„Solidarität. Bisschen freaky. Aber auch Literatur“

Alexander Lehnert ist Literaturveranstalter, Moderator und (literarische) Drag Queen. Seit 13 Jahren veranstaltet er die anonyme Lesereihe Konzept*Feuerpudel, bei der von Neulingen bis professionellen Schreiber:innen alle willkommen sind. Seit einiger Zeit ist auch seine Drag-Persona Audrey Naline mit Lippenstift und Hochsteckfrisur dabei. Auf Alex und Audrey trifft man neben dem Feuerpudel auch als Moderator:in von literarischen Veranstaltungen sowie auf der Spreefahrt Audrey Ahoi! Ich habe mich mit Alex über Körper(losigkeit), unsere Spaßgesellschaft und kreative Veranstaltungen unterhalten.

© Franzi Bährle

Hallo Alex! Schön, dass du gekommen bist.

Das ist ja sehr offiziell. Ich setze mich gleich mal aufrecht hin. (lacht)

Konzept*Feuerpudel ist eine anonyme Lesereihe. Was hat diesen Ansatz motiviert?

Einige, mit denen ich zusammen studiert habe, und ich haben gesucht, wo deren Texte Platz finden können. Ohne Vorlesen ging es nicht mehr. Auf Poetry Slams waren Texte, die nur mit dem eigenen Körper, der eigenen Performance funktioniert haben. Wir geben Autorinnen, Autoren die Möglichkeit, anonym Texte vorzustellen, ohne dass ihre Performance eine Rolle spielt. Mein Vortrag steht stellvertretend für das, was die Autoren, Autorinnen sagen wollen. Einer der Auslöser für den Feuerpudel war auch die Debatte um Helene Hegemann. Als sie Axolotl Roadkill veröffentlicht hat und herauskam, dass sie abgeschrieben hatte, warfen ihr einige Kritiker vor, dass sie das nicht selbst erlebt hat. Das hat diese Körperlosigkeit angefacht, diese Idee „was muss ich erleben?“

Das interessiert mich grundsätzlich, der Körper des Autors, der Autorin. Es gibt mittlerweile auch eine Handvoll Projekte, die das Konzept der Körperlosigkeit in eine andere Richtung gebracht haben. Ich finde gut, dass das jetzt passiert, weil es einen Diskurs abbildet, den ich nicht unwichtig finde: Was bedeutet denn der Körper fürs Schreiben?

Was bedeutet denn der Körper für das Textprodukt?

Das kommt ganz drauf an. Ich kann letztendlich nicht erklären, was der Körper für das Textprodukt bedeutet. Körperlichkeit in der Literatur bedeutet, ich muss einen schreibfähigen Körper und einen veröffentlichungsfähigen Körper haben. Auch haben wir in den letzten Jahren und Monaten gesehen, dass es einen krassen Schlag tut, wenn ein Mensch und dessen Körper die Erwartungen seiner Beschreibung oder seiner selbst bricht. Wenn zum Beispiel Kim de l’Horizon hingeht, sich mit Lippenstift bemalt und einen Preis gewinnt.

Wie werden beim Feuerpudel solche Erwartungshaltungen an Körper und die Verknüpfung von Text und Körper aufgebrochen?

Autor:innen können uns Texte einreichen, die sie nicht selbst vorlesen müssen, das mache ich, beziehungsweise Audrey stellvertretend. Die Urheber:innen sitzen anonym dabei und könne lauschen, unerkannt Rückmeldung kriegen oder mal was Neues ausprobieren, ohne dass sie verkörpern müssten, war da geschrieben steht. Noch dazu habe ich eine spezielle Vortragsart. Ich bin kein ausgebildeter Schauspieler, habe ein bisschen Dialekt. Die Drag-Figur Audrey macht die Sache noch ein bisschen besser. Das mit meinem eigenen Körper, das hat mir nicht mehr gereicht. Ich bin ein sehr sichtbares Signal für eine Gesellschaft, die das erträgt. Dragqueens muss man unter anderem auch ertragen. Nicht alle freuen sich immer. Aber die meisten freuen sich, weil sie wissen, wenn eine Dragqueen in den Raum kommt, dann gibt es entweder Schnaps oder das wird lustig oder beides.

Übernehmen Audrey und Alex als Bühnenversierte auch eine Pufferrolle für die Autor:innen, die den Bühnenrummel nicht wollen?

Ja. Die Leute können es immer auf mich schieben, wenn etwas nicht klappt, das macht mir gar nichts. Das ist der ideale Prellbock. Entweder ist das Publikum stulle und hat die eigene Kunst nicht verstanden oder die Dragqueen hat scheiße vorgelesen. Ich finde, dass die Forderung nach Sichtbarkeit und Repräsentation, die manchmal auch ein bisschen überstrapaziert wird, mit dieser Körperlosigkeit auch anerkannt wird. Die Autoren sind bei uns nicht so sichtbar. Erst am Schluss, wenn jemand gewonnen hat, dann sage ich „Komm doch raus“. Aber sie müssen auch nicht. Man darf auch unsichtbar sein wollen.

Was wünscht du dir von Lesungen?

Ich wünsche mir in erster Linie, dass jemand, der zu einer Lesung kommt, das Buch kauft und dieses Buch liest und damit was mitnimmt. Aber auch mit dem Eintrittspreis für die Veranstaltung und mit dem Kauf des Buches dafür sorgt, dass die Autorin, der Autor die Möglichkeit hat, das Schreiben als Beruf auszuüben.

Und dass Literaturveranstaltungen ein bisschen offener wären für den Rest der Welt. Dann würde es vielleicht auch Leuten aus dem Betrieb häufiger gelingen, dass man sagt: „Ich kann jetzt anknüpfen mit einer Debatte, weil ich weiß, wie die Leute außerhalb des Literaturbetriebs drauf sind.“ Das ist mit ein Ziel dessen, dass es bei uns manchmal klamaukig ist und dass jetzt eine Dragqueen mitmischt. Weil ich diese Bubbles aufknacken will. Man hört immer Bubble hier, die Bubble da. Aber am Schluss sind dann die Lyriker unter sich. Wenn du so ein Lyrik-Debüt hast, dann kommen die 20 anderen Lyriker-Freunde, nicken, trinken ihr Sprudelwasser und hauen dann wieder ab. Aber dass man eine Veranstaltung hat, wo Leute hingehen und laut sagen: „Ich verstehe überhaupt nichts, es macht mir aber trotzdem Spaß“, gibt‘s nicht.

Wenn du sagst, du möchtest diese Bubble aufbrechen, wer soll zum Konzept*Feuerpudel kommen?

Ich möchte Leute, die sagen: „Ich les‘ gern.“ Ich möchte die Lektorin und den Lektor von Hanser da haben, die sagen, hier entdecken wir neues Talent. Ich möchte Leute, die Spaß haben können. Da gibt es im Literaturbetrieb sehr viele. Ich möchte aber auch Leute, die ich auf unterschiedlichsten Wegen einpacke.

Wenn ich montags als Sprecherin auf dem Spree-Schiff bin: „Leute“, sage ich, „wissen Sie was? Nächsten Mittwoch gibt es eine Literaturveranstaltung und ich komme in Stöckelschuhen, ham se nicht Bock?“ Und relativ viele Leute kommen da hin und sind im besten Fall der naive Leser, die naive Leserin. Genau da wollen wir hin. Ideale Leser kennen wir, aber das ideale Publikum geht aus der Veranstaltung raus und sagt, ich will mehr. Mein Lieblings-Szenario ist eine Lesung wie ein Britney-Spears-Konzert, nicht mehr nur 9 € Eintritt.

Das heißt, da wird am Ende Merch gekauft?

Vielleicht auch wenns hilft… Ich weiß jetzt nicht, ob es die Antje-Rávic-Strubel Bettdecke unbedingt braucht. Aber die Tatsache, dass man sich auf eine Lesung genauso freut, wie auf ein Madonna Konzert und auch bereit ist, zu sagen: „Ich geb dann mal was aus.“ Das sind anderthalb Stunden intellektuelle Auseinandersetzung, top Moderation, vielleicht ein bisschen was dazwischen. Und dann gehe ich hin und leg mich nicht nur auf den Rücken und sage: „Wenn hier nichts gefördert wird, dann mache ich auch nix.“ Die Förderung muss es auch immer geben. Aber dass man in die Mischung geht und eine Veranstaltung schafft, die größere Kreise zieht. Ich hoffe, das gelingt uns.

Ich habe da ein ganz tolles Zitat von dir gefunden …

Oh nein, was habe ich gesagt? (lacht)

Nein, das ist eine Art Verführungstechnik. Ich hatte letztes Jahr beim internationalen literaturfestival berlin das Vergnügen, Madame Nielsen zu moderieren und sie hat mir dazu E-Mails geschrieben. Es ging um Verführung. Wir wollen die Leute verführen. Und da habe ich mich wieder gesehen. Die Auseinandersetzung mit der Person, mit den Inhalten, soll in erster Linie Spaß machen und interessieren. Ohne, dass es eine reine Verkaufsveranstaltung werden soll. Aber ich finde, das Format Literaturveranstaltung eignet sich hauptsächlich dafür, die Leute zum Lesen einzuladen. So eine Einladung muss man auch annehmen, also musst du dafür sorgen, dass es leichtfällt, zuzusagen.

Lenkt nicht das Drumherum, die Illustrationen, Audrey oder Alex in fantasievollen Make-Ups, die Aufmerksamkeit weg vom Text? Ist der Text noch die Hauptsache?

Für einige ja, für andere nicht. Mir macht es nichts, wenn es mal fünf Minuten nicht konkret um den Text geht. Konzept*Feuerpudel ist dafür da, dass Leute, die schon da sind, mal was ganz anderes ausprobieren können. Das ist dann die ideale Möglichkeit, aus seiner Rolle rauszukommen. Aber das ist auch was für Leute, die noch keine Sau kennt, und dann ist es Konzept.

Das heißt, wir bieten auch die Möglichkeit an, einen fünfminütigen schlechten Text nicht mit diesem literaturhaus-typischen mh-Gesicht ertragen zu müssen, sondern zu sagen: „Ich schau die Illustrationen an.“ Auf der anderen Seite gibt es große Überraschungen, was diese Performance, diesen Moment angeht. Da war auch mal diese Agentin da und haut einen an: „Wer ist das?“ Diese Möglichkeit offen zu lassen, ist mir wichtig.

Sind deine Veranstaltungen Kunst/Performance oder Vermittlung?

Es kommt immer auf den Moment an und auf die Situation. Wenn ich jetzt in Drag unterwegs bin, würde ich sagen, das ist Performance. Also, der künstlerische Teil ist die Improvisation. Auch wenn ich andere Moderatorinnen, Moderatoren sehe und merke, wie jemand von seinem Skript abweicht, wie jemand auf etwas eingeht, wie jemand jemanden tatsächlich durch ein Gespräch führt, hat das für mich etwas Kunstvolles.

Inwieweit verstehst du dich selbst als Künstler?

Wie werden deine Projekte sich im Laufe des Jahres und in Zukunft weiterentwickeln?

Im Augenblick haben wir großes Glück. Queerness ist da. Wenn ein:e non-binäre Autor:in bei einem so wichtigen Literaturpreis wie dem Deutschen Buchpreis gewinnt, dann kann man nicht mehr sagen: Das war eine Nischenveranstaltung. Ich bin eine Dragqueen, die eigentlich ein weißer, mitteleuropäischer, schwuler, abled Typ ist. Und diese Spot-Kritik, die ich anderen anlaste, die muss ich mir auch selber gefallen lassen. Es wäre schön, wenn sich da noch was drehen lässt. Wo sind die Drag-Kings? Was bedeutet Nicht-Binarität?

Ich möchte Veranstaltungen machen, die unterhaltsam sind, sehr viele Leute ansprechen und in denen zentral, aber nicht zu aufdringlich literarische und gesellschaftspolitische Inhalte vermittelt werden. Es wird den Versuch geben, das in Einklang zu bringen mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die etwas hart treffen wird: „Kriegswirtschaft“ heißt es schon hier und da. Die goldene Regel der freien Szene ist: Wir arbeiten mit dem, was da ist. Und das würde ich gern versuchen zusammenzudenken. Eine solidarische Idee, die sich nicht daran bemisst, wie viele Preise habe ich schon bekommen.

Es ist das künstlerische Experiment, diese Ecken zusammenzubringen. Solidarität. Bisschen freaky. Aber auch Literatur. Das wäre eine schöne Perspektive.

Ganz im Sinne der Spaßgesellschaft sieht man sowohl Audrey als auch dich bei den Shows immer mal wieder mit einem gut gefüllten Martini-Glas. Was sind denn so eure Lieblings-Drinks?

Alles hätte ich gesagt, in der Hoffnung, mich nicht zu sehr als angehende Alkoholikerin zu outen. Sehr gern Hemingway Sour. Einfach nur, weil es Hemingway heißt, für die Literatur. Wenn mich dann Leute fragen: „Was trinkst du da?“ Da sage ich: „Ich trinke einen Thomas Mann Dry.“ (lacht) Und natürlich Sekt, am liebsten der billige Rosé. Die Drag-Person in mir sagt: Hauptsache, es batscht. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr Infos zu Alex und seinen Veranstaltungen gibt es auf seiner Website Gleiswildnis.

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