Lux: Eine toxische Beziehung und ein Roadtrip

Lux hat viele Ängste. Um sich diesen Gefühlen zu stellen und ihrer Vergangenheit zu entfliehen, fliegt sie kurzerhand in die USA. Dort begegnet sie während einer Busfahrt der wunderschönen Kat. Gemeinsam starten sie einen Roadtrip durch die amerikanische Landschaft. Olivia Kuderewski beschäftigt sich in ihrem Debüt „Lux“ mit einer toxischen Beziehung, die sich durch Zuneigung und gleichzeitig Misstrauen und Machtspielen entwickelt.

„Lux“ von Olivia Kuderewski
Foto: Eileen Schüler

New York, Times Square. Ein Ort, an dem schon viele Geschichten begonnen haben. Dort startet die Reise der 22-jährigen Lux. Sie wirft ihr altes Leben in Deutschland über Bord und stürzt sich in Amerika in die Ungewissheit. Olivia Kuderewski versteht es gekonnt die sprudelnde Begeisterung, die in einem aufkommt, wenn man an der Kreuzung Broadway und Seventh Avenue steht und die flackernden Bilder auf einen einströmen, einzufangen und bildhaft zu beschreiben.

„Das ewige Nachtrauschen breitet sich um sie aus wie eine Samtdecke, auf der alle anderen Geräusche sanft aufprallen, sich entrollen, und sie muss lange warten, da hört Lux sie schon, aus der Ferne, aber schneidend, triumphierend, ja heilig hallt sie durch die Hochhausschluchten: Die erste Krankenwagensirene.“


In New York steigt Lux dann in den Langstreckenbus, der sie in Richtung Westen bringen soll. Doch auf der Fahrt wallen Bilder der Erinnerung in ihr auf, die Kuderwski verschwommen skizziert und nur erahnen lassen, warum sie aus ihrem alten Leben ausbrechen wollte. Neben ihr sitzt eine junge Frau, mit der sie kurz ins Gespräch kommt, die sie faszinierend und auf eine gewisse Weise anziehend findet.

Eine gefährliche Frau namens Kat

„Sei nicht so passiv“ – ein Satz, der häufig fällt, Lux zur Selbstermahnung dient und sie zum Handeln zwingt. Trotzdem ist sie von ihren Ängsten getrieben und hat Panikattaken, die ihren Körper ausknocken. Die Protagonistin ist weder stark noch selbstbewusst, doch als sie der weißblonden schönen Kat begegnet, weiß diese, Lux aus der Reserve zu locken. Gemeinsam fahren sie mit einem Mietwagen von Detroit über Denver nach Las Vegas. Auf dem Weg fordern sie sich beide gegenseitig mit Mutproben heraus und die toxische Beziehung der beiden Frauen wird immer gefährlicher.

Ambivalentes Verhalten

Olivia Kuderewski hat ein außergewöhnliches Debüt geschrieben, das düster und beklemmend wirkt, obwohl ein Roadtrip durch die amerikanische Landschaft doch als Traum der großen Freiheit gilt. Die Autorin zeigt die Angststörungen und Depressionen anhand ihrer Figuren auf, die in sich und ihrer eigenen Vergangenheit gefangen zu sein scheinen. Lux sowie auch Kat sind junge Frauen, die durch ihre vergangenen Erlebnisse geschädigt sind und dadurch ein ambivalentes Verhalten zueinander haben. Auf der einen Seite scheinen sie sich zu brauchen und aneinander festzuhalten. Andererseits ignorieren sie gegenseitig ihre Nachrichten, ghosten sich und entwickeln eine Du-bist-mir-doch-egal-Haltung gegenüber der anderen. Misstrauen und Selbstbezogenheit prägen diese seltsame Freundschaft.

Die amerikanische Landschaft

Beeindruckend und sogar poetisch führt die 1989-geborene Autorin in ihrem ersten Roman die plastischen Beschreibungen der Umgebung und Städte aus. Durch das anschauliche Erzählen entstehen eine einzigartige Atmosphäre und genaue Vorstellungen des Settings, wohinter die Charaktere und ihre Probleme schemenhaft verschwinden.

„Das Licht ist fast weg, Detroits Industrieweite, die Dunkelheit senkt sich durch den offenen Himmel in die Stadt. Unerkennbar langsam wird das Gebäude zu Schatten, verschwindet die Fassade. Nur das Weiß strahlt. Dein Weiß, denkt Lux.“

Thematisch sehr passend ist die schlichte weiße Covergestaltung mit dem leuchtend gelben Farbschnitt gewählt, was ein wenig das neonhelle Amerika widerspiegelt. Olivia Kuderewski lebt in Berlin und hat vergleichende Literatur und Schreiben studiert. Aktuell absolviert sie ein Volontariat beim Verlag Galiani und ist als Übersetzerin tätig. Bisher hat sie einige ihrer Texte in Anthologien veröffentlicht.

Ein fesselndes Debüt, das zum Nachdenken über toxische Beziehungen und deren Folgen anregt. Der Roman trifft den Zeitgeist, in dem Punkt, ob wir einander wirklich vertrauen können oder ob wir andere Menschen ohne Vorwarnung einfach loslassen und verschwinden können.

Olivia Kuderewski: Lux, Voland & Quist 2021.
Eileen Schüler

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