„Bright light city gonna set my soul, gonna set my soul on fire“, sang der King of Rock ’n’ Roll einst über Las Vegas. Ganz in diesem Sinne könnten vergangenes Wochenende Freunde des elektrotechnischen Fortschritts auf ihre Kosten gekommen sein, denn es gab einiges zu bestaunen auf der diesjährigen CES (Consumer Electronics Show) in Las Vegas. Und auch die Buchbranche schaute mal wieder genauer hin. Denn erst neun Monate ist es her, als die Leipziger Buchmesse statt fand, in deren Vorfeld zum ersten Mal ernsthaft über das Aus des gedruckten Buches geschrieben wurde (etwa von Gregor Dotzauer oder Michael Krüger).
Doch erst so langsam scheint es, als ob endlich gute elektronische Lesegeräte, neudeutsch E-Book-Reader, auf den Markt kämen. Damit wird hoffentlich bald die Zeit des Sony Readers PRS-505 beendet, der vor allem durch seine nicht abstellbare Zeitlupen-Funktion, neudeutsch Slow Motion, überzeugt. Erfolgreich war er hierzulande vor allem bei Lektoren, Literaturagenten und wahrscheinlich auch Wissenschaftlern (kurzum alle, die zu Recht keine Lust haben, viele Bücher und Manuskripte mit sich herumzuschleppen, wenn sich das so einfach vermeiden lässt). Und dieser „Erfolg“ wird wohl auch daran gelegen haben, dass es Amazon nicht hinbekommen hat, den Kindle 1 in der ersten Hälfte vergangenen Jahres herauszubringen, obwohl er schon seit November 2007 (!) in den USA erhältlich ist. Nun gut, seien wir ehrlich, ein E-Book-Reader ohne Sensorbildschirm, neudeutsch Touchscreen, ist ohnehin nur für den Allerwertesten. Ja, genau dafür!
Die neuen Lesegeräte haben zum Glück ein Touchscreen, sind (hoffentlich) auch schneller und deren Entwickler scheinen sich sogar weitgehend Gedanken um ein jeweiliges Alleinstellungsmerkmal, neudeutsch USP, gemacht zu haben. Hier einige Beispiele:
Der Skiff Reader ist recht schick und recht groß. Er besticht vor allem durch seine Biegsamkeit. Biegsam sind zwar potenziell alle E-Book-Reader, da sich elektronisches Papier, neudeutsch E-Paper, biegen lässt; der Skiff Reader setzt es bisher jedoch als erstes um. Grandios! Was man davon hat? Wenn man an eine Zeitung denkt, nervt die Elastizität wohl eher, sofern man sie nicht gerade auf dem Tisch liegen hat. Und beim Buch? Spontan fällt mir als Buchliebhaber und -besitzer nichts Schlimmeres ein als Menschen, denen man zum letzten Mal (!) ein (Taschen-)Buch ausgeliehen hat, weil sie ein Buch alle paar Seiten so biegen, dass U1 und U4 möglichst komplett aneinandergepresst werden und das Buch, das nun eher einem Fächer gleicht, sich nie wieder zuklappen lässt.
Nicht passieren kann einem dies mit dem enTourage eDGe. Dieser orientert sich nämlich am klassischen Buch, lässt sich auf- und zuklappen. Während die linke Hälfte ein schwarzweißes E-Ink-Display hat, ist rechts ein farbiges LCD-Display. Erinnert mich auf den ersten Blick ein bisschen an das Nintendo DS. Geeignet ist der eDGe für die Darstellung multimedialer Inhalte, was auch Chancen für Litertaurfilme bietet, insbesondere für Buchtrailer, die man sich vor einem Download anschauen könnte.
Ein weiterer großer Reader (Großformat scheint Trend zu sein) ist der Kindle DX. Ja, Amazon. Und er soll ab 19. Januar weltweit (!) für 489 Dollar zu kaufen sein. In den USA gibt es ihn natürlich schon. Ebenfalls unter den E-Book-Reader-Herstellern ist nun Samsung, unter anderem mit dem Samsung E6. Google hängt mit drin. Inwiefern? Natürlich mit Google Books, auf das der Reader zugreift. Bald ist der E6 für 399 US-Dollar zu haben – in den USA.
Und auch Microsoft mischt sich ein. Mit dem Slate PC. Und dieser wird mit Windows 7 laufen, was nun wirklich wenig überrascht. HP wird das Ganze entwickeln. Viel mehr weiß man auch noch nicht, außer: der Slate PC wird zuerst in den USA erscheinen. Wo Microsoft was tut, kann Apple nicht weit sein: Noch diesen Monat soll das Apple Tablet iSlate vorgestellt werden. Alles andere ist noch geheim. Aber Apple wird sich schon was einfallen lassen, um sich von der Konkurrenz abzuheben.
Und da wäre noch der Que von Plastic Logic, der zu den größten, flachsten und schicksten Readern auf dem Markt gehört und ein Display auf Kunststoff-Basis hat. 649 Dollar soll er kosten (in der günstigsten Version). Ab Mitte April soll das Gerät ausgeliefert werden. Eine weitere Besonderheit: Produktionsstandort ist Dresden. Dennoch wird der Que zunächst nur in den USA zu kaufen sein. Schade, denn der scheint wirklich interessant zu sein, aber wie alle genannten wohl schon veraltet, wenn es ihn hier, für den deutschen E-Buchmarkt kompatibel, endlich zu kaufen gibt.
Ich bin Bücherliebhaber. Und ich bin technikaffin. Und obwohl es für mich kein Ersatz für das gedruckte Buch wäre (die meisten Reader sind sowieso eher Computer als schlichtweg „elektronische Bücher“, was sich nicht ändern wird), hätte ich gerne so einen richtig schicken Reader, den ich im Beruf ohnehin bald benötigen werde. Doch mich stört vor allem eines, was der ein oder andere schon rausgelesen haben mag: Warum sind die Dinger meist lange vorher in den USA erhältlich? Und dann solche Preise (seien wir ehrlich: ein Gerät für im Schnitt 350 Euro, zwar meist mit Büchern drauf, aber nicht mit ausgesuchten, entspricht etwa 18 Büchern im Hardcover oder 35 Taschenbüchern) für ein bereits veraltetes Gerät bezahlen?
Warum lässt es Europa zu, dass die USA diesen Markt diktieren? Da lässt man sich ganz schön was entgehen. Schlimm genug, dass der deutsche Buchmarkt mit US-amerikanischen Titeln (ein anderes, wirklich nerviges Thema, denn USA bedeutet nicht Qualität, liebe Verlage!) und die deutsche Sprache von Neoanglizismen überflutet werden (ich spiele doch E-Gitarre, es gibt das E-Werk – warum heißt es nicht wenigstens E-Buch?). Gut, daran sind wir vielleicht selber schuld. Und schließlich leben wir ja in einer globalen Welt. Aber dann muss es doch möglich sein, dass man Technik gleichzeitig weltweit verfügbar macht. Oder bedeutet globale Welt, dass alle den USA hinterherlaufen? Wer will denn noch den Kindle 1 kaufen, wenn die Amerikaner ihren E-Book-Reader längst verbiegen dürfen? Und wer will in drei Jahren den ultimativ biegsamen Skiff Reader 2 kaufen, wenn es in den USA neuerdings (das ist jetzt natürlich frei erfunden) den Apple Tablet iSlate 4 gibt, den man falten und in die Tasche stecken kann, der sich wie Papier anfühlt, doch nur ein Display ist, aber alles kann, was ein Computer können muss, sogar Lautsprecher hat, obwohl er nur 0,8 mm dick ist?
Übertrieben? Vielleicht. Unvorstellbar? Nicht in naher Zukunft. Ein Video von Microsoft zeigt, wie wir in zehn (!) Jahren leben könnten. Etwa 60% davon, was gezeigt wird, gibt es angeblich schon. Als Litaffiner beachte man vor allem die Zeitung ab 4:14, die vielleicht auch die Zukunft des Buches spiegelt – welches natürlich ein anderes Format haben müsste (wie auch immer dies genau aussehen würde). Markttauglich ist das Ganze noch nicht. Vielleicht liegt hier ja unser Problem, der US-Markt ist einfach früher „tauglich“, und genau deshalb wird das Leben dort wohl bereits so aussehen wie in diesem Film, während wir über die dortigen Entwicklungen staunen und geduldig warten, bis wir mitspielen dürfen. Deshalb: Her mit dem zeitgleichen weltweiten Erscheinungstermin für elektrotechnische Neuheiten! Das muss doch möglich sein! Dann macht der Blick nach Las Vegas gleich noch viel mehr Spaß. Denn: „If it costs me my very last dime … I’ll always remember that I had a swingin‘ time.“
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