
Gerhard Falkner ist Lyriker, Dramatiker, Essayist und Übersetzter. Sein erster Gedichtband so beginnen am körper die tage erschien 1981, seine neue Monographie Kanne Blumma ist im November 2010 im ars vivendi Verlag erschienen. Litaffin sprach mit ihm über die Entwicklung des Literaturbetriebs in den letzten Jahrzehnten, über schlecht ausgebildete Buchhändler, schrumpfende Kulturredaktionen und Lektorate, die zunehmend unter Druck stehen.
Litaffin: Du hattest dich von 1984 bis 1996 aus dem Literaturbetrieb zurückgezogen und keinen Gedichtband mehr veröffentlicht. Warum?
Gerhard Falkner: Das hatte viele Gründe, die ich inzwischen unendlich oft dargelegt habe. Eine der vielen Antworten lautet: Die Kommunikationsmöglichkeiten werden immer dichter und anspruchsvoller. Mit ihrer Hilfe verschaffen sich Autoren eine Präsenz im Literaturbetrieb, die nicht mehr notwendigerweise durch eine Qualität des Textes abgedeckt sein muss. Wichtig ist nicht, was drin ist, sondern was drauf steht.
Hinzu kommt, dass die kontemplativen Phasen, also die Phasen des „Reifens sprachlicher Ideen“, die in der Dichtung stets eine besonders große Rolle gespielt haben, immer knapper und enger werden.
Ich glaube, dass der Literaturbetrieb Literatur inzwischen eher wirksam verhindert als befördert und nur noch diese komischen Podiumsautoren heranzüchtet, deren einzige besondere Eigenschaft es ist, dass sie weder Fisch noch Fleisch sind und die Kunst beherrschen, während des Redens beliebig lange nichts zu sagen.
Womit ich nicht behaupte, dass keine Literatur entsteht. Diese entsteht aber nicht weil, sondern obwohl und oft, bevor sie im größeren Stile bemerkt wird.
Litaffin: In einem Gespräch mit „Radio Bremen“ meintest du, dass dein Rückzug gegen die Verwertung der Marke „Autor“ gerichtet war.
Falkner: Vielleicht, Ja! Besonders ab den 80er Jahren ist etwas passiert, was in der bildenden Kunst schon ein, zwei Jahrzehnte früher passiert ist, nämlich die sogenannte Personalisierung des Literaturbetriebs. Man spricht nicht mehr über das Werk, sondern den Urheber. Genau dies führte zum „namedropping“: Ich habe doch gesagt, von wem ich rede, du wirst doch wohl nicht auch noch wissen wollen, worüber!
Andererseits war es in der Literatur, besonders in der Dichtung, immer ein Ideal, dass der Autor hinter seinem Werk zurücktritt. Künstler im weitesten Sinne, in welcher Disziplin auch immer, werden immer mehr die Sklaven ihrer eigenen Marken.
Ich habe versucht, diesen Zwang ganz bewusst unterlaufen. In allen meinen Büchern bleibe ich zwar erkennbar – wenigstens wird mir das bisher bescheinigt – aber sie unterscheiden sich doch extrem voneinander.
Litaffin: In der deutschen Literaturlandschaft gibt es ja auch unzählige Preise, deren Gewicht mitunter enorm ist.
Falkner: Ja, die Preislandschaft ist sicher dubios, um es behutsam auszudrücken. Ich würde mal sehr verallgemeinernd sagen, mit den Preisen ist es ähnlich wie mit dem Buchhandel. Der Buchhandel ist ja nicht mehr Vermittler von Literatur, sondern der verlängerte Arm der Verlage. Jurymitglieder (als Glücksverheißende) gleichen ihrem Vorbild, dem Gott Shiva, was ihre vielen verlängerten Arme angeht. Selten gilt der Preisvorschlag einer solchen Gottheit einem Autor, der nicht vorher seine Opfer gebracht hat.
Und was die Buchhandlungen angeht, sie sind von der Besatzung her in den allermeisten Fällen doch nur noch katastrophal. Der Buchpreis sagt ihnen vielleicht gerade noch was, und vielleicht noch der Büchnerpreis. Dann wird’s schon eng.
Berlin ist eine Ausnahme. Es gibt natürlich auch anderswo in Deutschland noch gute Buchhandlungen, aber man muss sie mit der Lupe suchen. Die großen Buchhandlungen aber, die Buchkaufhäuser, sind eigentlich nur noch die Endabnehmer einer Bestsellerstrategie. Dort sind die Buchverkäufer die Knechte der Bücherstapel, die Mönche der Bestenlisten und die Banditen ihrer Unbelesenheit.
Sie machen alles kaputt, was es noch durch die kalkulatorisch und kapitalistisch überhitzten Lektorate geschafft hat, obwohl sie, ähnlich wie die Verlage, sich ständig neue Ausreden einfallen lassen, dass sie mit dem Verkauf von Mist Kultur und Literatur unterstützen. Das ist völliger Unsinn.
Litaffin: Solche Buchhändler sind also keine Vermittler der Literatur und der Künste, sondern folgen ausschließlich wirtschaftlichen Interessen und bedienen den Mainstream?
Falkner: Könnte man vielleicht so sagen. Hinzu kommt, dass die Literaturkritik in diesem beklagenswerten Zustand ist, dass sie kaum noch über Publikationsmöglichkeiten verfügt. Messbar ist das unter anderem daran, wie sehr die Kulturredaktionen von Zeitungen oder Rundfunksendern geschrumpft sind. Die Honorare für gut recherchierte Kritiken gleichen inzwischen eher Bußgeldern als Entlohnungen.
Zunehmend gähnen nur noch die unentgeltlichen Arenen des Internets, in denen tatsächlich oft die letzten anspruchsvollen Diskurse ausgetragen werden. Deren Merkmale sind Aktualität und Irreversibilität. Dort lodern die Gedanken, aber sie sind alle für den Ofen!
Und noch einmal zurück zu den Literaturpreisen: Die Leute, die dort mitwirken, verstehen sich meistens als Verteidiger der Literatur, sind aber eher die disk jockeys der kulturellen Nirwanas, eitel bis zum Anschlag und gierig auf die coolen Gags des Augenblicks. Darunter gibt es Figuren, die sehr dominant sind in Deutschland und die in allen möglichen Jurys und Redaktionen sitzen. Sie sind meist gut bezahlt und tanzen auf allen Hochzeiten, vor dem apokalyptischen Hintergrund, dass die Mittel für die breite kritische Schicht immer geringer werden. Das heißt, sie profitieren von einem System, dass an seiner eigenen Reduktion arbeitet. Es gibt natürlich viele Buchpreise, die ganz stark die literarische Qualität betonen, die man den gekürten Büchern oft auch gar nicht absprechen möchte. Was aber wird mit einem solchen Preis letztendlich demonstriert? Man kann auch ein „gutes Buch“ in großer Stückzahl verkaufen und jetzt lasst uns mal die riesige Herde der Saurier mobilisieren, die sich einreihen möchte in dieses komische Völkchen der Anspruchsvollen. No obligations!
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Das zweite Teil des Interviews wird im Februar auf Litaffin erscheinen.
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