Die Kunst des Übersetzens: Ein Interview mit Leila Chammaa

Auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin 2009 lernte ich Leila Chammaa als Dolmetscherin für die libanesische Schriftstellerin und Verlegerin Nadine Touma kennen und schätzen. Mit ihren Übersetzungen hat sie eine Vielzahl bedeutender arabischer Autoren und Dichter hierzulande erst bekannt gemacht. Unter anderem: Sahar Khalifa, Alawiyya Sobh, Girgis Shoukry und Elias Khoury, dessen Roman „Yalo“ vor kurzem für den internationalen Literaturpreis nominierte wurde. Ein Anlass zum Gratulieren und um einmal über das Übersetzen im Allgemeinen und das der arabischen Literatur im Besonderen zu sprechen.

Litaffin: Leila, du bist 1965 in Beirut geboren und im Zuge des Bürgerkrieges mit deiner Familie nach Deutschland gekommen. Lässt sich allein aufgrund deiner Herkunft das Interesse für die arabische Sprache/Kultur herleiten? Wie bist du zum Übersetzen gekommen?

Leila Chammaa: Ich habe mein erstes Buch (Sahar Khalifa – Memoiren einer unrealistischen Frau) noch während des Studiums übersetzt. Ich wusste damals nicht, was ich beruflich eigentlich machen möchte. Ich wusste, ich kann Arabisch und Deutsch und interessiere mich für Sprachen und Literatur. Daraufhin schrieb ich Initiativbewerbungen an diverse Verlage. Der Unionsverlag meldete sich schließlich und bat um eine Probeübersetzung. Ich sagte: „Ja klar, das mache ich.“ Aber wie viele Leute habe ich unterschätzt, was es heißt zu übersetzen. Dennoch habe ich mich reingekniet und das Buch übersetzt, weil ich das unbedingt machen wollte.

Als ich an meiner zweiten Übersetzung (Laila Baalabakki – Ich lebe – Lenos Verlag) arbeitete, wurden die Schwierigkeiten fast unerträglich. Zu übersetzen ist echt brutal. Monatelang sitzt du alleine an deinem Schreibtisch, kämpfst mit den Sätzen, bist ständig im Selbstzweifel. Bin ich zu dicht am Original? Bin ich zu weit entfernt? Habe ich überhaupt verstanden, was da steht? Ist es ein schönes Deutsch?

Nach der Übersetzung machte ich erst einmal etwas anderes. Ich war journalistisch tätig, ging eine Zeitlang ins Ausland. Schließlich traf ich eine ehemalige Dozentin Prof. Dr. Susanne Enderwitz wieder. Sie sagte mir, dass ich das Zeug zum Übersetzen hätte. Kurze Zeit später, ich war wieder in Berlin, las ich den Roman von Elias Khoury „Königreich der Fremdlinge“. Ich war so begeistert, dass ich ihn sofort zwei, drei Mal hintereinander lesen musste. Ich dachte, das muss übersetzt werden. Das habe ich dann auch getan und mich entschieden: Ich bin Übersetzerin.

Zudem ist mir aufgefallen, dass ich, zweisprachig aufgewachsen, eigentlich mein Leben lang übersetzt habe. Und wenn ich in der arabischen Welt bin, fehlt mir Deutsch und bin ich hier, fehlt mir das Arabische. Das Übersetzen ist der einzige Moment im realen Leben, wo beides zusammenkommt. Ich bin also eine eingefleischte Übersetzerin.

Litaffin: Arabisch ist nicht gleich Arabisch. Es gibt unzählige Färbungen der arabischen Sprache (das libanesische Arabisch, syrische Arabisch, palästinensische Arabisch, etc.). Einige dieser Dialekte sind eng miteinander verwandt, andere weniger. Welche Auswirkungen haben diese Dialekte für die Arbeit des Übersetzers? Oder sind vielmehr die allgemeinen grammatikalischen Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Arabischen die größte Herausforderung?

Leila Chammaa: Ich mache mehrere Versionen des Buches. Die erste ist eine absolute Rohübersetzung, ich übersetze quasi Wort für Wort. Danach gehe ich ins Detail und schaue mir bestimmte Begrifflichkeiten an und arbeite mich über diese langsam in den Text, in den Inhalt hinein. Die Literatur ist in Hocharabisch verfasst, aber es kann sein, dass die Dialoge im Dialekt geschrieben sind. Sie geben wieder, wie die Leute in Wirklichkeit sprechen. Die Dialekte sind manchmal ein Problem, wenn ich bestimmte Begriffe und Redewendungen nicht kenne. Da muss man sich reinarbeiten und recherchieren.

In der zweiten Phase wage ich mich an das „Zertrümmern“ dessen was dasteht, um es neu zusammenzusetzen, d.h. dem Inhalt die passende Grammatik im Deutschen zu geben. Und diese Aufgabe macht mir häufig Angst, weil ich nicht weiß, ob ich das kann. Beispielsweise wird in der indirekten Rede im Deutschen der Konjunktiv verwendet, im Arabischen nicht. Und wenn es um einen eher handlungsorientierten Roman geht, ist es schwierig den Konjunktiv zu benutzen, ohne dass es im Deutschen gestelzt klingt.

Zu der sprachlichen Herausforderung kommt die psychische hinzu, weil man sich in eine Welt begeben muss, die nicht die eigene ist und die einen zuweilen belastet, gar quält. Bei „Yalo“ zum Beispiel musste ich mich tagelang in die Folterungs- oder Vergewaltigungsszenen einfinden, um sie zu übersetzen. Das produziert natürlich auch innere Widerstände, Wut und Ablehnung. Erst nach und nach findet eine Annäherung statt. Und zum Schluss bei der letzten Überarbeitung, dem Lautlesen, merke ich am besten, wo es noch holpert, wo die Übergänge nicht stimmen. Und wenn ich laut lese, habe ich Glücksgefühle. Es ist Wahnsinn, ich bin glücklich, wie selten sonst in meinem Leben. Irre. Ich habe das Bild eines wilden Pferdes im Kopf, das ich nun bändigen konnte.

Litaffin: Als Literaturagentin (Agentur Alif) versuchst du auch, „zwischen arabischen Autoren und deutschsprachigen Verlagen zu vermitteln mit dem Ziel, die Präsenz der arabischen Literatur auf dem hiesigen Buchmarkt zu stärken und auszuweiten.“  Lässt sich in den letzten Jahren ein gesteigertes Interesse bei den hiesigen Verlagen an arabischer Literatur feststellen?

Leila Chammaa: Es besteht ein Interesse, aber es ist für die Verlage auch immer ein finanzielles Risiko, arabische Literatur zu verlegen. Darüber hinaus ist unklar, was man von der arabischen Welt möchte. Einerseits sollen die arabischen Schriftsteller einen soziologischen Abriss über die arabische Welt liefern, auf der anderen Seite wirft man ihnen vor, ihre Bücher seien zu lokal, zu orientalisch. Schilderungen persönlicher Probleme, wie beispielsweise der Umgang mit Krankheiten oder Todeserfahrungen werden jedoch abgelehnt nach dem Motto: Wozu sollen wir Krebserkrankungen importieren, davon haben wir doch genug eigene Geschichten. Deshalb habe ich manchmal das Gefühl, dass man aus westlicher Sicht nur das bestätigt haben möchte, was man ohnehin weiß. Dabei ist vor allem in den Großstädten der westliche Einfluss unverkennbar. Es vermischen sich also zwei Realitäten, wovon man hier aber nichts wissen möchte.

Es ist daher auch kein Zufall, dass ich überwiegend Bücher aus dem Libanon übersetze, denn man hat hier in Deutschland einen bestimmten Blick auf die arabischen Länder. Es gibt besondere Beziehungen zu dem Libanon und Ägypten mit ihren jeweiligen kulturellen Zentren Beirut und Kairo. Ich würde gerne auch Literatur aus anderen Ländern übersetzen, aber dafür besteht keine Nachfrage, obwohl man jene Länder wie Syrien, Jordanien hierzulande literarisch kaum kennt.

Litaffin: Vor einigen Tagen wurde die Shortlist des Internationalen Literaturpreises bekanntgegeben. Deine Übersetzung von „Yalo“ befindet sich ebenfalls darunter.

Leila Chammaa: Das ist natürlich super! Das ist eine riesige Anerkennung, über die ich mich sehr freue. Vor allem weil auch der Übersetzer am Preisgeld (35.000 Euro – davon 25.000 für den Autor und 10.000 für den Übersetzer) beteiligt wird. Bekanntlich haben es Übersetzer sehr schwer von ihrer Arbeit zu leben. In einer kapitalistischen Gesellschaft äußert sich Anerkennung auch in Bezahlung. Und wenn du von dieser nicht deine Miete und Krankenkasse bezahlen kannst, wird die Frage nach der Anerkennung neu gestellt. Bei einer Veranstaltung präsentierte einmal ein Manager eines großen Verlages die Budgetverteilung für die Produktion eines Buches. Der Bereich Marketing allein nahm 60-70 % des Budgets in Anspruch. Dann fragte ich, wie hoch der Prozentteil der Übersetzungskosten sei, da diese in der Rechnung gar nicht erwähnt wurden. Hier wurde der Manager unruhig und sagte, nicht mehr als ein Prozent. Da heißt es, Verlage haben kein Geld. Haben sie wahrscheinlich auch nicht, sie müssen auch knapp kalkulieren. Auf der anderen Seite wäre vielleicht mal eine Umverteilung von ein, zwei Prozentpunkten zugunsten des Übersetzers angebracht. Dann müsste ich neben dem Übersetzen nicht noch zwei Nebenjobs leisten und hätte keine sieben Tage-Woche. Ich will nicht jammern, aber die Leidenschaft und die Ausdauer fürs Übersetzen reichen irgendwann zum Leben nicht mehr aus.

Litaffin: Welche Autoren/Bücher aus dem Arabischen würdest du empfehlen?

  • Abdalrachman Munif, Salzstädte (Saudi Arabien)
  • Emil Habibi, Sarâja, Das Dämonenkind; Der Peptimist; Das Tal der Djinnen (Palästina)
  • Mohammed Choukri, Das nackte Brot (Marokko)
  • Ghalib Halasa, Wadi und die heilige Milada (Jordanien)
  • Tajjib Salich, Zeit der Nordwanderung (Sudan)
  • Baha Taher, Tante Safija und das Kloster (Ägypten)
  • Elias Khoury – gilt als bekanntester Autor des Libanon
  • Iman Humaidan-Junis, Wilde Maulbeeren; B wie bleiben wie Beirut (Libanon)
  • Assia Djebar diverse Titel – schreibt auf Französisch (Algerien)

Litaffin: Wer sich darüber hinaus mit der arabischen Literatur beschäftigen möchte, dem sei folgender Artikel von Fakhri Saleh empfohlen: Weltliteratur – von der anderen Seite betrachtet.

Foto © Leila Chammaa
Das Interview führte Markus Streichardt

4 Kommentare zu „Die Kunst des Übersetzens: Ein Interview mit Leila Chammaa“

  1. Ganz tolles Interview, wirklich beeindruckend. Da schäme ich mich persönlich natürlich ganz besonders über die kaum vorhandene Lektüre von arabischen Autoren.. (wobei ich gerade passenderweise dabei bin, es zu ändern!). Mehr Internationalität -- super!

  2. Vielen Dank, Leila Chammaa! Aus diesem Interview läßt sich für mich erstmals ersehen, wie Erkenntniskritik im literarischen Übersetzen -- als selber künstlerischer Praxis und Dekonstruktion -- zum Ausdruck kommen kann.
    Als Arabisch Lernender, der selber schreibt, kann ich das hier Gesagte gut nachvollziehen.
    Die Komplexität des literarisch-sprachlichen Ausdrucks ist im Deutschen mit dem Arabischen eben nicht wirklich vergleichbar; beim Übersetzen (und dies gilt selbst immer dann, wenn ich arabische Diskusssionen gegenüber Deutschen wiedergeben möchte) bedeutet das, die besonderen Kontexte von Metaphern, von Sprichwörtlichem, von Allegorien usw. einmal jeweils eigenständig zu reflektieren und in einem zweiten Schritt wieder kohärent in Sprache zu setzen. Beeindruckend, wie engagiert sich Übersetzer im Umgang mit verschiedenen kulturellen Sprache(n) zu deren Vermittlung einsetzen können. Insbesondere arabische Muttersprachler zeichnen sich hier durch ein kritisch informiertes Sprachgefühl aus, vom dem sich für Deutsche vieles Lernen läßt.
    Gäbe es ein Interesse, nicht in der Erzählung vom „Clash of Civilizations“ wie gelähmt zu verharren, sollte das literarische Übersetzen von kulturellen Stiftungen und gesellschaftlichen Institutionen endlich mehr gewürdigt, unterstützt und finanziell gefördert werden.

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