Ihr seid noch auf der Suche nach einem Buch zum Verschenken? Oder einer Lektüre für die Weihnachtstage? Kein Problem, we got you. Die Redaktion hat ihr Lesejahr Revue passieren lassen und präsentiert euch im diesjährigen Litaffin-Adventskalender Lieblingsbücher, Coverkäufe, aber auch Memes und Gedichte.
9. Dezember
Meine intensivste Lektüre dieses Jahr war Luna Alis Debüt „Da waren Tage“. Zunächst verschlang ich das Buch an einem Tag, um es dann immer wieder in die Hand zu nehmen und über einzelne Gedanken der Autorin noch einmal nachzudenken.
„Die Tage“ im Buchtitel verweisen bereits auf die besondere Struktur des Romans. Jedes Kapitel beleuchtet immer nur einen Tag – den 15.März – aus dem Leben des Protagonisten Aras. Zu Beginn des Romans, am 15. März 2011, ist Aras im ersten Semester seines Jurastudiums in Deutschland und nimmt die Anfänge der syrischen Revolution zunächst nur aus der Ferne wahr. Doch mit der zunehmenden Eskalation der Gewalt in Syrien dringt der Konflikt immer stärker in seinen Alltag ein. Aras, welcher in Syrien geboren ist und in Deutschland lebt, fühlt sich ohnmächtig hinsichtlich der Tatsache, als Zuschauer auf den Krieg in seinem Heimatland zu schauen. Immer mehr wird der fremde Schmerz zu seinem eigenen, Realität und Fiktion verschwimmen und der Bombenhagel wird Teil von Aras neuer Realität.
Für Aras Gedankenwelt findet Luna Ali eine unglaublich poetische wie innovative Sprache. Sie experimentiert mit verschiedenen Sprachen, überträgt stellenweise den arabischen Satzbau auf das Deutsche, lässt Wörter aus anderen Sprachen einfließen und greift auf das arabische Chat-Alphabet Arabizi zurück. Ebenso kreativ ist Alis Umgang mit der Textform, ein Kapitel ist eine Collage aus verschiedenen Erzählsträngen, Zitaten und Listen. Gegen Ende des Romans scheinen sich parallel zu Aras verschlechterndem mentalen Zustand Sprache und Textform immer mehr aufzulösen und in den Bereich der Lyrik überzugehen.
Luna Alis erster Roman ist keine leichte Lektüre, aber eine zutiefst berührende und anregende. Die Autorin findet eine Sprache für Aras Leben im Dazwischen zweier Länder, Kulturen und zeigt was Gewalt in einem jungen Menschen anrichten kann. Aras Perspektive auf den Syrienkrieg einzunehmen ist schmerzvoll wie Augen öffnend. Eine wichtige Zumutung und ein Appel für politisches Engagement.
Von Hannah-Lou Multhaup
10. Dezember
Das Weihnachtskapitel aus den „Buddenbrooks“ ist so berühmt, dass der Fischer-Verlag ihm ein eigenes Buch gewidmet hat, ergänzt mit den Rezepten des Weihnachtsmenüs. Denn die Feierlichkeiten der Buddenbrooks bestehen aus einem regelrechten Fressgelage: Eine fragwürdige Mandelcreme, von der man nur eine geringe Menge essen kann, ohne furchtbare Magenbeschwerden zu erleiden, englischer Plumcake, Karpfen, von dem sich der Senator ein paar Schuppen ins Portemonnaie schiebt, damit ihm im kommenden Jahr das Geld nicht ausgeht, und gefüllter Puter sind nur wenige der Gerichte, die über den Abend hinweg serviert werden.
Thomas Manns 1901 erschienener Gesellschaftsroman erzählt die Geschichte einer großbürgerlichen Lübecker Kaufmannsfamilie über mehrere Jahrzehnte hinweg – angelehnt an Manns eigene Familiengeschichte. Das alljährliche Weihnachtsfest der Buddenbrooks unterscheidet sich nicht groß von dem anderer Familien, aber gerade deswegen stellt es ein Sittengemälde seiner Zeit dar. Und auch heute noch kann man sich darin wiederfinden: Nicht jeder hat eine Flügeltür oder einen hauseigenen Knabenchor, dafür mag vielen der unangenehme Onkel bekannt vorkommen, der immer die gleichen Schoten erzählt und viel zu ausführlich seinen körperlichen Zustand nach übermäßigem Punschgenuss schildert. Oder das Gefühl des Drucks, einen fröhlich-feierlichen Abend zu verbringen, der in die Atmosphäre eines „Leichenbegängnisses“ umschlägt. Und auch die fiebrige Vorfreude des kleinen Hanno auf sein Weihnachtsgeschenk, das er sich sicher ist zu bekommen, dürfte einige an die eigene Kindheit erinnern.
Von Emma Rotermund
11. Dezember
June Hayward ist eine junge Autorin, deren Debütroman nicht den erhofften Erfolg mit sich gebracht hat. Nun stockt ihre Karriere, sie hat keine Ideen für das nächste Projekt.
Sie wird von einer ehemaligen Kommilitonin eingeladen, deren neusten Erfolg zu feiern. Denn anders als June ist Athena Liu zu einer Bestseller-Autorin geworden.
Bei ihrem Treffen jedoch stirbt Athena unerwarteterweise und bevor die Rettungskräfte vor Ort sind, landet Athenas neuestes Manuskript in Junes Tasche. Sie bietet es als ihr eigenes an und veröffentlicht es unter dem Namen Juniper Song.
Als Leser:in verfolgt man die Veröffentlichung des Buches und die Zeit danach. Auf eine satirische, unterhaltsame und doch kritische Weise nimmt Rebecca F. Kuang die Literaturwelt unter die Lupe und entspinnt eine Geschichte, die sich nicht nur mit Diversität und kultureller Aneignung auseinandersetzt, sondern auch mit dem Einfluss von Social Media.
Rebecca F. Kuang ist es gelungen, einen spannenden Roman zu schreiben, bei dem ich mit der Protagonistin mitfiebere, obwohl mir ihre Taten unsympathisch sind. Für mich gehört das Buch zu den Jahreshighlights.
Aus dem Englischen von Jasmin Humburg
Von Antonia Prume
12. Dezember
Was wir wirklich über Bücher denken…
Von Klara Siedenburg
13. Dezember
Gekauft im März auf einer Lesung mit Olga Ravn, trug ich das signierte „Meine Arbeit“ ein paar Monate mit mir durch meine Lesekrise. Im Sommerurlaub ließ ich mich dann aber endlich darauf ein. Man muss dem Buch schon mit Bereitschaft entgegentreten, aber wer das tut, wird es nicht bereuen.
Olga Ravn schreibt über Mutterschaft, über Care-Arbeit und postnatale Depression, über Angst und Einsamkeit. Wir folgen Protagonistin Anna durch Geburtsvorbereitungskurse, durch den Umzug mit ihrem Partner nach Stockholm, durch Wahnsinnsgedanken und Online-Shopping-Attacken. Dazwischen wird immer wieder klar, dass Anna in dieser Turbulenz kaum einen Moment für sich selbst oder einen klaren Gedanken findet. Immer wieder wird sie vor die Frage gestellt, wo sie selbst, als Schriftstellerin und als Frau, in der Mutterschaft ihren Platz findet.
“Meine Arbeit” ist kein Roman, vielleicht ist es ein Manifest für die Zweifel, oder etwas ganz anderes. Immer wieder beginnt das Buch von vorne. Ein Anfang reicht nicht, es folgen zwölf weitere. Nichts ist chronologisch und die einzelnen Teile des Buches verschwimmen ineinander, genauso wie Wahn und Wahrnehmung der Erzählfigur, von der wir uns auch nie sicher sein können, wie nahe sie der Autorin eigentlich wirklich steht.
Ich hätte nicht erwartet, dass ein Buch über Mutterschaft mich so in seinen Bann ziehen würde, aber Olga Ravn gelingt es (man muss sagen auf meisterinnenhafte Weise), die Palette menschlicher Emotionen mit einer gewaltigen existenziellen Kraft abzubilden. Ehrlich, politisch und trotzdem mit einer Menge Humor. Ob ich ein Fangirl bin? Ja, sicher. Würde ich an so etwas Ähnliches wie einen Geniekult glauben, so wäre Olga Ravn für mich das oberste Genie.
Von Helene Schlesier
14. Dezember
Ein kleines Kunstwerk ist das Buchcover von Emily St. John Mandels jüngstem Roman. Absolut hypnotisierend mit seinen fantastischen Blautönen, dem halb im Wasser versunkenen Gesicht und den goldenen Sternschnuppen, die das Buch überziehen und funkeln lassen. Für mich ein Beispiel eines wirklich gelungenen Covers.
Nach einer wunderbaren Lesung von Emily St. John Mandel in Berlin konnte ich nicht widerstehen und musste mir „Sea of Tranquility“ unbedingt im englischen Original kaufen. Nicht nur, weil mich die Sprache der kanadischen Autorin in ihrer unverfälschten Form interessierte, sondern vor allem wegen des zauberhaften Covers der englischen Taschenbuchausgabe, das optisch einfach mehr hermacht als die etwas farblose deutsche Ausgabe.
Wie sein Cover hat mich Mandels wilder Zeitreiseroman von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Gemeinsam mit den drei Protagonist*innen reisen wir durch die Zeit von 1912 bis ins Jahr 2401, von einem kolonisierten Kanada bis hin zu einer Zukunft mit Mondkolonien, Pandemien und paranormalen Untersuchungen. Wem das bis jetzt noch nicht verrückt genug ist, der darf sich auf eine weitere gedankliche Wendung gefasst machen: Im Kern dreht sich alles um die Frage, ob unsere Welt tatsächlich real ist – oder vielleicht doch nur eine perfekte Simulation?
Das ist natürlich Science-Fiction, doch Mandel nutzt wie so oft das Genre, um den großen existenziellen Fragen unseres Menschseins nachzuspüren. Trotz aller futuristischen Elemente bleibt das menschliche Drama das Herzstück der Geschichte. Raumflüge zu kolonisierten Monden wirken dabei erstaunlich greifbar und fast selbstverständlich, als gehörten sie schon lange zu unserer Realität.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen hier zu einer faszinierenden Erzählung – oder ist alles am Ende doch nur Illusion? Wer kann das mit Gewissheit sagen? „Sea of Tranquilitit“ ist ein philosophischer und unterhaltsamer Trip durch Raum und Zeit, der seinem Cover alle Ehre macht.
Von Hannah-Lou Multhaup
15. Dezember
Als die vier „kleinen Frauen“ der Familie March am Weihnachtsmorgen aufwachen, findet jedes der Mädchen unter ihrem Kissen ein Buch vor. Liebevoll hatte ihre Mutter jedem ihrer Kinder die gleiche Geschichte, die sie alle so lieben, in verschiedenfarbigen Einbänden zu Weihnachten geschenkt. Und bevor die Schwestern hinunter zum Frühstück laufen, liegen sie noch eine Weile in ihren Betten und lesen gemeinsam.
Es sind die 1860er Jahre, in Neuengland herrscht Bürgerkrieg. Der Vater der Familie dient dem Land, die Mutter ist mit ihren vier Töchtern allein in die sicherere Vorstadt gezogen. Familie March lebt in verarmten Verhältnissen. Doch das alte braune Haus mit Garten ist von so viel Liebe und Wärme erfüllt, dass es scheint, als würde es der Familie an nichts fehlen.
„Little Women“ von Louisa May Alcott ist die Geschichte der vier Schwestern Meg, Jo, Betty und Amy. So bunt wie ihre Büchereinbände an Weihnachten, so unterschiedlich sind auch ihre Charaktere: Meg, die Älteste mit 16 Jahren, ist die Vernünftige. Sie ist hübsch und sie legt Wert darauf, anständig und gepflegt aufzutreten. Sie sehnt sich danach, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Jo ist der unbändige Freigeist der Familie, ihr fallen immer die tollsten Geschichten ein, zu denen sie eigene Theaterstücke schreibt und diese dann mit ihren Schwestern aufführt. Betty ist schüchtern und ängstlich und mit dem größten Herzen. Ihre Leidenschaft ist die Musik. Und die zwölfjährige Amy, die Jüngste, ist die Eitle. Als Schöngeist liebt sie die Kunst und zeichnet wie ein Raffael. Wir begleiten die vier beim Erwachsenwerden. „Little Women“ erzählt von Familie, Schwesternschaft, Träumen und letztendlich vom Frauwerden in den 1860er-Jahren.
Die vier „kleinen Frauen“ wachsen einem schnell ans Herz und gerade zur Weihnachtszeit ist ihre Geschichte eine, die man gerne wieder aus dem Bücherregal zieht und noch einmal lesen möchte. Einfach um wieder mit Familie March um den Kamin herumzusitzen und ihnen beim Plaudern und Geschichtenerzählen zuzuhören.
Von Inga Kuck
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