„Wir wollen vermitteln, dass Bücher glücklich machen“

Vom Segeln im Chaos und der Suche nach dem besten Buch der Welt: Mia Grau und Christoph Kalbitzer im Gespräch über ihr frisch gegründetes Start-up Zucker & Zitrone und die Frage, wie man Kinder und Jugendliche zum Lesen verführt.

Gründungsteam von Zucker & Zitrone: Christoph Kalbitzer und Mia Grau
© Sven Fortmann

Natalie Wetzel: Das Unterhaltungsmedium Buch hat so viel Konkurrenz wie nie zuvor. Demensprechend sind die Zahlen lesender Kinder und Jugendlicher im Jahr 2021 so niedrig wie noch nie in den letzten 10 Jahren. Genau da möchten Mia Grau und Christoph Kalbitzer von Zucker & Zitrone ansetzen: Wie wollt ihr Kinder und Jugendliche ans Lesen heranführen?

Christoph Kalbitzer: Zum einen mit Workshops in der Schule, in denen wir gemeinsam mit den Schüler*innen ein Buch erforschen. Das machen wir einerseits durch Vorlesen, was wir für ein extrem wichtiges Tool halten, das für viele Kinder zuhause selbstverständlich ist, für viele aber auch nicht. Danach nähern wir uns mit verschiedenen Formaten – theatrale nund gestalterischen Formaten oder Gesprächsrunden – dieser Geschichte an. 

Mia Grau: Anschließend gehen wir auf einen Aspekt dieses Vorlesens ein und daraus wird dann eine Art Aktion, ein spielerischer Umgang, in dem die Schüler*innen darauf reagieren. Also: welcher Punkt betrifft sie? Wo geht es auch um sie in diesem Buch? Das versuchen wir herauszufinden.

Kalbitzer: Und das nicht nur durch Lesen und Interpretieren, denn für uns bedeutet dieses Lesen mehr: mitmachen und erfinden, gestalten, schreiben, in Aktion treten – in Interaktion treten mit dem Text und mit der Geschichte. Wir haben gegenüber der Schule ja auch den Vorteil, dass wir keine Noten geben müssen.

Grau: Das ist dann keine Textanalyse wie im Deutschunterricht, sondern ein verspielterer Umgang damit. Das ist der Workshop-Anteil.

Wetzel: Und dann gibt es noch das Onlinemagazin, das im April starten soll.

Grau: Genau. Das Onlinemagazin setzt sich zusammen aus einem klassischen Teil, bestehend aus Rezensionen, Interviews und Features über den Literaturkosmos. Diese Texte werden zum Teil von Erwachsenen hergestellt und zum Teil von Jugendlichen. Dann gibt es noch einen interaktiven Bereich, in dem wir zum Beispiel digitale Schreib- und Illustrationswerkstätten anbieten. Wir planen auch Vorleseräume, in denen wir unbekannte, aber vielleicht auch bekannte, Menschen aus Büchern vorlesen lassen. Das wird dann gestreamt oder gefilmt und ist über unsere Seite abrufbar.

Wetzel: Das besondere an eurer Website ist also, dass ihr Text, Video und Interaktion zusammenführt?

Grau: Genau. Bei unserer Website ist es uns sehr wichtig, dass auch Kinder und Jugendliche selbst schreiben und dass es einen Meinungsaustausch gibt – nicht in dem Sinne, dass sie miteinander chatten, sondern dass sie selbst Rezensionen schreiben oder sich ein Profil anlegen und Bücher bewerten können. Außerdem streben wir an, dass die Kinder in Zukunft über uns Leseexemplare bekommen können, damit das Buch tatsächlich zu ihnen kommt. Genauso wollen wir einen Schreibwettbewerb ausrichten – sodass es insgesamt viele verschiedene Dinge gibt, die man auf unserer Website entdecken kann. Am Anfang wird aber noch nicht alles komplett fertig sein.

Wetzel: Gibt es auch schon konkrete Pläne für die digitalen Werkstätten?

Grau: Das ist noch in der Entwicklung. Wir sind im Gespräch, aber da können wir noch nichts Fertiges präsentieren.

Kalbitzer: Unsere Redaktion arbeitet schon. Unser Redakteur war heute mit einer Autorin spazieren und hat ein Interview geführt. Mit dieser Autorin überlegen wir, eine Kooperation zu machen. Einerseits ist das gerade eine sehr aufregende und kreative Zeit, weil ständig neue Ansätze entstehen, und andererseits bringt es kreatives Chaos, in dem wir gerade rudern, schwimmen und segeln.

Wetzel: Das ist ein sehr schönes Bild, genauso wie euer Name. Zucker & Zitrone klingt zwar wenig nach Büchern, aber dafür umso appetitanregender. Wie seid ihr darauf gekommen?

Grau: Der war einfach so da.

Kalbitzer: Eigentlich ist es ein schöner Widerspruch…

Grau: Zucker ist süß, Zitrone ist sauer, das kann man beides gut oder schlecht finden. Zucker & Zitrone klingt für mich nach Freude und nach lecker. Wir planen eine Zucker-und-Zitrone-Skala, nach der man die Bücher bewerten kann. Das ist eigentlich eine totale Verballhornung von diesen ganzen Bewertungssystemen, weil es gleichzeitig gar nichts aussagt. Ich finde das ganz toll, dass es so einen anarchischen Touch hat. Was heißt das jetzt schon? Ist das mehr Zucker oder mehr Zitrone? Da kriegt man ein fast sinnliches Gefühl zu dem Buch.

Wetzel: Ihr kommt beide aus der weiten Ecke „irgendwas mit Medien“. Auf dieses pädagogische Projekt seid ihr gekommen, weil …?

Grau: Wir haben beide Kinder.

Kalbitzer: Ja.

Grau: Wir haben beide schon für Kinder geschrieben und wir haben auch schon zusammen für Kinder geschrieben. Dabei haben wir uns mit der Frage beschäftigt, was Kinder – und auch Jugendliche – eigentlich warum lesen. Oder warum sie nicht lesen. Und was sie wirklich interessiert, wie ihre Meinung entsteht oder wo sie sich informieren. Wir haben ein bisschen rumgeguckt und festgestellt, dass es diese Kombination von „seriösem“ und informativem Onlinemagazin mit interaktiver Teilhabe und dieser Workshop-Idee so nicht gibt. Das empfanden wir als Lücke und über viele, viele Gespräche ist dann dieses Konzept entstanden: Eine Plattform, bei der man gucken kann: Welche Kinder in meinem Alter fanden was cool? Da informiere ich mich, was ich als nächstes lesen will. Das ist unser Ziel.

Kalbitzer: Wir haben auch einfach festgestellt: klar gibt es die Festlegung oder Orientierung von Verlagen durch Lesealtervorgaben, aber zum Teil stellt man bei 8-Jährigen fest, dass sie auch Texte lesen, die für 12-, 13-, 14-Jährige verortbar sind.

Grau: Das ist halt abhängig vom Kind, was es abkann und verträgt. So eine Plattform ist aber auch für Eltern interessant, weil sie sich hier informieren können, was andere Kinder schön oder nicht so schön fanden. Das kann man dann abgleichen mit dem, was das eigene Kind mag, und sich Tipps holen, was man zum nächsten Geburtstag verschenken könnte – oder auch so zwischendurch.

Wetzel: Stichwort Geburtstagsgeschenk: Comics, Mangas und Comic-Romane wie „Gregs Tagebuch“ erfreuen sich ja großer Beliebtheit. Wie geeignet sind solche Formate, um Kinder und Jugendliche zum Lesen zu verführen?

Grau: Ich finde, Comics sind eine super Sache für Kinder und Jugendliche. Durch Comics lernt man wahnsinnig viel über Zeitwahrnehmung oder Zusammenhänge. Es ist auch für Kinder, die nicht so gerne lesen, ein toller Einstieg, um an Geschichten teilnehmen zu können. Comics sind eine nicht zu unterschätzende literarische Sparte. Wir wollen daher unbedingt auch Comics und Graphic Novels in unseren Katalog aufnehmen.

Wetzel: Gerade von älteren Generationen werden Comics immer noch gerne mit einer gewissen Skepsis beäugt, eben weil sie keine „richtigen“ Bücher mit längeren Texten sind.

Kalbitzer: Comics sind auch Bücher und wir sind überzeugt davon, dass diese Art von Büchern Kindern und Jugendlichen sehr guttun kann.

Grau: Uns ist bei den Workshops das Wichtigste, dass wir Spaß vermitteln. Wir wollen nichts Pädagogisches oder Schulstoff vermitteln, sondern dass Bücher glücklich machen können. Und wenn Comics glücklich machen, dann ist das super. 

Kalbitzer: Die Graphic Novel ist einfach eine Kunstform, die zu respektieren ist. In der Leseforschung wird das ja auch nicht mehr verteufelt. Comics als ein verderbliches Medium darzustellen, ist eine völlig veraltete Sichtweise. Ich glaube auch, dass Kinder und Jugendliche, auch wenn sie die ersten 16 Jahre nur mit Comics zu tun haben, irgendwann einen Roman in die Hand nehmen werden. Hauptsache ist, dass es da schon mal einen Berührungspunkt gab.

Wetzel: Was hat es mit eurer „Suche nach dem besten Buch der Welt“ auf sich?

Grau: Was ist ein bestes Buch der Welt? – Das fragen wir bei unseren Workshops die Schüler*innen. Wir haben natürlich auch Kriterien für uns herausgesucht, was wir glauben, was ein bestes Buch der Welt ausmacht: Dass es Spaß macht, dass man sich selbst darin wiederfinden kann, dass es einen gedanklich anregt, dass es etwas im Kopf oder im Herzen bewegt.

Kalbitzer: Im Grunde genommen ist es wie Zucker und Zitrone. „Das beste Buch der Welt“ ist auch eine ziemlich dreiste Behauptung, weil jedes beste Buch der Welt eine Momentaufnahme ist. Diese Momentaufnahme hat mit einem persönlich zu tun. In dem Moment, wenn man das beste Buch der Welt entdeckt hat, ist das auch ein bestes Buch der Welt…

Grau: …aber das schließt nicht aus, dass auch ein anderes Buch ein bestes Buch der Welt sein kann; für einen selbst oder für jemand anderen in einem anderen Moment oder im gleichen Moment. Wir werden bestimmt sehr viele beste Bücher der Welt finden.

Wetzel: Wenn ihr mit einem solchen besten Buch der Welt ein leseunwilliges Kind überzeugen müsstest, welches Buch würdet ihr wählen?

Grau: Oha! Das ist eine schwierige Frage.

Kalbitzer: Das kommt aufs Alter an und auf die Person.

Grau: Jetzt das konkrete Buch dafür zu nennen, fällt mir echt schwer, da es sehr, sehr abhängig vom Kind ist. Wir haben neulich einen Workshop mit dem großartigen Buch „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ von Dita Zipfel gemacht und da gab es einzelne Jugendliche, die gesagt haben: Das Buch kaufe ich mir selbst. Aber andere konnte damit überhaupt nichts anfangen, weil das nicht ihr Style ist.

Kalbitzer: Wir sind aber auf jeden Fall Dita Zipfel-Fans. „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ ist daher ein Buch, das wir empfehlen würden. Jüngeren Kindern schenke ich mit meiner Tochter gerade gerne „Die Luftpiraten“ von Markus Orths. Es hat so einen Fantasy-Touch, ist aber vor allem sehr philosophisch und sehrlustig. Das würde ich Grundschüler*innen ans Herz legen.

Grau: Gute Wahl.

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