Der Teufel von Mailand: Zwischen Shiatsu-Handbuch und Psycho-Thriller

In Martin Suters Der Teufel von Mailand trifft sprachliche Virtuosität auf viel Inhalt. Das Ergebnis: schöne Literatur mit Krimi-Charakter.

Martin Suter. Der Teufel von Mailand. Foto: Victoria Lückemann

Ein tiefsitzendes Trauma, synästhetische Wahrnehmung, der holprige Wiedereinstieg ins Arbeitsleben und dann auch noch ein unheilvolles Ammenmärchen – Autor und Journalist Martin Suter macht es seiner Protagonistin Sonia nicht leicht … doch fangen wir von vorne an.

Nachdem sie den brutalen Mord-Angriff ihres rachsüchtigen Ex-Mannes überlebt hat, kommt für Sonia Frey auch gleich der nächste Schock:  Der fünfte Roman von Martin Suter Der Teufel von Mailand beginnt mit einer nackten und desillusionierten Protagonistin, die in einer fremden Wohnung aufwacht und nach einem LSD-Trip mit synästhetischen Flashbacks zu kämpfen hat.

„Und dann plötzlich die Musik als Zeitlupenaufnahme einer Lawine aus silbernen und schlachtschiffgrauen Würfeln, die auf sie zurollten und -hüpften und -taumelten. Und die Stimme des einen Mannes aus der Küche – er hatte einen sandgelben Namen –, die als Muster aus gewellten schwarzen und weißen Bändern perspektivisch in der oberen rechten Ecke der Projektionsfläche verschwand.“

Sie sieht Gerüche, fühlt Töne, hört Geschmäcker. Obwohl ihr Ex-Mann derweil vermeintlich sicher in einer psychiatrischen Anstalt sitzt, belasten Sonia starke Angst- und Traumazustände. Sie beschließt, sich von ihrem alten Leben zu verabschieden. Nach Jahren tritt Sonia wieder ins Berufsleben ein und nimmt einen Physiotherapeuten-Job in einem Luxus-Wellness-Hotel im düsteren Schweizer Dorf Val Grisch an.

Eigenbrötlerische Dorfbewohner und eine menschliche Protagonistin

Während Suter die einzelnen Dorfbewohner von Val Grisch in ihrem trüben Alltags-Trott zunächst separat beschreibt und sie mit der Zeit zu einem Kollektiv zusammenschweißt, weicht man als Leser:in nicht von der Seite der Hauptfigur – nicht zuletzt, weil einem die anderen Charaktere suspekt und eigenbrötlerisch erscheinen. Die Protagonistin zieht die Leser:innen aber in ihren Bann. Man empfindet sie gleichzeitig als mutig, verletzbar, verwirrt und selbstbewusst – mit dieser Mischung schafft es der Autor, eine Figur zu erschaffen, der man das Menschsein abkauft.

Mit präziser, schnörkelloser Sprache nimmt Suter die Leser:innen mit auf Sonias verzweifelten Weg, einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zu setzen – ohne große Umschweife, klar und auf den Punkt, wie wir es von ihm gewohnt sind. Sehr viel Zeit lässt er sich jedoch beim detailverliebten Beschreiben der physiotherapeutischen Behandlungen, der Landschaftsszenen und dem synästhetischen Erleben.

„Sein Violett fühlte sich an wie der Pelz eines Weidenkätzchen, sein Blau wie das Gewinde einer Schraube […], sein Rot wie die Innenseite ihrer Backe, wenn sie sie mit der Zunge berührt.“

Die Sage vom Teufel von Mailand

Doch Suter belässt es nicht bei einer Handlung und einer Nebenhandlung. Mit einer (Grusel-) Geschichte in der Geschichte tritt eine weitere Ebene ein, in welcher es um den Teufel von Mailand geht – eine alte unheilvolle Sage, die sich in das Leben der Protagonistin schleicht. Und damit beginnt ein weiteres Unheil: Das Hotel mit seinem Personal wird Opfer von zunächst unscheinbaren Vorfällen (eine Topfpflanze verliert über Nacht ihre Blätter, das Jesuskreuz in der Hotellobby wird umgedreht), doch die Hauptfigur mit ihrer sensiblen Wahrnehmung wittert schnell, dass das bedrohliche Gruselmärchen dahinter steckt und sich mit jedem Vorfall bewahrheitet.  Konzentrierte Leser:innen werden hier wohl schon ahnen, dass sich hinter den kleinen Anschlägen auf das Hotel mitnichten die in Verdacht geratenen Dorfbewohner verbergen, die sich vom Luxus-Koloss in ihrer idyllischen Einöde bedroht fühlen. Die kleinen Anschläge, inspiriert vom Ammenmärchen, gelten der Protagonistin – der Krimi nimmt seinen Lauf.

Die langen Schweizer Landschaftsszenen mit Reiseführer-Charakter machen dem crescendo-artigen, beinahe zwischen Sole-Bad und Shiatsu-Behandlung verloren gegangenen Spannungsbogen Platz und man fiebert gebannt der Auflösung entgegen. Diese kommt dann auch explosionsartig.

Fazit

Kleine überraschende Wendungen laden immer wieder zum Weiterlesen ein, der große vom Literaturkritiker Wolfgang Paterno versprochene „page turner“ ist es leider nicht. Dennoch wurde Martin Suter für den Teufel von Mailand mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Wer auf der Suche nach schöner Literatur mit Krimi-Charakter für die dunkle Jahreszeit ist, findet in diesem Buch gute Unterhaltung mit typischer Suter-Sprache.

Der Teufel von Mailand von Martin Suter hat 304 Seiten und ist 2006 im Diogenes-Verlag erschienen.

Victoria Lückemann
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