffen hat, so will ich ihn zu seiner letzten Ruhestätte begleiten und eine Handvoll Erde auf sein Grab werfen.“ Die Frau sagte ihm, dass das Begräbnis später stattfinden würde und dass er lieber gehen solle. Aber der andere blieb fest. „Ich werde warten, und wenn es drei Tage dauert.“
Der Mann hörte das und sagte leise zu seiner Frau, sie möge zum Popen gehen und ihm sagen, dass er gestorben sei. Man solle ihn auf den Friedhof tragen, vielleicht würde der Wahlbruder dann fortgehen. Die Frau holte den Popen. Er kam mit mehreren Leuten. Sie bahrten den Toten auf, brachten ihn in die Kirche und wollten ihn am nächsten Tag begraben. Der Wahlbruder aber sagte zu der Frau: „Wir haben so viele Jahre Salz und Brot geteilt, ich werde bleiben und die Totenwache in der Kirche halten.“
In derselben Nacht waren Räuber in ein reiches Haus eingebrochen und hatten viel Geld, Kleider und Waffen geraubt. Als sie an der Kirche vorbeikamen, sahen sie drinnen ein Licht brennen und meinten: „Am besten ist’s, wir gehen in die Kirche und teilen da unsere Beute!“ Als der Wahlbruder, der die Totenwache hielt, sah, dass in der Nacht Menschen in die Kirche kamen, dachte er, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen, und versteckte sich hinter dem Altar. Die Räuber traten ein, setzten sich und machten sich daran, die Beute zu teilen: vom Geld immer eine Mütze voll mir, eine Mütze voll dir, und die Kleider und die Waffen teilten sie, wie es gerade kam. Nun hatten sie alles aufgeteilt, bis auf einen Säbel. Jeder wollte ihn haben, und sie fingen an zu streiten. Da sprang einer auf, packte den Säbel und sagte: „Wir wollen sehen, ob der Säbel wirklich so gut ist. Wenn er mit einem Streich den Kopf des Toten da abschlägt, dann ist er gut!“
Sie gingen auf die Bahre zu. Der Tote aber sprang auf und schrie: „He, ihr Toten, wo seid ihr?“ – „Hier!“ rief der Wahlbruder hinter dem Altar. „Wir sind alle bereit. Sollen wir anfangen?“ Als die Räuber das hörten, ließen sie alles stehen und liegen und liefen davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie liefen und liefen, bis sie endlich im Wald anlangten, wo sie etwas Atem schöpften. Der Hauptmann aber sprach: „He, Brüder, wir sind Tag und Nacht durch die Welt gezogen, haben starke Festungen und Schlösser überfallen, und uns mit so vielen Leuten geschlagen, ohne mit der Wimper zu zucken. Und jetzt sind wir vor einem Toten davongelaufen. Ist ein tapferer Kerl unter uns, der es wagt, in die Kirche zurückzugehen?“
„Ich gehe nicht!“ sagte der eine. – „Ich fürchte mich auch!“ sagte ein anderer. –
„Gegen zehn Lebende trete ich zum Kampf an, aber mit einem Toten nehme ich es nicht auf!“ sprach ein dritter. Aber schließlich fand sich ein Mutiger, der in der Kirche nachsehen wollte. Er ging zum Friedhof zurück, schlich sich leise unters Kirchenfenster und horchte. Die Wahlbrüder waren gerade dabei, die Beute zu teilen. Zu guter Letzt begannen sie um die zwei Groschen zu streiten und hätten sich fast geprügelt.
Der Räuber hörte den Streit. „Und meine zwei Groschen! Gib mir meine zwei Groschen!“ Der Schuldner wandte sich um und sah die Pelzmütze des Räubers, der unterm Fenster stand. Rasch streckte er die Hand aus, packte die Mütze und warf sie auf die Erde. „Da hast du was für deine vermaledeiten zwei Groschen!“
Der Räuber erschrak sehr und lief, so schnell er konnte, davon. Als er zähneklappernd bei den anderen Räubern ankam, war er vor Angst halbtot. „Ach, Brüder, welch ein Glück, dass wir mit dem Leben davongekommen sind! Wir konnten das Geld mit einer Mütze verteilen, und jeder von uns hätte ein paar Mützenvoll bekommen. Der Toten sind aber so viele, dass jeder nur zwei Groschen bekommt. Für einen langte es nicht einmal mehr. Da rissen sie mir meine Mütze vom Kopf und gaben sie ihm statt der zwei Groschen!“
Da machten sich die Räuber schleunigst aus dem Staube. Die beiden Wahlbrüder aber teilten sich die Beute, lebten froh und zufrieden und versuchten nie mehr, jemanden zu betrügen.
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