Seit der Erstveröffentlichung 2005 beherrscht sie die Bestsellerlisten und bringt Teenager weltweit in Wallung: Stephenie Meyers vierbändige Vampirsaga „Twilight“. Über vierzig Millionen Bücher wurden bisher verkauft, allein die kürzlich angelaufene Verfilmung des zweiten Bands „New Moon“ spielte in den ersten Wochen Rekordsummen ein. Der dritte Teil kommt bereits im Sommer 2010 in die Kinos.
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Was macht die Geschichte so erfolgreich? Ich begebe mich auf Spurensuche und lese den ersten Band „Bis(s) zum Morgengrauen“. Um es vorweg zu nehmen: das eingeklammerte „s“ im Titel enthält die gesamte Programmatik. Vampir Edward Cullen verliebt sich in die sterbliche Bella Swan und befindet sich dadurch in einem ständigen Kreislauf aus Blutdurst und Triebkontrolle. Dementsprechend schwierig gestaltet sich das Zusammensein. Edward wird von der Selbstdisziplin ebenso geplagt wie von der Gewissheit, Bella irgendwann der Unsterblichkeit weihen zu müssen, damit ihre Liebe überdauert. Bella wiederum martern Edwards Zweifel. Wir ahnen bereits: wirklichen Bis(s) bekommt das Ganze nicht. Wobei man Mrs. Meyer ein gewisses Handwerk nicht absprechen darf. Die Figuren werden an den richtigen Stellen eingeführt, der Spannungsbogen zumindest anfangs plausibel aufgebaut. Und auch ein gewisser Witz blitzt in den Dialogen angesichts der ungewöhnlichen Beziehung hin und wieder auf – zumindest im englischen Original. Doch bereits nach zwanzig Seiten ist Bella plötzlich in Edward verliebt, und auch sein zunächst unerklärliche Hass ihr gegenüber schlägt schnell und etwas unmotiviert in tiefe Gefühle um, die durch konstruierte Dialoge untermalt werden. Diese drehen sich hauptsächlich im Kreis; Bella fühlt sich minderwertig, Edward auch, und weil sie sich darin so gut verstehen, beteuern sie in jedem Kapitel mindestens einmal ihre Liebe.
Das Potential liegt in der Identifikationsmöglichkeit mit der Protagonistin. Sie repräsentiert den Teenager mit den Problemen von heute: zerrüttetes Elternhaus, Schwierigkeiten mit sozialem Anschluss, massive Selbstbewusstseinkomplexe und – natürlich – die erste Liebe. Dass der Auserwählte Mordgedanken in ihrer Nähe bekommt, macht die Sache etwas spannender als gewöhnlich. Was mich auf das Schema „Groschenroman“ als ersten Verkaufsgaranten stößt. Die Zutaten: ein ungleiches Paar, oftmals in brennendem Hass zueinander, der in ungezügelte Leidenschaft umschwingt. Diese wiederum wird durch das Verdrängen der aufkeimenden Liebe ebenso gesteigert, wie durch die Unmöglichkeit ihres Zusammenseins durch ein beliebig wählbares Hindernis. Am Schluss sind sie selbstverständlich vereint und lieben sich bis ans Ende ihrer Tage. Im Fall „Twilight“ ist einer der Liebenden unsterblich und die sprichwörtlich ewige Liebe wird nur möglich, wenn der Vampir sich überwindet, endlich zuzubeißen. Trotz lebensbedrohlichem Showdown am Ende wird schnell klar, dass er das bis Band vier nicht vollbringen wird.
Die Mormonin Stephenie Meyer soll damit eine Metapher für ein keusches Leben geschrieben haben mit der einfachen Moral „Abstinenz durch Selbstbeherrschung“. Die Protagonisten tauschen bis zur Hochzeit und der darauffolgenden Nacht in Band vier lediglich ein paar unschuldige Küsse, um Edwards bissige Instinkte nicht zu wecken. Was der Leser offensichtlich ohne weiteres akzeptiert, wird von den Medien verhöhnt. Auch das lässt tief blicken. Auf die Schnelle springen mir außer der Keuschheit vor der Ehe wenig mormonische Botschaften ins Auge. Sicherlich haben engagierte Spurensucher Meyers Saga als religiöses (Trieb-)Unterdrückungspamphlet entlarvt. Aber es ist seit jeher leichter etwas in einen Text hineinzulesen als aus ihm heraus. Zudem: visualisieren wir kurz, was passiert wäre, wenn die Autorin der Geschichte etwas mehr Pfeffer gegeben und die andere Richtung eingeschlagen hätte. Die amerikanischen Sittenwächter wären wohl auf die Bestsellertische gesprungen und hätten ein lustiges Feuer für die Sünderin entzündet. Interessanter als die Jungfräulichkeit der Protagonistin ist für die Fans sicherlich auch ein anderer Aspekt. „Edward und Bella lieben sich und zwar bedingungslos. Es gibt nichts, das sie trennen könnte.“, sagt ein junges Mädchen in einer Spiegel-Reportage, die sich mit dem Phänomen beschäftigt. In der Tat ist es die bedingungslose und vor allem ewige Liebe, für die sich Frauen jeden Alters anfällig zeigen und die in der heutigen Gesellschaft nicht mehr leicht zu finden ist. Das ist nicht neu, schließlich ist sie einer der ältesten literarischen Stoffe überhaupt und von einer beinahe unvergleichlichen Universalität. Meyer arbeitet also mit Schema F der Liebesgeschichte wie sie sich auch in Paaren wie Tristan und Isolde oder Romeo und Julia darstellt, allein ihre Prosa reicht bei weitem nicht an die Grenze zur Weltliteratur.
Doch mir scheint, es ist noch etwas anderes, das auch „Harry Potter“ zum Bestseller machte: die Verzauberung des Alltags. Magische Wesen, die unerkannt unter den Menschen leben, bringen eine dringend benötigte Märchenkomponente in die triste Realität. Und befriedigen die Sehnsucht, dass die Welt ein klein wenig zauberhafter und geheimnisvoller sein möge, als sie dem gewöhnlichen Auge erscheint. In „Twilight“ funktioniert das durch eine konsequente Entstaubung des Vampirbilds à la Bram Stoker oder Anne Rice. Keine Särge mehr, keine historischen Kostüme, keine Verbrennungen in der Sonne. Meyers Blutsauger entspringen der Weltsicht einer Bravo- und MTV-Generation, tarnen sich mit hippen Klamotten, schnellen Autos und geradezu unverschämt gutem Aussehen. Je subtiler die Gefährlichkeit und sexuelle Anziehung, desto höher und hingebungsvoller schlagen die Mädchenherzen. Sollte sich Dracula also nicht schnell in einen attraktiven Bad-Boy mit Teenieschwarm-Potential verwandeln, kann sein derzeitiger Marktwert nur als äußerst bedenklich bezeichnet werden.
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