Zeig ihnen, wie man Spaß hat

Sie heißen Natasha, Lucy und Angela. Manchmal heißen sie auch nur „ich“ oder „die Frau“. Ihr Alter bewegt sich irgendwo zwischen den Teenagerjahren und den frühen Vierzigern und sie leben meistens in Irland – wenn nicht, dann kommen sie dort her. Nicole Flattery schreibt in ihrem Debüt acht Geschichten über Protagonistinnen, die anecken, Schlimmes erleben und manchmal nicht in diese Gesellschaft zu passen scheinen. Das tut sie mit Witz, Ironie und Tragik. Die Erzählungen leben von ihrer Absurdität und von den undurchschaubaren Frauenfiguren.

Nicole Flatterys Debüt. Foto: Karolin Kolbe

Eine Frau arbeitet an einer Tankstelle, es scheint sich um eine Art Resozialiserungsprogramm zu handeln. Sie ist wieder in die Kleinstadt zu ihrer Mutter gezogen, weder die Protagonistin noch die kleine Stadt sind in der Zeit der Trennung glamuröser geworden, das bedauert sie. Sie lebte eine Weile in der Großstadt, hat in irgenwelchen Filmen mitgespielt, Bargeld war kein Problem, wie sie daran kam, deutet Nicole Flattery erst nur an:

Ich habe für mein Auskommen gesorgt. Das hieß kleine Tricksereien, es hieß, sich im richtigen Moment vorzubeugen, sich ganz flach und still auf den Rücken zu legen.

Später wird es konkreter:

,Du‘ -sie räusperte sich taktvoll – ,warst so ein Freudenmädchen.‘ ,Pornographie‘, präzisierte die Geschäftsleitung. ,Prostitution.‘


Damals führte sie eine Beziehung zu einem gewalttätigen Regisseur. Nach der Trennung ist ihre nächste Station die Tankstelle mit der grünen Zimmerpflanze, den Pfefferminzbonbons – das war ihre Idee – und den drei verbliebenden Suppendosen. All das beschreibt die Protagonistin in ironisch-gelassenem Tonfall, ein Bruch zu dem, was sich bis dahin in ihrem Leben abgespielt hat. Das bleibt so auch in den anderen Erzählungen.

Bögen in und über die Geschichten

Nicole Flattery spannt vielfach einen Bogen über ihre acht scheinbar abgeschlossenen Geschichten: Sie spannt ihn über die Frauen, die sich ähneln in ihrer Art zu denken, zu sprechen, zu verwirren. In der Art, nicht ganz reinzupassen, wie sie mit dem eigenen Schicksal umgehen, das es häufig nicht allzu gut mit ihnen meint. Diese Frauen haben langweilige Freundinnen, „reizende Mädchen – zahm, durchschaubar, aber sympathisch.“ Sie wissen nicht, warum sie studieren oder was. Sie arbeiten in Kleinstadttankstellen und kuscheln dort mit der einzigen Pflanze, „,Ich halte sie nur ein bisschen fest‘, log ich.“ Manchmal haben sie ein traumatisiertes Stiefkind und plötzlich die Aufgabe, als funktionsfähige Mutter durchzugehen. Sie haben geistlose, flache Männer, gerne auch älter und mächtiger, als sie es sind. Den gealterten Comedian, der sie für ihre Durschnittlichkeit liebt, der sie interessant findet, weil sie arm ist, durchschaut die Protagonistin in Die Aufnahme genauso wie Natasha, die eine Affäre mit dem Professor beginnt in Abtreibung: Eine Liebesgeschichte. Manchmal sind die Männer aber auch jung, wie der spätpubertäre Kevin, den die Protagonistin in Zeig ihnen, wie man Spaß hat zu erorbern versucht – und der doch etwas Angst vor ihr zu haben scheint.

Der Höhepunkt

Am interessantesten ist die Erzählung Abtreibung: Eine Liebesgeschichte, die mit ihren 85 Seiten die längste Geschichte des Bandes ist und zugleich, in der Mitte platziert, den Höhepunkt darstellt. Es geht um zwei Studentinnen, beide vom Land, beide fühlen sich deplatziert an der Uni, beide haben sie die Eigenschaft, sich Watte in die Ohren zu stecken, wenn ihnen alles zu laut und zu viel wird. Natasha beginnt ein Verhältnis mit Professor Carr. Lucy liest heimlich Natashas Emails. Zunächst scheinen die beiden, Spiegelfiguren zueinader zu sein, unklar, ob es sich am Ende nicht um ein und dieselbe Frau handelt. Später denkt man beim Lesen, sie werden sich zu Konkurentinnen entwickeln. Doch stattdessen schließen sie sich zusammen.

Als es langsam April wurde und die Studierenden aus dem letzten Studienjahr Pläne für ihren Abgang in die Außenwelt machten, wo Gebäude geschleift und dem Erdboden gleich gemacht und Geschäftsleute fortwährend unbotmäßigen Verhaltens bezichtigt wurden, steckten sich Lucy und Natasha bei trockenem Wetter Watte in die Ohren und legten sich unter den Baum. Hin und wieder tauchte Professor Carr auf und musterte sie hemmungslos über den Rasen hinweg, angewidert von ihrer neuen, unheiligen Allianz.

Am Ende stehen sie über mehrere Seiten mit dem Theaterstück, das sie gemeinsam entwickelt haben, auf der Bühne. Das Stück resultiert aus all dem, was ihnen bis dahin passiert ist. Als Leser*in sitzt man in diesem Moment tatsächlich im Publikum, so genau, so klar werden die einzelnen Bewegungen und Textzeilen der Frauen beschrieben und fügen sich passend ineinader.

Spaß und Depression

Flattery baut noch mehr Brücken zwischen den Geschichten: Spaß ist ein Thema in einigen Erzählungen, sei es in der verzweifelt-ironischen Überschrift der titelgebenden ersten Geschichte, oder sei es bei einer Party, die Natasha mit dem Vorsatz besucht, keinen Spaß zu haben, denn „für sie war Spaß streng verboten.“

Wenn sie sich gemeinsam nach draußen wagten, hinein in die verständnisvolle Nacht der Stadt, in ihre überteuerten Bars und Restaurants, musste Natasha unweigerlich an die romantische Vergangenheit der Stadt selbst denken – all die Verhältnisse, die sie ungefragt hatte beherbergen müssen. Für Natasha war das Ausgehen in der Stadt immer aufregend: sie musste sehr streng mit sich sein und ganz besonders darauf achten, bloß keinen Spaß zu haben.

Flatterys Figuren lösen gängige Annahmen, die sich über diese Frauen treffen ließen, niemals ein. Die Leser*innen werden von diesen rästelhaften Figuren immer wieder überrascht. Neben dem Spaß ist auch das Thema Depression in mehreren Geschichten Thema. Häufig ist da von „Krankheit“ die Rede, die Ehefrau in Papagai ist eine der depressiven Figuren. Ihr Mann verlässt sie für die Protagonistin, die kurz zuvor noch über einen Kollegen gelacht hat:

Als sie einmal mittags, einen Bissen Sandwich im Mund, über einen Mann aus dem Büro lachte, weil jedes Büro eine traurige Gestalt braucht, über die man lachen kann, sah er sie stirnrunzelnd an. ,Der Mann hat Depressionen‘ ,Woher wissen Sie das?‘, fragte sie. ,Woher wissen Sie das nicht?‘

Flatterys Hauptfiguren sind manchmal ratlos und wählen dann eine unerwartbare Richtung. Nach diesem Büro-Gespräch lädt sie ihn auf einen Drink ein, er wird ihr Mann, sie die Ersatzmutter für den Sohn.

Leider doch das Ende

Flatterys Sprache ist sehr bildlich, und oft wählt sie genau die Bilder, die den Text wieder besonders grotesk machen:

Die Stühle spürten anscheinend, was für unhaltbare Erwartungen in sie gesetzt wurden: sie kotzten ihre Polsterung aus, offenbarten gefährlich splittrige Stellen am Holz und verfärbten sich grässlich im Tageslicht.

Nicole Flatterys Debüt endet mit Angela, die kurz vorm Ende der Welt noch jede Menge gleichförmige Dates hat, in denen sie ihre Gegenüber verwirrt. Die letzte Erzählung trägt den Titel Noch nicht das Ende. Ein uneingelöstes Verprechen in diesem Moment an die Leser*in , denn nachdem die letzte Seite wirklich umgeblättert ist, vermisst man Natasha, Lucy, Angela und die anderen sofort.

Nicole Flattery: Zeig ihnen, wie man Spaß hat, Hanser Berlin 2020.
Karolin Kolbe
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