Die Misogynie des Literaturbetriebs

Autorinnen haben es im Literaturbetrieb nach wie vor schwer. Sie erhalten weniger Literaturpreise und werden von der Literaturkritik systematisch abgewertet. Ihre Bücher werden immer noch als „Frauenliteratur“ abgestempelt und in die Schublade des Sentimentalen und Trivialen abgeschoben. Dass diese misogyne Abwertung eine lange Tradition hat, zeigt Nicole Seifert in ihrem Buch FRAUENLITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt und rechnet mit dem problematischen Begriff ab.

© Thekla Noschka

„Der Begriff Frauenliteratur kann eigentlich weg“

Das Etikett „Frauenliteratur“ wird in der Literaturbranche schnell und gerne vergeben: Dafür reicht es schon, wenn das Buch einer Autorin vermeintliche „Frauenthemen“ behandelt oder ihm eine weibliche Zielgruppe attestiert wird. Besonders bezeichnend bei dieser Einordnung ist, dass es das Äquivalent „Männerliteratur“ überhaupt nicht gibt, das Pendant ist einfach nur „Literatur“. Während Bücher von Männern als allgemein relevant und lesenswert betrachtet werden, bleiben die Werke von Frauen immer noch häufig unbeachtet. Als seien ihre Inhalte nichts, was Männer interessieren müsse. Gerade deshalb findet Nicole Seifert, dass der Begriff „Frauenliteratur“ gestrichen gehört, wie es auf dem Cover der Publikation umgesetzt ist.

Das Trauerspiel Kanon: „Männer, die sich an Männer erinnern“

Nicole Seifert, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Inhaberin des erfolgreichen Literaturblogs Nacht und Tag, hat einen Blick in ihr Bücherregal geworfen und dabei ernüchtert feststellen müssen: Die Anzahl der Autorinnen, die sie in Schule und Studium gelesen hat, ist erschreckend gering. Während männliche Autoren wie Goethe, Fontane oder Kafka ihren festen Platz in den Curricula haben, ist die Thematisierung von Autorinnen eher eine Ausnahme. Seifert geht diesem Ungleichgewicht auf die Spur und hinterfragt, warum weibliche Schriftstellerinnen immer noch im literarischen Kanon unterrepräsentiert sind. Ein Grund dafür sei die männliche dominierte Literaturkritik. Bekannte Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki, Denis Scheck oder Thomas Kerstan würden auch heute noch Autorinnen ganz selbstverständlich aus ihren Leseempfehlungen ausschließen. Es sei ein von Männern gemachter Kanon, von »Männern, die sich an Männer erinnern«.

Fadenscheinige Argumente der Literaturkritik

Nicole Seifert sieht darin einen misogynen Versuch, Frauen bewusst aus dem Literaturbetrieb auszuschließen und zum Schweigen zu bringen. Eindrücklich analysiert sie aktuelle und historische Rezensionen zu Büchern von Autorinnen. Dabei stellt sie fest, dass schreibende Frauen immer schon für ihre Literatur nicht ernst genommen wurden und in Besprechungen oftmals auf ihr Aussehen, ihre Mutterschaft oder ihre Weiblichkeit reduziert wurden. Nur wenn sie einen „zärtlichen, empathischen Blick“ an den Tag legten, würden sie anerkennende Worte finden. Um Inhalte gehe es tatsächlich nur selten. Männliche Rezensenten versteckten sich dabei häufig hinter dem Argument, sie würden nicht auf das Geschlecht achten, sondern allein die Qualität des Textes bewerten. Dass dieses Argument nicht zieht, erklärt Seifert anhand mehrerer Studien, bei denen Literatur anonym bewertet wurde. Das Ergebnis: Die Texte von Frauen kamen sogar besser an.

Autorinnen gab es schon immer

Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Literaturgeschichte wird meist mit dem Argument begründet, Frauen hätten früher ja nicht so viel geschrieben. Nicole Seifert nennt diese Behauptung fadenscheinig: Schriftstellerinnen gab es schon immer, sie erhielten nur nicht die ihnen zustehende Aufmerksamkeit und wurden deshalb eher vergessen als ihre männlichen Kollegen.

Natürlich waren die Produktionsbedingungen für Frauen auch wesentlich schwieriger, Frauen wurden noch im 20. Jahrhundert aus der Öffentlichkeit herausgehalten und an den Herd verbannt. Schreibende Frauen galten lange Zeit sogar als anstößig, lächerlich und frivol. Doch in zahlreichen verstaubten Archiven schlummern Schätze, die es wiederzuentdecken gilt:

Die gute Nachricht: Weil Bücher von Autorinnen aus der Literaturgeschichte ausgeschlossen wurden, gibt es in der Vergangenheit unglaublich viel zu entdecken.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Natürlich ist Nicole Seiferts Buch nicht das erste, das eine feministische Kritik am Literaturbetrieb formuliert. Seit vielen Jahrzehnten bemüht sich die feministische Literaturwissenschaft um die Anerkennung von Autorinnen und eine Aktualisierung des Kanons. Dennoch ist Seiferts Buch ein ausgezeichneter Einstieg in die aktuelle Debatte und bietet einen guten Überblick. Nicht nur macht sie die misogynen Strukturen in der Kanonisierung und im Literaturbetrieb sichtbar, auch stellt sie zahlreiche lesenswerte und teilweise vergessene Autorinnen vor. Mit ihrem Buch richtet sie sich sowohl an Lesende als auch an den Literaturbetrieb selbst: An Journalist*innen, Literaturwissenschaftler*innen, Verlage und Literaturinstitutionen. Gut recherchiert und wissenschaftlich fundiert, aber dennoch in einer zugänglichen und klaren Sprache, prangert sie die Missstände an. Trotz einiger Wiederholungen und zwischenzeitlicher Längen leistet sie damit einen wichtigen Beitrag für den aktuellen Literaturbetrieb.

Dabei unterschlägt sie nicht die positiven Entwicklungen der letzten Jahre: „Es tut sich was.“, konstatiert sie. Wir seien bereits am Anfang struktureller Veränderungen und der Feminismus sei zum „Trendthema“ geworden. Doch damit die Marginalisierung von Autorinnen auch langfristig ein Ende finde und sich der literarische Kanon wandele, brauche es gezielte Bemühungen. Und so ist Nicole Seiferts FRAUENLITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt vor allem Anstoß, Empowerment und Inspiration: Wir müssen endlich unseren Horizont erweitern.


Nicole Seifert: FRAUENLITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, Berlin: Kiepenheuer&Witsch 2021, 224 Seiten.

Thekla Noschka
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