Alexander Dydyna ist mit 26 Jahren vielleicht der jüngste Drehbuchautor fürs Kino. Mit seinem Debüt, dem von Literatur inspirierten Film Goethe!, den er zusammen mit Christoph Müller und Philipp Stölzl schrieb, schaffte er es von ‚zero to hero’. Grund genug für Litaffin, einmal nachzufragen.
Litaffin: Was braucht ein guter Kinofilm?
Alexander Dydyna: Wenn ich deutsche Filme schauen will, habe ich oft diese riesige Hemmschwelle, weil ich Angst habe, gelangweilt zu werden. Vielleicht habe ich auch Angst, dass der deutsche Filmemacher es sich zu einfach macht und sich zu sehr als Autor sieht: Man hat mehr das Gefühl, dass er das Handwerk vernachlässigt und dabei das Publikum vergisst, weil er Kunst schaffen will, seine eigene Weltsicht mitteilen möchte – und nicht unterhalten. Die Amerikaner machen das zuweilen wirklich gut. Also die sind ja so schlau, die sagen: Wir machen Entertainment, das einem so ein bisschen was mit auf den Weg gibt. Filme, die auf der emotionalen Ebene total gut funktionieren, schaut man sich lieber an.
Litaffin: Macht das bereits der Drehbuchautor? Schreibt er vor, wie etwas wirken soll bzw. muss?
Dydyna: Indirekt. Du kannst ja jetzt z.B. nicht einfach schreiben: „das wird jetzt total traurig“ oder „super lustig“. Das Gefühl muss beim Leser entstehen und genug Interpretationsfreiräume bieten. Die emotionalen Bögen müssen stimmen, das Gefühl, das sich aus den Szenen und Entwicklungen beim Lesen ergibt. Vom Drehbuch zum Film, das ist ja ein Riesenschritt mit einem Riesenfreiraum, was Interpretationen und Emotionen angeht, obwohl es so klar vorgezeichnet wirkt. Jeder kreiert über das Drehbuch sein eigenes Bild mit eigenen Gefühlen – das muss dir beim Schreiben bewusst sein und du musst versuchen, dieses irgendwie auf den Punkt zu bringen. Dabei kannst du Dir nie sicher sein, dass es auch wirklich den gewünschten Effekt hat.
Litaffin: Heißt das, man schreibt Drehbücher stellenweise in Stichwörtern?
Dydyna: Nee, also Stichworte sind das falsche Wort, aber man versucht auch, viel durch Aussparung zu erzählen. Also so Metaphernbilder wie: „Die Straße züngelt sich entlang, wie eine Orange, die gerade frisch gepellt ist“, muss man sich vielleicht verbieten als Drehbuchautor. So schreibst du dann vielleicht: „Es ist eine sehr lange Straße, serpentinenartig führt sie in ein Dorf, das in der Ferne im Nebel liegt.“ Du musst die Bilder relativ prägnant bringen und auf einer Metaebene eigene Gefühle und Interesse erzeugen – aus einer Mischung aus Beschreibung, Figurenentwicklung, Story und Freiraum für Interpretation.
Litaffin: Woher kannst du das?
Dydyna: Gute Frage… Wahrscheinlich vor allem aus eigener Erfahrung. Und ich habe früh angefangen, eigene Kurzfilme zu machen, viel gelesen, und dann war ich bei der Senator Film Produktion und bei Deutschfilm tätig, als Developer oder Creative Producer.
Litaffin: Ohne irgendetwas studiert zu haben?
Dydyna: Ohne studiert zu haben, aber mit großem Ego. Nach’m Abi hab ich erstmal angefangen, Theater zu spielen, und dachte, das wär das Richtige für mich und habe dann gemerkt, das ist es überhaupt nicht, weil ich jeden Abend tausend Tode sterbe.
Dann habe ich Luisa (Strömert) kennen gelernt, mit der ich dann diese schönen Kurzfilme gemacht habe, die dann auf ganz vielen Festivals liefen, und ich wurde dann ziemlich schnell auf einem Festival von Patrick Winczewski entdeckt, der ist lustigerweise neben Regisseur auch die Synchronstimme von Tom Cruise und Hugh Grant. Ich bin dann spontan mit nach Frankfurt gefahren, wo er gerade gedreht hat.
Dann fing ich an, mich bei Firmen zu bewerben, also alles was mit Film zu tun hat. Komischerweise gab es dann relativ viel Zuspruch für mich. Und dann bin ich zur Senator Film Produktion gegangen und habe da ganz klein angefangen, ich war der Praktikant von der Assistentin des Produzenten, also tiefer kannst du gar nicht starten. Da habe ich auch Christoph (Müller) kennen gelernt. Zuerst dachte er, ich sei so ein arty Typ, der sich für einen Schauspieler hält und Kunstkino mag und „Uä, mit dem kann ich ja überhaupt nichts anfangen.“ Und dann bin ich so die Projekte durchgegangen, die er machen wollte und die da so mehrere Jahre in der Schublade lagen und…da lag halt eben ein fünf Jahre altes Skript von „Goethe!“. Ich hab’s einfach ganz rock’n’roll-mäßig selbst in die Hand genommen und bin irgendwann mit einem Kaffee für ihn da reingelaufen und habe gesagt: „Das ist mehr ne coming of age Sache!“
Und er: „OK, du Schlausack, mach’s halt besser, wenn du dich wirklich so geil findest, du nimmst das Ding über’s Wochenende, bastelst daran ‚rum und zeigst es mir dann.“
Nach zwei Wochen meinte er: „Ist ja wirklich ganz geil, du kannst ja richtig schreiben!? Und damit gehen wir jetzt auf Regiesuche!“
Meine Ansicht vom Drehbuchschreiben ist ja sowieso, dass zwei Leute sich treffen, beide eine Meinung und Sicht haben, sich tierisch streiten und aus dem Streit etwas Besseres entsteht. Das ist für mich die perfekte Drehbucharbeit.
Litaffin: Also du findest den Austausch wichtig?
Dydyna: Das ist eine Sache, die den Drehbuchautor vom Romancier unterscheidet, dass er ein Handwerker ist und durch den Austausch und durch Streitgespräche immer mehr zur Geschichte kommt. Ich glaube, dass die Geschichte immer da ist. Aber um auf den Punkt zu kommen, braucht es kräftigen und auch argumentativen Austausch. Weil der Drehbuchautor jemand ist, der ein gutes Handwerk abliefern muss, damit diese ganze Maschinerie Film überhaupt läuft und ein guter Film am Ende rauskommt. Das ist eine riesen Verantwortung, da hängen Arbeitsplätze, Zeit und viel Geld dran. Der Romancier hat die Freiheiten zu sagen, das ist meine Sicht, das ist mein Gefühl, der kann wahnsinnig blumig erzählen, der kann die Figuren öffnen. Der liefert sein Werk ab und das war’s dann. Es steht da als eigenständiges Kunstwerk. Das kann der Drehbuchautor nicht, da er nicht nur Künstler, sondern hundertprozentig ein Handwerker ist, der verstehen muss, was er macht, und der durch den Austausch besser wird.
Litaffin: Glaubst du, man kann einen Roman auch so schreiben, zu dritt?
Dydyna: Glaube ich nicht. Weil ein Roman ja durch die einheitliche, gute Sprache lebt. Ein Drehbuch lebt davon, was du erzählst. Aber man könnte vielleicht den Plot und die Charaktere im Team entwickeln.
Litaffin: Wie sehr darf man bei einer historischen Figur die Fakten ändern? Für Goethe! gab’s diesbezüglich ja auch viel Kritik.
Dydyna: Man darf nicht vergessen, dass Film ein Medium ist, das ganz anders funktioniert als andere Stoffe. Und gerade wenn es um Historie geht, muss Film damit viel freier umgehen, um ein Film zu bleiben. Der Zuschauer möchte einen Film sehen, er möchte nicht historische Wahrheit sehen. Ein Film kann im seltensten Fall Wissen näher bringen, wie es ein Fachbuch kann. Es ist eben ein Unterhaltungsvehikel, genauso wie manche Bücher ja auch, aber Film kann selten Sachbuch sein und Film kann selten das geben, was eine lange Auseinandersetzung mit dem Thema bringt. Es kann immer nur eine Periode sein oder ein Fokus auf eine gewisse Zeit. Du siehst ein Kondensat, eine Übersetzung in ein anderes Medium. Du musst eben Film als eigenständiges Unterhaltungsmedium sehen, mit dem man natürlich auch Sachen beibringen kann und mit dem man sich natürlich auch Fakten nähern kann, aber eben auf eine unterhaltsame Art und Weise, glaube ich. Das muss das erklärte Ziel sein, das liegt in der Natur des Mediums.
Litaffin: Würdest du gerne mal ein Buch verfilmen?
Dydyna: Ja, ich find’s eine tolle Herausforderung, einen guten Roman zu nehmen und daraus einen tollen Film zu machen, das wär’ natürlich klasse. Aber bislang habe ich auch genug eigene Geschichten, oder mir werden auch tolle Geschichten zugetragen, die ich erstmal gerne machen möchte.
Das Interview führte Doreen Werner.
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