Jan Skudlarek: Der Aufstieg des Mittelfingers

Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört

„Mittelfinger sind keine Argumente“ – dieses Zitat aus Der Aufstieg des Mittelfingers hätte ebenso gut Titel dieses auf den Punkt gebrachten humorvollen Sachbuchs sein können, das jedem Maulheld im Internet, jedem ‚Das wird man doch wohl noch sagen dürfen‘-Sager und jedem Schlips, der sich den Schuhsohlen dieser Welt zu nahe fühlt, den Wind aus den Segeln nimmt. Jan Skudlarek geht dem Phänomen des Beleidigens aber auch des Beleidigtseins auf den Grund und nimmt uns mit auf seine Reise.

Jan Skudlarek: Der Aufstieg des Mittelfingers

Haben Sie sich schon einmal beleidigt gefühlt? Haben Sie schon einmal beleidigt? Fragen Sie sich, warum Teenager immer so gemeine Kommentare unter Ihre Facebook-Fotos schreiben? Keine Sorge, Hilfe ist unterwegs. Auf 244 Seiten lehrt der deutsche Lyriker Jan Skudlarek den Umgang mit fremden aber auch dem eigenen Mittelfinger. Mittelfinger bedeutet in diesem Zusammenhang aber selbstverständlich nicht den mittelsten aller Ihrer Finger – sondern die Geringschätzungen, Beleidigungen, der Hass und die Schmähkritiken, die so in der Weltgeschichte unterwegs sind.

Erklärt werden Themen wie beispielsweise ‚Wie funktioniert eine Beleidigung‘, ‚Meinungsfreiheit vs. Beleidigung‘, politische Korrektheit, Hass im Netz, Abwehrmethoden etc. anhand von bekannten Beispielen, wobei kein berühmtes Paar ausgelassen wurde. Erdoğan und Böhmermann. Trump und die Welt. Roberto Blanco und Joachim Herrmann. Diese eine alte Frau und der Deutsche Wetterdienst, der den ‚Altweibersommer‘ angekündigt hat (true story).

Mit einem Humor, der mal subtil in den Fußnoten ‚nachgereicht‘ wird und mal herrlich sarkastisch ganze Seiten dominiert, schafft es Jan Skudlarek eine Thematik sachlich näher zu bringen, die ihrer Natur nach alles andere als sachlich ist. Dabei beschränkt er sich keinesfalls auf einseitige Tiraden à la ‚Beleidigungen sind gemein!‘ oder ‚Politische Korrektheit ist überbewertet!‘ oder ‚Alle, die sich beleidigt fühlen sind Pussys!‘ sondern erläutert von der Gesetzesebene an, wo welche Grenzen liegen und schiebt manchmal ein semi-neutrales „das kannst du so halt schon sagen, kann aber sein, dass dich dann jemand für ein Arschloch hält“ hinterher.

Doch natürlich sind das Schreiben eines Sachbuchs und das Erleben der diffamierenden Realität zwei verschiedene Paar Schuhe. Deshalb haben wir dem Schöpfer persönlich einmal auf den Zahn gefühlt:

Litaffin: Trotz  der detaillierten Auseinandersetzung mit sozialen Medien haben Sie auf z.B. Facebook nur ein privates Konto. Ist der Grund dafür die Angst vor den ‚Maulhelden‘ in den Kommentarspalten?

Skudlarek: Mein Konto ist gar nicht so privat, wie es scheint ;) Es ist in der Tat nicht so, dass ich mit jedem meiner 1462 Freunde regelmäßig Billard spiele (obwohl das nach einer guten Idee klingt). Unter meinen Freunden sind viele Autoren, Journalisten, Kulturschaffende. Auch ein paar Leser. Leute, die ich nie getroffen habe. Ich habe keine Autorenseite, weil die wenigsten Autoren in meinem Umkreis eine haben – fast alle sind semi-privat auf Facebook (und ohne blauen Haken). Eine Autorenseite, die ich zu rein kommerziellem Zwecken betreibe und wo ich ausschließlich Lesungstermine oder Rezensionen teile – das würde mich auch schrecklich langweilen. Man kann mich also grundsätzlich hinzufügen, sofern man mag. Komplett öffentliches Rumblödeln betreibe ich übrigens auch. Auf Twitter! Unter @janskudlarek kann man mir da folgen. Auf Instagram gibt’s ein paar Fotos.

Litaffin: Was ist der eine ‚Mittelfinger‘ auf den Sie im heutigen Sprachgebrauch am liebsten verzichten würden?

Skudlarek: Ätzend finde ich Beleidigungen, die Schwache noch weiter schwächen oder diffamieren wollen. Im Netz sieht man oft Rechte, die gegen Geflüchtete pöbeln und sie ironisch „Fachkräfte“ usw. nennen. Politisch motivierte Hetze, die sich gegen gesellschaftlich Benachteiligte wendet – die kotzt mich an. Wer das tut, wie die AfD und ihre Anhänger, der verhält sich absichtlich schäbig, um zu provozieren und damit seine schäbige Weltsicht zu propagieren. Das nervt. Bevor ich zu sehr als „Gutmensch“ rüberkomme: Das gilt für alle gesellschaftlich benachteiligten Menschen. Es geht mir nicht nur um Geflüchtete. Wir müssen allgemein im Auge behalten, wer es auf leichte Ziele abgesehen hat, wer gegen Schwächere hetzt, wer nach unten tritt.

Litaffin: Bei welchen Stellen des Buches konnten Sie aus Erfahrung schreiben? Haben Sie sich schon als Gutmensch oder Nazi bezeichnen lassen müssen? Dickpics bekommen? Vermeintlich anonym im Internet gewettert?

Skudlarek: Dickpics versende ich nicht mehr, das dauert mir immer zu lang wegen der Dateigröße. Kleiner Scherz. Aber ja, das Internetkapitel ist mir besonders nah. Ich bin andauernd online. Tatsächlich bin ich aber, wenn ich öffentlich auftrete – das ist vor allem auf Twitter und Co – bisher recht glimpflich davongekommen. Sprüche von Spinnern, kleinere Pöbeleien, das gibt es schon. Natürlich weiß auch ich, wie es ist, beleidigt zu werden. Online und offline. Im Vergleich zu Leuten, die wirklich in der Zielscheibe der Internetidioten stehen, ist das aber alles ganz entspannt. Allerdings beteilige ich mich auch niemals an öffentlichen Facebook-Kommentar-Schlachten. Dafür ist mein Tag zu kurz. Ich beobachte das eher interessiert. Wer mich als selbstherrlichen Rechthaber erleben will, muss mich offline treffen.

Jan Skudlarek ist 1986 in Hamm (Nordrhein-Westfalen) geboren, studierte in Münster und ist mittlerweile promovierter Doktor der Philosophie und Lyriker. Für seine Werke erhielt er unter anderem den GWK-Förderpreis Literatur, den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis sowie ein Stipendium des Berliner Senats. Heute wohnt er in Berlin.
Am 25.02.2018 liest er aus „Der Aufstieg des Mittelfingers“ im Motoki Wohnzimmer in Köln.

Von Josi Longmuss

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