Die Glasschwestern

Zwei Zwillingsschwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten – Dunja und Saphie – durchleben plötzlich ein ähnliches Schicksal. Ihre Männer sterben am gleichen Tag. Daraufhin verarbeitet jede die Trauer auf ihre Weise. Während Dunja, die vorher nur für Mann und Kinder gelebt hat, aufblüht, zieht sich Saphie, die sonst so selbstbewusst und willensstark ist, immer mehr zurück. Franziska Hauser beschreibt die Wendepunkte der beiden Frauen eindrucksvoll und mit viel Liebe zum Detail.

Die Glasschwestern Foto: Eileen Schüler

„Dunjas und Saphies Zwillingsleben war nie von Parallelen durchzogen gewesen“, bis zu diesen Ereignissen. Während Dunjas Exmann Winne bei einem Arbeitsunfall stirbt, verunglückt zeitgleich Saphies Mann Gilbhart tödlich auf dem Hometrainer. Daraufhin zieht Dunja aus der Großstadt mit ihren zwei Kindern Augusta und Jules zurück ins Dorf und unterstützt Saphie bei der Leitung ihres Hotels. Da das Hotel an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze liegt, ist es aufgrund der historischen und landschaftlichen Lage immer gut ausgebucht und es gibt alle Hände voll zu tun.

Obwohl Dunja eigentlich die Sprache des Dorfes nicht sprechen und sich dort nicht mehr anpassen will, werden an diesem Ort plötzlich Kindheitserinnerungen in ihr wieder gegenwärtig. Sie blüht in dieser Situation auf und verliebt sich überraschend in ihren alten Jugendfreund Jorge. Die sonst so selbstbewusste und willensstarke Saphie zieht sich hingegen immer weiter zurück und weiß plötzlich nicht mehr, was sie im Leben will.

Wie Feuer und Wasser

Im Dorf werden sie „die Glasschwestern“ genannt, denn ihr Vater besaß früher eine Glasbläserei und „hatte den Mädchen bunte Ohrringe, Ketten und Armbänder aus Kugeln, Tropfen, Würfeln und kleinen Glastieren gefertigt.“

Seit ihrer Kindheit sind die beiden Schwestern so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Dunja ist eher ängstlich und zurückhalten, während Saphie die mutigere der beiden ist. Saphie wollte mit neunzehn nur für eine Saison im Hotel jobben, um Geld fürs Reisen zu verdienen. Stattdessen aber lernte sie Gilbhart kennen und leitete das Hotel.

Auch Dunja hat einen anderen Weg eingeschlagen als sie es sich erträumt hat. Sie wohnt in der Großstadt, ist Sprachlehrerin und lebte sonst eigentlich nur für Winne, Augusta und Jules. Trotz der unterschiedlichen Charaktereigenschaften wissen die beiden Schwestern, dass sie füreinander da sind und sich gegenseitig brauchen.

Spannung und Dramatik mit einem einzigartigen Figurengeflecht

Neben Dunja und Saphie rückt Franziska Hauser noch weitere Nebenfiguren in den Mittelpunkt, wie beispielsweise ihre zehn Jahre jüngere Schwester Lenka, die als Popstar erfolgreich ist. Auch die erwachsenen Kinder Jules, Augusta und weitere Angestellte des Hotels werden geschickt in die Geschichte eingebunden und tragen zur Spannung und Dramatik bei. Hierbei müssen die Leser*innen sich erst mal bei den Personenkonstellationen zurechtfinden. Wenn man diese sortiert hat, erkennt man aber ein einzigartiges Figurengeflecht.

Durch Hausers besonderen Schreibstil, den sie schon in Sommerdreieck und Die Gewitterschwimmerin bewiesen hat, können die Leser*innen nah am Geschehen sein. Die Geschichte ist im Präsens verfasst, was sie lebendiger und erlebbarer macht. Die Autorin bleibt dicht an den Hauptfiguren, sodass zuerst aus der Perspektive von Dunja erzählt wird und nach ungefähr der Hälfte des Buches der Fokus auf Saphie gelenkt wird. Dadurch entsteht ein fantastischer Kontrast zwischen den beiden Frauen und man bekommt einen wundervollen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle, die offen und ehrlich erzählt werden.

Obwohl eine dramatische Situation die nächste jagt, lesen sich die 430 Seiten mit Leichtigkeit. Das liegt einerseits am heiteren Ton, den Hauser anschlägt, und andererseits an den Beschreibungen des Hotelbetriebs oder der Natur, die sie gekonnt in das Geschehen einsträut.

Das Rauschen der trockenen Herbstblätter klingt wie das Meer.

Besonders schön sind auch die Kapitelüberschriften, die aus Sprichwörtern bestehen, wie beispielsweise Böses kommt geritten, geht aber weg in Schritten. Sie haben einen moralischen Anklang und doch muss man als Leser*innen über sie schmunzeln. Außerdem lassen sie ein wenig erahnen, was im nächsten Kapitel passieren wird.

Wein, Schokolade und Literatur

So herzlich wie die beiden „Glasschwestern“ in ihrem Hotel empfing uns Franziska Hauser am Erscheinungstag ihres dritten Buches in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg. Die Einladung erfolgte durch den Eichborn Verlag. Mit viel Wein, einem Schokoladenbuffet und liebevoll hergerichtetem Essen sprachen wir mit ihr und weiteren Literaturblogger*innen über Literatur und ihren Roman. Die Geschichte von Dunja und Saphie schrieb sie innnerhalb von eineinhalb Jahren auf. Dabei ließ sie sich von ihrer Umgebung inspirieren, denn z.B. sind die Schwestern ihren Cousinen ähnlich. Und Dunja und Saphie sind die Namen von zwei Zwillingsschwestern, die Hauser in einer Geflüchtetenunterkunft kennengelernt hat.

Ein Literaturabend bei Franziska Hauser
Foto: Uwe Kalkowski

Ein Jahr lang können die Leser*innen die beiden Schwestern im Roman begleiten und erleben, wie sie mit der Trauer umgehen und sich ihre Lebenspläne im 40. Lebensjahr verändern. Am Ende des Buches merkt man, wie viel Liebe zum Detail Franziska Hauser hineingesteckt hat und verlässt die Welt der „Glasschwestern“ mit einem guten Gefühl.

Franziska Hauser: Die Glasschwestern, Eichborn Verlag 2020.
Eileen Schüler

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