„Unsere Serien sind nichts anderes als das, was man auf Netflix sieht“

Unter dem Pseudonym Ian Rolf Hill schreibt Florian Hilleberg seit 2015 für die Romanheft-Serie Geisterjäger John Sinclair. Inzwischen ist er bei dieser sowie bei den Reihen Maddrax und Professor Zamorra einer der Stammautoren. Ebenfalls hat er für den Arunya-Verlag zwei Romane in der Reihe Dystonia veröffentlicht, sowie die Familiensaga Das Erbe von Kincaid Hall und Schatten über Kincaid Hall.

Interview: Tony Pürschel

© privat

Wie ist das Leben als selbstständiger Schriftsteller?

Wenn man davon leben will, gilt echt dieses Prinzip von selbstständig sein: selbst und ständig. Man hat lange Tage. Ich schreibe drei Romane im Monat, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man ist da relativ schnell an einem Punkt, an dem man schreiben muss, auch wenn einem gerade nicht danach ist. Im Moment arbeite ich an dem dritten Lexikon für Sinclair.

Wie lange brauchen Sie für den durchschnittlichen Heftroman?

Eine Woche. Das reine Schreiben braucht etwa sechs Tage, à 30.000 Zeichen pro Tag, und dann noch einen Tag für die Überarbeitung. Zuvor schreibe ich natürlich noch ein Exposé, was auch bis zu einem Tag dauern kann, je nach Recherche-Aufwand.

Disziplin ist dafür eine Grundvoraussetzung. Jason Dark hat mal gesagt, dass er sich als kreativen Beamten sieht. So ist das bei mir auch. Ich stehe jeden Tag um halb acht auf und schreibe dann. Dabei setze ich mir kein Zeitlimit, sondern ein Zeichenlimit. Je nach dem, wie fokussiert ich arbeite, habe ich früher oder später Feierabend. Oder auch gar nicht.

In der Heftroman-Szene verwenden viele ein Pseudonym. Woran liegt das?

Als es mit den Heftromanen losging, war das ein bisschen en vogue. Die Romane spielten meistens in England, es sollte also der Anschein erweckt werden, dass sie von Engländern geschrieben wurden, vor allem von Männern. Die Autoren hatten teilweise keine große Wahl, ob sie ein Pseudonym wollten oder nicht. Das wurde vom Verlag vorgegeben. Mittlerweile veröffentlichen aber viele Autoren unter ihren Realnamen.

In meinem Fall wurde mir geraten, ein Pseudonym für die Heftromane zu verwenden, weil viele Verlage noch Ressentiments pflegen. Damals habe ich auch noch in einer Psychatrie gearbeitet, und ich wollte nicht, dass Patienten meinen Namen mit Horror-Literatur assoziieren. Inzwischen bin ich zwar selbstständig, aber ich habe mein Pseudonym so lieb gewonnen, dass ich weiter als Ian Rolf Hill schreibe.

Ist Ian Rolf Hill zu einer Art Autor-Persona geworden?

Das kann man schon sagen. Wenn ich schreibe, bin ich Ian Rolf Hill. Gerade was Sinclair angeht, bin ich ja selber ein Fan. Ich kann aber nicht mit dieser Fan-Brille an die Romane gehen, ich muss das ja professionell machen. Es ist nun mal ein Beruf. Diesen Beruf übt Ian Rolf Hill aus, und Florian Hilleberg ist die Privatperson. Es gibt natürlich auch innere Konflikte, gerade wenn man von Zuhause arbeitet. Florian Hilleberg möchte vielleicht lieber auf dem Sofa liegen und eine Serie bingen, aber Ian Rolf Hill sagt, “Nein, du musst schreiben”. Oder, “Ich möchte schreiben”. In dem Ausmaß, in dem ich schreibe, kann man das nicht erzwingen. Das muss Spaß machen.

Sie sind unfassbar aktiv in Ihrem Schaffen. Gehen Ihnen jemals die Ideen aus?

Also, Ideen gehen gar nicht aus, die nehme ich überall her. Aber eine Idee allein macht noch keinen Roman. Die Schwierigkeit ist dann eher, sie in eine sinvolle Handlung einzubinden. Irgendwann hat man aber ein Gespür dafür, wie sich so eine Geschichte entwickeln kann. Dazu habe ich das Glück, dass es in den Heftromanserien übergreifende Handlungsstränge gibt. Bei Maddrax arbeiten wir im Team an einem solchen und führen mit der Redaktion Brainstorming-Telefonate. Dabei kommen eigentlich immer Ideen zustande, die über mehrere Romane verteilt werden müssen. Bei Sinclair verfolge ich auch viele eigene Handlungen. Wenn ich an so einem Strang arbeite, kommen während dem Schreiben schon Ideen für Fortsetzungen.

In dem John Sinclair Band Gespensterreigen passiert unfassbar viel, bezüglich übergreifender Plotpunkte. Mussten Sie das vorher absprechen?

Vorher abgesprochen wird jeder Roman. Was übergreifende Stränge angeht, fragen wir, inwieweit das in den jetztigen Serien-Kosmos passt. Teilweise haben wir auch Meetings per Videocall und besprechen das. Für Gespensterreigen hatte ich ursprünglich eine Handlung geplant, die dem damaligen Redakteur nicht klassisch gruselig genug war. Ich musste das Grusel-Feeling ein bisschen deutlicher hervorheben, mit einem alten Schloss, zum Beispiel. Da kamen wir auf Glamis Castle, was es tatsächlich gibt. Die Handlung selbst ist auf meinem eigenen Mist gewachsen. Was serienübergreifend mit den Charakteren passiert, musste natürlich vereinbart werden.

Dark Land ist ein Spin-Off der John Sinclair Reihe, dessen Ereignisse, in Hinsicht auf den Plot, durch Gespensterreigen in Gang gesetzt wurden.

War das Dark Land Spin-Off auch im Voraus geplant, oder war es eine spontane Sache?

Spontan? Nein, es wurde nicht gesagt, “Ach, das ist ja eine gute Gelegenheit für ein Spin-Off”. Das geht gar nicht. Wir sprechen von einem großen Verlag, für den das wirtschaftliche Entschiedungen sind. So eine Sache wie Dark Land muss langfristig geplant werden. Die ersten Konzeptentwürfe gingen ungefähr ein Jahr zuvor los: Wir wollten ein Spin-Off mit Johnny Connoly als Hauptfigur in einer anderen Dimension. Dementsprechend musste er dort auch irgendwie hingelangen.

Wie verständigen sich die Autoren untereinander? Gibt es da Rundmails oder Konferenzen?

Eine Rundmail gibt es bei fast allen Serien. Wir kriegen auch regelmäßig die Romane der anderen Autoren. Bei Zamorra haben wir sogenannte “Roadmaps”, auf denen wichtige Ereignisse stehen; auch Details wie “Nicole hat eine neue Haarfarbe”. Bei Maddrax ist das noch viel enger. Wenn ich dafür einen Roman schreibe, knüpft er an den Vorgänger an. Da muss ich nur schauen, wer den geschrieben hat. Diese Person kontaktiere ich dann auf Facebook oder WhatsApp. Bei Sinclair telefonieren wir auch manchmal, wobei das deutlich seltener vorkommt als bei Maddrax.

Wie viel Einfluss hat Jason Dark noch auf John Sinclair?

Sagen wir das so, er nimmt weniger Einfluss als er könnte. Die Hauptentscheidung obliegt dem Verlag, der die Serie jetzt federführend plant. Jason Dark konzentriert sich inzwischen hauptsächlich auf seine eigenen Geschichten. Ich weiß auch nicht, wie weit er das mittlwerweile noch verfolgt. Anfangs hat er noch viele von den Romanen gelesen, aber das ist natürlich auch eine Zeitfrage. Irgendwann wird es schwierig, alles auf dem Schirm zu behalten. Er schreibt auch nicht mehr in dem gleichen Pensum wie früher. Also lässt er uns freie Hand.

Auch bekannt als Helmut Rellergerd, ist Jason Dark der Begründer der Serie John Sinclair. Zu Beginn schrieb er noch alle Romane selbst, doch seit ein paar Jahren wird die Reihe hauptsächlich von anderen Autor*innen fortgeführt.

Schreiben Sie auch selbständige Texte, die zu keiner Serie gehören?

Klar. Zum Beispiel veröffentliche ich viele Kurzgeschichten. Das ist ein Genre, in dem ich mich künstlerisch entfalten und mit Stilen experimentieren kann. Das ist beim Heftroman nicht unmöglich, aber doch eher eingeschränkt. Ich schreibe meine Heftromane zwar nicht schematisch, aber sie müssen dennoch massentauglich sein. Zudem bewegt man sich in einem existierenden Kosmos. Ich kann bei Sinclair nicht einfach eine Liebes-Schmonzette einbauen, weil es nunmal eine Grusel-Serie ist. Heftromane unterliegen teilweise auch Jugendschutz-Auflagen. Da hatte ich bei der Reihe Dystonia ganz andere Spielräume. Da konnte ich mich von sämtlichen Grenzen und Vorgaben lösen.

Sie haben inzwischen Ihre eigene Romanreihe, Kincaid Hall. Wie war das für Sie, mal etwas ganz anderes zu schreiben?

Da kam der Anreiz von meiner Agentin, Alisha Bionda. Sie hält ihre Autorinnen und Autoren immer dazu an, aus ihren Komfortzonen zu treten. Für mich sind das ganz klar die Heftromane. Kincaid Hall war etwas vollkommen anderes, aber es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. In Das Erbe von Kincaid Hall ist die Protagonistin z.B. mit einer Frau zusammen. Es wurde dann überlegt, ob ich einen zweiten Handlungsstrang anbieten soll oder eine Alternative mit einem heterosexuellen Pärchen. Glücklicherweise hatte der Verlag aber kein Problem damit, vor allem auch, weil sich Kincaid Hall dadurch von ähnlich gelagerten Romanen abhebt.

Heftromanen wird oft weniger Prestige zuteil als literarischen Texten. Wie gehen Sie mit dem Spalt zwischen Hoch- und Trivialliteratur um?

Irgendwie gehe ich damit gar nicht um. Ich weiß, dass es diese Vorbehalte gibt. Aber mit den Leuten, die das so sehen, habe ich eigentlich keine Berührungspunkte. Ich bekomme nicht ständig Mails, die mich einen “Heftroman-Schmierer” nennen oder so. Bisher war es auch eher meine Erfahrung, dass Leute es toll finden, dass ich für Sinclair schreibe. Viele Autoren würden das auch gerne machen, weil Heftromane sichere Bank sind. Man weiß, dass man für jedes Buch eine bestimmte Summe erhält. Außerdem ist Sinclair in ihrer Größenordnung einzigartig. Wir sprechen hier schon von einem popkulturellen Phänomen, das mittlerweile seit 50 Jahren existiert und auch Leuten bekannt ist, die in der Regel keine Heftromane lesen.

Tatsächlich wird auch relativ schnell klar, dass diejenigen, die diese Vorbehalte hegen, nicht viele Heftromane gelesen haben. Ich gehe einen Heftroman nicht anders an als, zum Beispiel, Kincaid Hall. Heftromane beinhalten ja auch Charakter-Entwicklung usw. Der Hauptunterschied liegt für mich in der Form der Veröffentlichung. Das Heft ist eigentlich auch nur ein Veröffentlichungsmedium. Im Prinzip sind unsere Serien nichts anderes als das, was man auf Netflix sieht. Bei uns sind sie halt in geschriebener Form. Und der Heftroman füllt da auch eine Nische. Das, was ich schreibe, könnte ich in den “seriösen” Verlagen gar nicht unterbringen. Es sind ja teilweise bizarre Szenarien, sei es aufgrund der Figuren, des Settings oder des ganzen Plots.

Zudem hat der Inhalt der Heftromane eine massive Veränderung erlebt. Meine Geschichten beinhalten auch schwerwiegende Themen, wie Missbrauch und psychische Erkrankungen. Das hätte ich vor 20 bis 30 Jahren gar nicht anfassen können. Im Bereich des Fantastischen hat das zwar eine verspielte Note, aber deshalb ist es umso wichtiger, dass man das sensibel handhabt.

Glauben Sie tatsächlich an Gespenster?

Nein. Ich bin im Grunde meines Herzens ein Rationalist. Woran ich aber glaube ist, dass das Gehirn einem viel vorgaukeln kann. Geister sind ein Phänomen, das gehirnorganisch entsteht, in Form einer Halluzination. Wir stoßen hier einfach an die Grenzen dessen, was möglich ist.

Ein Schlusswort von Florian Hilleberg?

Ich bin total begeistert von meiner Arbeit. Ich bin so dankbar dafür, Teil dieser Community zu sein und in dieser Form arbeiten zu können. Die Figuren, die ich erschaffen durfte, begleiten mich immer noch und sind über das Schreiben hinaus ein Teil meines Lebens geworden. Das ist für mich ein großes Glück, wofür ich immer wieder dankbar bin.

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