Interview: „Ein Verlag muss die Programmhoheit bei sich behalten“

Nicht nur litaffin feiert dieses Jahr einen wichtigen Geburtstag. Der Wallstein Verlag in Göttingen wird 25. Aus diesem Anlass reflektiert der Verlager Thedel v. Wallmoden im Gespräch mit litaffin Entwicklungen und Besonderheiten des Verlages im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der Buchbranche.

Litaffin: Herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Geburtstag! Wenn Du Revue passieren lässt, welche Ereignisse, Entwicklungen oder Stationen würdest Du als besonders positiv bewerten?

Thedel v. Wallmoden: Ganz wichtig ist der Ausgangspunkt: Mitte der achtziger Jahre haben wir gesagt, dass das Schreiben, Verlegen und Produzieren von Büchern künftig mithilfe digitaler Medien stattfinden wird. Die Annahme, dass die Computertechnik die Basis für eine verlegerische und inhaltliche Arbeit sein würde, und dass damit ein Verlag wirtschaftlicher organisiert werden kann als bisher, war vollkommen richtig. Vor diesem Hintergrund konnten wir beginnen, aus den Inhalten, für die wir uns interessierten, ein Programm zu machen. Wir haben zunächst zwei Jahre nur als Dienstleister gearbeitet und erst 1988 die eigene Buchproduktion aufgenommen. Wallstein ist noch heute eine Mischung zwischen einerseits genuin verlegerischen Aktivitäten und andererseits fremdfinanziertem Projekten. Literarische und einige wissenschaftliche Bücher erscheinen komplett im eigenen Risiko des Verlags und andere Publikationen erscheinen in Kooperation mit Institutionen oder werden über Zuschüsse finanziert, wie das im Wissenschaftsbetrieb üblich ist.

Litaffin: Ihr verlegt sowohl zeitgenössische Belletristik als auch wissenschaftliche Publikationen und Editionen. Wie kam es zu der Entscheidung?

Thedel v. Wallmoden:
Die inhaltliche Konzeption des Verlags wurde immer von intellektuellen Positionen bestimmt, die ihren Ausdruck in wissenschaftlichen Fragestellungen und Themen haben, aber auch ihren eigenen literarischen Ausdruck finden können. Der Wallstein Verlag war weder ausschließlich als Wissenschaftsverlag oder nur als literarischer Verlag gedacht. Der Verlag sollte immer auch ein allgemeines literarisches Publikum ansprechen und nicht nur eine wissenschaftliche Community mit guten Editionen und Fachbüchern bedienen. Diese Zweigleisigkeit findet ihren Ausdruck in der Themenwahl ebenso, wie in der Art, wie die Bücher gemacht sind und natürlich in der Preispolitik.

Litaffin: Insgesamt habt ihr 18 Mitarbeiter und damit eine Größe, die zwischen den ganz kleinen unabhängigen Verlagen und den doch deutlich größeren, im Konzern organisierten, Verlagen liegt.

Thedel v. Wallmoden: Ja, in dieser Zwischengröße liegen wir nicht nur von der Mitarbeiterzahl, sondern auch im Umsatz und in der jährlichen Titelzahl. Nur für den Verlag wären 18 Personen eigentlich zu viel, aber da alle Bücher, die wir verlegen, nicht nur im Lektorat und redaktionell, sondern bis zur digitalen Druckvorlage hier im Haus entstehen, ist diese Personalausstattung richtig und vernünftig. Und zum Umsatz: Die Buchbranche ist in Deutschland noch überwiegend mittelständisch organisiert. Aber es gibt sowohl im Handel als auch bei den Verlagen eine zunehmende Konzentration. Der Abstand zwischen den Konzernverlagen und den Independents wächst ständig. Von den unabhängigen literarischen, eigentümergeführten Verlagen ist der Carl Hanser Verlag im Moment wohl der erfolgreichste. Und natürlich arbeitet dieser Verlag in einer anderen Größenkategorie als Wallstein.

Litaffin: Ist es die längerfristig notwendige Strategie für kleinere Verlage, sich  zusammenzuschließen?

Thedel v. Wallmoden: Für mich ist die wirtschaftliche Größe nicht das entscheidende Kriterium. Die Frage beantwortet sich eher daher, dass zum Beispiel bei den Veränderungen im Buchhandel viele unabhängige Verlage gegenüber der geballten Einkaufsmacht der Buchhandelsketten kaum noch auf Augenhöhe Geschäfte machen können. Die Situation im Handel zwingt uns, zu wachsen und über Kooperationen nachzudenken. Mir ist aber für die Zukunft wichtig, dass dies nicht die individuelle Kreativität und die unabhängige Programmgestaltung beeinträchtig, denn das ist die eigentliche Stärke der unabhängigen Verlage. Die Frage ist eher, wie man Synergien zwischen unabhängigen Verlagen erzeugen kann, um im veränderten Buchhandel weiter gut präsent zu sein.

Litaffin: Das heißt, Du würdest immer die Möglichkeit vorziehen, bestimmte Teile der Verlage gemeinsam zu organisieren, nicht aber die gesamten Verlage?

Thedel v. Wallmoden: In vielen Bereichen wie Vertrieb, Vorschau, Versand und Vertretern arbeiten wir ja bereits mit anderen Verlagen zusammen, aber für die individuelle Ausrichtung eines Verlags, für eine erkennbare intellektuelle Physiognomie und eine literarische Handschrift muss ein Verlag die Programmhoheit behalten. Das ist für mich der Kern der Sache. Darum machen wir die Arbeit.

Litaffin: Besonders an Wallstein ist auch, dass alles am Buch aus einer Hand gemacht wird. Eure Hersteller setzen das Buch nicht nur, sondern lektorieren es auch.

Thedel v. Wallmoden: Ich würde es genau andersherum akzentuieren: Unsere Lektoren können auch setzen. Denn die Eingangsqualifikation ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den wissenschaftlichen Fächern kommen, die wir im Programm vertreten. Die wissenschaftliche Kompetenz können wir hier nicht nachholen, aber die EDV-Kenntnisse kann man im Unternehmen auftrainieren. So ist es möglich, dass nur eine Person im Verlag Ansprechpartner für den jeweiligen Autoren und Herausgeber ist bis das Buch wirklich in den Druck geht. Die Dinge, die im Lektorat verabredet werden, werden von der gleichen Person umgesetzt, die diese Verabredungen mit den Autoren getroffen hat. Wenn alles in einer Hand ist, ist man schneller, beweglicher, effizienter. Wir waren wohl von 25 Jahren die ersten, die in dieser Form einen Verlag organisiert haben. Das ist ein Grund dafür, warum viele Institutionen des Literatur- und Wissenschaftsbetriebs Wallstein als attraktiven, leistungs¬fähigen Partner für sich entdeckt haben.

Litaffin: Ihr seid auch bei PaperC vertreten. Ist Open Access eine Zukunftsform gerade für wissenschaftliche Literatur? Muss man das mitmachen?

Thedel v. Wallmoden: Tja, wenn wir das wüssten. Diese Frage kann man erst beantworten, wenn man es probiert hat. Ich glaube nicht an eine krasse Alternative zwischen Print und Digital, sondern denke, dass es zu komplementären Strukturen oder komplementären Märkten kommen wird. Da gilt es, entsprechende Vertriebsformen zu entwickeln und herauszufinden: Welche Formate wollen die Leser eigentlich haben? Wie werden Inhalte dargeboten? Auf welche Plattformen gehen die Leser, um die Inhalte zu finden? Welche Abrechnungsmodelle sind für die Nutzer bequem und sicher? Heute ist das alles noch ein riesiges Experimentierfeld und man kann im Moment eigentlich nur sagen: Man muss vieles ausprobieren, um zu sehen, was beim Leser ankommt und gut funktioniert.

Litaffin: Vielleicht magst Du uns abschließend Deine Favoriten im Frühjahrs- und gleichzeitig Jubiläumsprogramm vorstellen?

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Mehr Informationen über die vorgestellten Bücher gibt es beim Klick auf den Titel:
Rahel Levin Varnhagen
| Tagebücher Friedrich Kellners | Gandhis „Ausgewählte Werke“ | Gabriele Kögls „Vorstadthimmel“ | Matthias Zschokkes „Lieber Niels“ | Gregor Sanders „Winterfisch“


Das Interview führte Lisa Heyse
Foto und Grafik © Wallstein Verlag

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