Lektüre der Longlist bis zum 08.10. – Ein Selbstversuch Teil III

Sechs von zwanzig sind geschafft. So langsam kommen die ersten Bedenken, ob des Gelingens des Projektes und erste tiefgreifende Erkenntnisse, wie: Es dauert länger ein Buch zu lesen, zu dem man keinen Zugang findet. Morgen werden die Nominierten der Shortlist bekanntgegeben und ich habe noch nicht einmal die Hälfte geschafft.

Ein den Freunden schüchtern entgegen gebrachtes: „Ich kann heute nicht mitkommen, ich muss noch lesen,“ überzeugte bisher in den seltensten Fällen wenigstens mich in dem Maße, als dass ich wirklich nicht mitgegangen wäre.

Ein Bier hat noch niemandem geschadet und die Einsicht, dass auch nur ein einstündiger Ausflug eine Stunde weniger lesen bedeutet, kam meistens auch zu spät, oder wurde dahingehend von utopischen Gedanken verdrängt wie: ‚Das hol ich wieder auf! ‘ Erschwerend kommt hinzu, dass auch Verpflichtungen wie Uni oder Nebenjob dieses Projekt weiter verzögern. Die Idee erfreute sich zwar großer Beliebtheit, Zeitgeschenke hat jedoch keiner zu vergeben.

Kommen wir nun jedoch zur Ausbeute dieser Woche und den Anfang macht „Landgericht“ von Ursula Krechel.
Kornitzer ist ein Rückkehrer, er wäre wohl auch gern ein Heimkehrer, wenn es die Heimat, die er als Jude 1939 verlassen musste noch geben würde. 1948 kommt er zurück nach Deutschland und muss feststellen, dass er doch noch nicht wieder willkommen ist.
Vor seiner Ausreise begann seine vielversprechende Karriere als Richter. Seine Frau, Protestantin, war sehr erfolgreich in der Werbebranche tätig. Sie leitete ein Unternehmen, das Werbefilme für den gerade aufkommenden Ton-Film produzierte. Ein sehr modernes Paar, heutzutage würden Sie wohl immer noch in Charlottenburg, oder im Prenzlberg wohnen. Nach dem Krieg, ist alles anders. Kornitzer arbeitet sich durch meterhohe Berge von Anträgen aller Art, um wieder als Richter arbeiten zu können. Er kommt zum Landgericht nach Mainz, um festzustellen, dass die Nazis von damals immer noch die Richter von heute sind und über die Entschädigung der Verfolgten von gestern entscheiden. Diese Paradoxie der deutschen Nachkriegsgesellschaft schildert uns Ursula Krechel, am Exempel von Kornitzer. Ein sehr aufschlussreicher Roman, mit seiner Mischung aus Recherchematerial und Fiktion, allerdings auch (malwieder) ein Buch über ein Schicksal in Nazideutschland und der Zeit danach. Eine Thematik die, wenn man unter anderem mit Dokumentation von Guido Knopp und Büchern wie dem „Tagebuch der Anne Frank“ oder auch „Die Erfindung der Currywurst“ großgeworden ist, maximal noch pflichtschuldiges Interesse auslöst. Allen, die davon nicht genug bekommen können, sei dieses Buch ans Herz gelegt, ein Shortlist-Kandidat ist es (bitte) nicht.

Nichts Weißes“ heißt der schwarz auf weiß gedruckte Roman von Ulf Erdmann Ziegler. Marleen faszinieren Buchstaben, noch bevor sie lesen kann. Hineingeboren in eine erfolgreiche Werber- und Illustratorenfamilie, träumt sie früh von wahrhaft Großem: der perfekten Schrift. Sie wird Typographin und am roten Faden ihrer Karriere veranschaulicht Ziegler eindrucksvoll die Entwicklung vom Bleisatz zur modernen Technik. Er fokussiert sich dabei gar nicht so sehr auf eine historische Dokumentation, vielmehr hangelt man sich als Leser an den einzelnen Lebensetappen Marleens entlang in die Gegenwart. Manchmal wünscht man sich, mehr über ihre Familie zu erfahren, oder dass bestimmte Anekdoten weiter ausgebaut würden, aber die Geschichten sind schlaglichtartig beleuchtet, wie die Erinnerung selbst. Wer kennt es nicht, manches ist auch nach Jahren so deutlich und Präsent in unserem Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen, anderes verblasst bis zur Unkenntlichkeit, oder wird erst in bestimmten Situationen wieder deutlich. Ein durchaus lesenswertes Buch, dass auf seinen etwa 250 Seiten kein Wort zu viel sagt.

Zu guter Letzt, mein Tipp oder vielleicht auch eher der ein oder andere Buchwunsch, der sich idealerweise auf der Shortlist befinden sollte: Man drücke bitte sämtliche Daumen für Clemens J. Setz mit Indigo. Sehr freuen würde mich auch die Nominierung von Frank Schulz‘ „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ und rechnen kann man vielleicht auch mit Stephan Thomes „Fliehkräften“. Soweit meine Auswahl der bisher gelesenen Titel, zu allen anderen diesbezüglich etwas sagen zu wollen wäre albern.

Ursula Krechel
Landgericht
erschienen bei: Jung und Jung
480 Seiten, 29.90€

Ulf Erdmann Ziegler
Nichts Weißes
erschienen bei: Suhrkamp Verlag
259 Seiten, 19.95€

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