Back to the Roots – Nature Writing im Trend

Der Hambacher Forst muss gerettet werden, Dieselfahrzeuge sollen aus deutschen Innenstädten verschwinden, genau wie Einwegplastik aus der gesamten EU. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind in den gesellschaftlichen Debatten und auf der politischen Agenda so aktuell wie schon lange nicht mehr. Auch auf den deutschen Buchmarkt kehrt die Natur seit einigen Jahren zunehmend zurück. Das Feuilleton berichtet vom „neuen Trend des Nature Writing“. Seine Tradition hat das Nature Writing im englischsprachigen Raum, gewinnt aber zunehmend auch hierzulande an Popularität. Aber was ist unter dem Begriff eigentlich zu verstehen?

Beim 18. ilb habe ich mich beim Besuch des Nature Writing Specials auf Spurensuche begeben und versucht, dem Nature Writing auf den Grund zu gehen.  

Wer in den Zeitschriftenhandel geht, entdeckt eine Vielzahl auflagenstarker Zeitschriften mit Titeln wie Walden oder Landlust. Beim Blick in die Regale der Buchhandlungen fallen zunehmend Bücher ins Auge, die Das geheime Leben der Bäume, Die Sprachen der Tiere oder H wie Habicht heißen. Gemeinsam ist diesen Publikationen, dass sie vom wechselseitigen Verhältnis der modernen Menschen mit der Natur handeln. Auf ganz unterschiedliche Weise wird dieses Verhältnis literarisch verarbeitet, in lyrischer, epischer oder essayistischer Form. Im englischsprachigen Raum hat diese Art der Literatur eine lange Tradition und wird unter dem Begriff des Nature Writing zusammengefasst. In Deutschland gewinnt das Schreiben über die Natur erst seit einigen Jahren (wieder) an Bedeutung. Ein entscheidender Impuls für diesen Trend kommt vom unabhängigen Verlag Matthes und Seitz, der sich mit der hochwertig gestalteten Naturkunden-Reihe und der Vergabe des Deutschen Preis für Nature Writing aktiv für die Verbreitung des Nature Writing in Deutschland einsetzt.

Ein unübersetzbarer Begriff

Eine Schwierigkeit in diesem Vorhaben besteht darin, dass es kein deutsches Äquivalent für den Begriff des Nature Writing gibt: Naturlyrik, Naturessay, Naturschreiben. Keiner dieser Begriffe kann die genreübergreifende Vielfalt der Texte zum Ausdruck bringen. Auch die Definition des Begriffs selbst birgt einige Hürden. Die Gemeinsamkeit der Texte liegt in ihrer Thematik, doch wo beginnt und wo endet Nature Writing? Welche Bedingungen und Einschränkungen gibt es im Schreiben über die Natur? In Deutschland gibt es keine Tradition des Nature Writing. Zwar entstanden in der Epoche der Romantik zahlreiche von Sentimentalität geprägte Texte über die Natur, doch das Nature Writing geht darüber hinaus. Es zeichnet sich durch die Verbindung von subjektivem Erleben und naturwissenschaftlichen Hintergründen aus. Angesichts der der zunehmenden Popularität von Nature Writing ist es nun spannend, sich auf die Spuren einer neu entstehenden deutschen Tradition zu begeben.

Nature Writing @ ilb 2018

In diesem Jahr widmete das 18. internationale literaturfestival berlin im September dem Thema sogar ein eigenes Special mit zehn Veranstaltungen rund um Nature Writing in Deutschland und im internationalen Kontext. Ins Leben gerufen wurde die Reihe von Simone Schröder, die vor anderthalb Jahren die Programmleitung des Festivals übernommen hat. Die studierte Literaturwissenschaftlerin promovierte zum Thema Der Naturessay im 19., 20. und 21. Jahrhundert und konnte daher ihre umfangreichen Kenntnisse der Thematik in die Konzeption des Specials einbringen. Autor*innen stellten ihre aktuellen Werke vor und diskutierten über die Potenziale von Literatur im gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel, die Bedeutung der Tier- und Pflanzenwelt und die Möglichkeiten eines Lebens im Einklang mit der Natur innerhalb einer durch und durch zivilisierten und digitalisierten Gesellschaft. Dabei zeigte sich, wie breit das Spektrum der zeitgenössischen literarischen Auseinandersetzung mit der Natur tatsächlich ist.

Spannend war die unterschiedliche Herangehensweise an Nature Writing bei den internationalen und den deutschen Veranstaltungen. Bei den internationalen Veranstaltungen über indigenes australisches Nature Writing, die Faszination des Insektensammeln oder Nature Writing aus der Vogelperspektive stand die Diskussion der Thematiken und die Faszination der Autor*innen für die Natur im Vordergrund. Die Autor*innen offenbarten ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Natur, die wohl auch von ihren kulturellen Erfahrungen geprägt sind. Der Umgang mit dem Begriff des Nature Writing wurde bei diesen Veranstaltungen nicht hinterfragt bzw. als gegeben angenommen. Bei den deutschen Veranstaltungen hingegen standen die Fragen rund um die Definition und den Nature Writing-Boom im Mittelpunkt der Diskussionen.

Die neue Popularität des Nature Writing in Deutschland – Warum jetzt?
Nature Writing – Warum jetzt? © Hartwig Klappert

Zum Auftakt der Reihe fand eine Podiumsdiskussion statt, bei der Autorin Marion Poschmann (Die Kieferninseln), Herausgeberin der Naturkunden-Reihe Judith Schalansky und die Literaturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski gemeinsam unter der Moderation von Claudia Kramatschek dieser Frage auf den Grund gingen . Sie diskutierten über Urtexte des Nature Writing von Gilbert White aus Großbritannien oder Henry David Thoreau aus den USA, die die lange Tradition in beiden Ländern prägten. Es habe in der Vergangenheit auch im deutschsprachigen Raum Nature Writing im anglophonen Verständnis gegeben, beispielsweise durch Alexander von Humboldt, der das Ästhetische mit dem Wissenschaftlichen verband. Doch dann tritt eine Zäsur ein. Kritisch hinterfragten sie, ob die Epoche der Romantik zu dieser Zäsur im deutschen Schreiben über Natur führte, da dieses ein idealistisches Schreiben war und als sentimental galt.

Die Podiumsteilnehmerinnen benannten verschiedene Aspekte, die das Nature Writing ausmachen: Es sei wissenschaftsbasiert und auf Empirie beruhend, literarisch, in einen spezifischen Kontext eingebunden, subjektiv und auf das Individuum bezogen. Gerade im 21. Jahrhundert stelle es die Dichotomie von Kultur und Natur heraus, da es in der heutigen Zeit keine unentdeckte Wildnis mehr gebe. Sie sprachen darüber, dass der Eintritt in das sogenannte Anthropozän, das Zeitalter des Menschen, in dem die Natur zugunsten der Kultur an Bedeutung verloren hat. Erst mit der Erkenntnis wie wichtig der Umweltschutz für das Fortbestehen der Kultur ist, steige die Sensibilisierung für nicht-menschliche Gegenstände und damit das Interesse an Natur – auch in der deutschen Literatur.

Auch wenn das Interesse an der Natur auf dem deutschen Buchmarkt stetig steigt, überwiegt bis heute die Rezeption und Verbreitung englischsprachiger NatureWritingTexte. Auch viele der Bücher aus den Naturkunden sind Übersetzungen aus dem englischsprachigen Raum. Dies liegt u.a. auch daran, dass zwar viele deutsche Autor*innen über Natur schreiben, aber ihre Texte nicht als Nature Writing bezeichnen würden. So berichtete Marion Poschmann, überrascht von der Auszeichnung mit dem 1. Deutschen Preis für Nature Writing gewesen zu sein, den sie 2017 erhielt.

Ähnlich ging es auch den diesjährigen Gewinnern des Preises Sabine Scho und Christian Lehnert, die an einem anderen Abend im Buchhändlerkeller über ihr Verständnis von Nature Writing sprachen und ihre Texte vorstellten, in denen sie sich der Natur auf verschiedene Weis nähern.

Eine abschließende Antwort auf die Ausgangsfrage fand das Podium nicht, aber es wurden viele verschiedene interessante Aspekte angesprochen, die auch in den anderen Veranstaltungen immer wieder aufgegriffen wurden.

Naturoase inmitten des urbanen Lebens

Versteckt in der Kreuzberger Manteuffelstraße liegt der kleine unabhängige Buchladen Zabriskie, der sich auf den Verkauf deutscher und englischer Bücher über Natur und Phänomene der (Sub-)Kultur spezialisiert hat. Wie eine kleine Oase im urbanen Dschungel wirken die sorgfältig ausgewählten und liebevoll präsentierten Bücher, die mehr einer privaten Bibliothek eines Naturliebhabers gleichen.  In dieser besonderen Atmosphäre stellte Ludwig Fischer sein Buch Natur im Sinn. Naturverhältnis, Nature Writing und die deutsche Literatur in besonderer Atmosphäre vor. In diesem verbindet er 36 Thesen über deutsches Nature Writing mit sogenannten „Exerzitien“. Darunter versteht er Übungen und Experimente zur literarischen Erkundung der Natur.

Auch für Fischer sind die Merkmale des Nature Writing nicht trennscharf bestimmbar. In vielen Aspekten gleichen sich seine Kennzeichen mit den in der Podiumsdiskussion benannten. Fischer bezeichnet die Texte als intensive authentische Erlebnisberichte über die Erkundung der Natur eines schreibenden Subjekts auf (natur-)wissenschaftlicher Grundlage, die mit hohen literarisch-ästhetischen Ansprüchen verarbeitet ist. Ein wichtiger Aspekt in seiner Argumentation war die Wahrnehmung der natürlichen Mitwelt in einer technisch überformten Welt, in der es keine echte Wildnis mehr gibt. Wir ersetzen das Vertrauen auf unsere Sinne durch scheinbar besser geeignete Maschinen und werden orientierungslos. Um aus einem Wald herauszufinden, benutzen wir eher ein Handy als unsere Augen. Als Folge erkennt Fischer eine Verkümmerung unserer Fähigkeiten der sinnlichen Wahrnehmung. Scheinbar sind wir nicht mehr auf Kenntnisse über die Natur angewiesen, wodurch unser Benennungsvermögen sinkt. Immer weniger Menschen können Blätter, Vogellaute oder Insektenarten korrekt zuordnen. Nature Writing nimmt laut Fischer daher eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Natur ein und stellt ein sinnliches Moment in einer technisierten Lebenswelt dar.

In der anschließenden Diskussion äußerte sich Fischer sehr kritisch über die Bestseller-Titel von Peter Wohlleben und bezeichnete sie als „Gift für Nature Writing“. Das Problem liege in der Anthropomorphisierung nicht-menschlicher Lebewesen, die zu einer „Pseudowahrnehmung“ der Natur führen. Wir glauben die Bäume verstehen zu können, indem wir unser menschliches Denken auf sie übertragen. Auch Nature Poetry bewertete er als eine problematische Form des Nature Writing. In der artifiziellen Machart der Texte verschwinden lassen sich die beschriebenen Erfahrungen nicht nachprüfen, die er als notwendiges Merkmal für die Authentizität des Nature Writing bezeichnet.

Wer sich mehr mit den Thesen über Nature Writing befassen möchte, kann ab Anfang 2019 das Fischers Buch lesen, das bei Matthes und Seitz erscheint – und mit Sicherheit auch in den Regalen von Zabriskie zu finden sein wird.

Über den Tellerrand geblickt
Indigenes australisches Nature Writing © Lennart Woithe

Eine Besonderheit des ilb liegt für mich darin, Autor*innen und Texte zu entdecken, auf die ich sonst wohl nie aufmerksam geworden wäre, und mich mit Themen zu beschäftigen, die mir ganz fremd sind. So ging es mir auch in diesem Jahr bei den internationalen Nature Writing Veranstaltungen.

In einem der artenreichsten und diversesten Ökosysteme der Welt entstanden die Bücher von Mark Tredinnick und Bruce Pascoe, die sie in der Veranstaltung Down Under – Indigenes Nature Writing in Australien vorstellten. Was den deutschen Texten fehlt – die naturbelassene Wildnis – findet sich in ihren Texten wider, ebenso wie ihre besondere Beziehung zur australischen (Natur-)Geschichte. Auch in der Diskussion kam deutlich zum Ausdruck, welch starke Bedeutung die Natur für beide Autoren hat, sowohl in ihrem Schreiben als auch in ihrem Alltag.

In The Blue Plateau. An Australian Pastoral begibt sich der Lyriker und Essayist Mark Tredinnick auf eine Reise in die westlich von Sydney gelegenen Blue Mountains. Er erschafft ein lebhaftes Porträt einer außergewöhnlichen Landschaft voller Schluchten, Bäche und Kuhweiden. Über die Einwohner dieser Gegend nähert sich Tredinnick dem Ort und zeigt, wie Menschen und Natur sich miteinander verflechten. Dabei bezieht er Geschichte, Mythologie und ökologische Erkenntnisse in seine Landschaftsbeschreibung ein und erschafft mit sprachlichen Mitteln ein eindrucksvolles Bild.

Der indigene Schriftsteller Bruce Pascoe engagiert sich für die Bewahrung indigener Sprachen und die Wiederbelebung indigener Nahrungsmitteltraditionen. In seinem Sachbuch Dark Emu stellt er da, wie die präkolonialen Aborigines ihr Land bewirtschafteten. Dabei will er mit dem Verständnis aufräumen, dass die Aborigines reine Jäger und Sammler waren, sondern zeigt anhand von Beweisen, wie sie Pflanzen züchteten, ernteten und lagerten. Ein spannender Einblick in die australische Geschichte und den Umgang mit der Natur.

Schreiben aus der Vogelperspektive
Nature Writing aus der Vogelperspektive © Theresa Feldhaus

Hoch in die Lüfte ging es bei einer Diskussion mit den Vogelliebhaber*innen Nell Zink, Fredrik Sjöberg und Michał Książek. Die Autor*innen stellten eigene und Lieblingstexte vor, in denen Vögel im Vordergrund stehen und diskutierten ihre kontroversen Ansichten, wie das Beobachten von Vögeln ihr Schreiben beeinflusst.

Nell Zink (USA) las einen Auszug aus Jonathan Franzens My bird problem, in dem er über Vögel in urbanen und ländlichen Gegenden schreibt. Sie betonte, wie sehr das Verhalten während der Vogelbeobachtung für ihr Schreiben eine wichtige Rolle spiele. Sich unscheinbar verhalten und nicht einzugreifen seien Voraussetzungen, die auf beide Tätigkeiten zutreffen.  Der schwedische Autor Fredrik Sjöberg fand erst über seine Sammelleidenschaft von Insekten zu den Vögeln. In seinem Schreiben interessiert er sich jedoch mehr für das Verhältnis der Menschen zur Natur als für die Natur selbst. Erst indem Menschen Sensibilität für die tierische Umwelt entwickeln, werden Tierrechte anerkannt und die Menschen setzen sich für ihren Schutz ein, so seine These. Er will die Welt nicht mehr verändern, indem er den Menschen Angst einjagt oder sie wütend werden lässt. Durch Schreiben funktioniere das nicht. Stattdessen hat er sich als Ziel gesetzt, mithilfe seiner Texte die Menschen ohne Moral ein wenig neugierig auf die Natur zu machen.

Eine besondere Herangehensweise an die Welt der Vögel verfolgt der polnische Lyriker Michał Książek, der sein Gedicht 13 Ways of Looking at a Black Bird las. Besonders fasziniert ihn die expressive Sprache der Vögel, die für ihn Harmonie und Ästhetik repräsentieren. Die Laute der Vögel sind für ihn ein Grund, warum wir sie als schützenswert ansehen, während wir beispielsweise für Fische nicht die gleiche Faszination entwickeln. In seinen Texten unternimmt er den Versuch, die Sprache der Vögel in seine eigene Sprache zu übersetzen und eine „soundscape“, einen klanglichen Ausdruck von Landschaft, zu erschaffen und dadurch die Wahrnehmung der Natur zu schärfen.

Podium Nature Writing aus der Vogelperspektive © Simone Schröder
Ein neuer alter Trend

Was ist denn nun Nature Writing? Etwas näher bin ich dieser Antwort durch den Besuch der ilb-Veranstaltungen gekommen, aber richtig greifen lässt es sich noch immer nicht. Gleichermaßen historisch wie zeitgemäß sind die Texte, die sich dem Nature Writing zuordnen lassen. Es wird spannend zu beobachten, ob der Naturtrend in Deutschland anhält und ob sich eine eigene deutsche Tradition des Nature Writing entwickeln wird. Bis dahin ist es höchste Zeit für einen Ausflug in die Natur – solange der Herbst noch mit seinen bunten Farben begeistert!

Wer noch mehr über das diesjährige ilb abseits des Nature Writing Specials lesen möchte, findet zwei Berichte verschiedener Veranstaltungen von Charly und mir.

Theresa Feldhaus
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2 Kommentare zu „Back to the Roots – Nature Writing im Trend“

  1. Danke für den schönen Bericht über diese interessante Entwicklung innnerhalb der deutschen Literatur, und die diversen Berliner Veranstaltungen zum Nature Writing aus anderen Ländern. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte!

  2. Vielen Dank für diese tolle Rückmeldung! Ich habe mich sehr darüber gefreut! Für mich war es sehr spannend, innerhalb so kurzer Zeit so viele verschiedene Perspektiven auf das Thema Nature Writing zu erhalten. Ich hoffe, dass das große Interesse am Thema dazu führt, dass es häufiger Veranstaltungsreihen dazu gibt!

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