Das Gewissen ist rein – nur Bio muss es sein.

In seinem Debütroman Greenwash, Inc. nimmt Karl Wolfgang Flender das gute Gewissen der Verbraucher ins Fadenkreuz, und drückt ab. 

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Jungem Schreiben wurde schon viel vorgeworfen: Es sei handlungsarm, politisch und gesellschaftlich irrelevant und präsentiere die immer gleichen Inhalte, die sich aufgrund der mangelnden Lebenserfahrung der beginnenden Schriftsteller fortwährend irgendwo zwischen Schulhof und Studiumsabbruch bewegen. Auch Karl Wolfgang Flenders Lebenslauf hat schablonenartige Züge: Geboren 1986, Absolvent des Studiengangs „Literarisches Schreiben“ der Universität Hildesheim, dort Mitherausgeber der BELLA Triste und Teil der künstlerischen Leitung des PROSANOVA 2014. Den Schuh der gesellschaftlichen Irrelevanz muss sich Flender trotz Lebenslaufmankos und Geburtsjahr nicht anziehen. Mit seinem Debütroman „Greenwash, Inc.“ widmet er sich einem gesellschaftspolitisch hochrelevantem Thema: dem boomenden Wirtschaftszweig der Green Economy, der dem wachsenden Verbraucheranspruch an nachhaltigem Konsum in die Hände spielt, und dessen freiwillige Selbstverpflichtungen zum ökologischen Wirtschaften zuweilen mehr Schein als Sein sind.

Na los‘, flüstere ich, ‚doppeltes Gehalt.“

Wer da flüstert, das ist Thomas Hessel, PR-Manager. Er sitzt in einem Jeep am Rand eines Dorfes im brasilianischen Regenwald. Ein durch Brandrodung gelegtes Feuer bedroht die Umgebung. Seine Worte gelten Juana, einer ortsansässigen Schauspielerin. Eigentlich war sie engagiert, um als sogenannte Hope Story die Früchte des Sozialprogramms eines dort produzierenden Genmaisfabrikanten zu verkörpern. Jetzt soll sie „ihr“ Baby aus den Flammen retten. Dass der Säugling vorher im Waisenhaus für den PR-Gig ausgeliehen wurde, wissen die anwesenden Journalisten nicht. Was sie auch nicht wissen: Thomas Hessel hat das Feuer selbst veranlasst. Der Zwischenfall mit dem Baby war zwar nicht geplant, doch er wird dafür sorgen, dass das Video, das Hessel mit seinem Handy aufnimmt, auf YouTube Millionen Klicks bekommt. Die anwesende Presse wird ihr Übriges tun, um Brandrodung als lebensraumgefährdend zu verteufeln und das Sozialprogramm des Genmaiskonzerns im besten Licht stehen zu lassen. Hessels Verständnis von PR geht eben ein bisschen weiter:

„Das verwackelte Handykamerabild ist die neue Ästhetik der Authentizität. Mit dem Smartphone gefilmt, der Ton schön übersteuert, dann bei YouTube hochgeladen, Quelle: Internet, so sehen echte Nachrichten aus. […] Making the news statt breaking the news.“

Thomas Hessels Arbeitgeber, die PR-Agentur Mars & Jung, bietet eine Rundumversorgung in grüner Imagepflege für Unternehmen mit problematischer Wertschöpfungskette oder ethisch streitbarem Geschäftsfeld. Von erfundenen Fair-Trade-Zertifikaten über Krisenkommunikation vor Ort bis hin zu Imagekampagnen wie denen von Juana in Brasilien hat die Agentur alles im Greenwashing-Portfolio. Sie arbeiten für das gute Gewissen der Verbraucher. Dass Hessel dabei völlig desillusioniert, ist nicht verwunderlich:

„Armut macht traurig und hässlich. Und das ist das Letzte, was der solvente Europäer im Fernsehen sehen möchte. Deswegen lassen wir afrikanische Kinder in unseren Kampagnen auch immer rhythmisch klatschen und singen und stecken sie in bunte Kostüme.“

  Es muss Karl Wolfgang Flender Vergnügen bereitet haben den Antihelden des karriere-besessenen, arroganten PR-Managers zu formen. Thomas Hessel zitiert PR-Phrasen und Agenturleitsätze wie ein Bibelschüler die Zehn Gebote. „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.“ wird zu „Wenn du dich selbst nicht retten kannst, zieh alle anderen mit in die Scheiße.“ Das Bild, das hier von der PR-Branche gezeichnet wird, ist bissig und überspitzt – und durchaus unterhaltsam. Szenarien werden dramatisiert und als Leser erwischt man sich dabei, wie man sensationsheischend auf die nächste gottlose Aktion von Thomas Hessel hinfiebert. Dessen Zynismus, den man in der Ich-Erzähler-Perspektive serviert bekommt, ist bitterböse und sehr raumeinnehmend.

„Die Händler, die auf grob zusammengezimmerten Tischen Sandalen, Obst und durchnässte Backwaren anbieten, stehen bis zu den Knöcheln im Schlamm, und ich kann förmlich sehen, wie sich haufenweise Parasiten in ihre Füße bohren. Aber das ist kein Problem, denn am Ende der Regenzeit schneiden belgische Medizinstudenten, die einer NGO 1.000 Euro für dieses Praktikum zahlen, die Viecher begeistert wieder heraus. Wir sind nun mal alle Teil einer langen Wertschöpfungskette.“

So etwas muss man mögen, denn ansonsten ist das Angebot leider etwas dünn. Hessels Charakter ist zwar intelligent und auch durchaus witzig und keinesfalls unreflektiert. Er durchläuft aber keine nennenswerte Entwicklung, mit Lesererwartungen wird nicht gebrochen. Auch die anderen Figuren sind eindimensional und etwas farblos. Sprachlich ist „Greenwash, Inc.“ aber solide und liest sich angenehm flüssig. Man nimmt Hessel seinen arroganten Duktus ab, manche sprachliche Bilder wirken jedoch übertrieben und aus Hessels Mund unpassend dick aufgetragen:

„Ich bin so überrumpelt, dass ich etwas Champagner auf dem Boden verschütte. Die Tropfen stieben auf dem frisch polierten Parkett auseinander wie ein Schwarm Sardinen bei einer Raubfisch-Attacke.“

     Eine „Gegenwartsdiagnose“ nennt Flender selbst seinen Roman. Die Frage bleibt, ob er der Wirtschaft unethisches Handeln oder uns Verbrauchern Oberflächlichkeit diagnostiziert. Sein Thomas Hessel wird zum menschgewordenen Schreckensprodukt eines ganzen Lifestyles. Trotz Überspitzung bleibt Flender dabei dennoch erschreckend realistisch und gießt Öl ins Feuer aller Skeptiker, die im Bio-Lifestyle schon immer mehr persönliche Profilierung als Umwelt- oder Nächstenliebe vermuteten. Ob Zynismus der fruchtbarste Ansatz ist, darüber lässt sich streiten.

„Shop the fucking planet green.“

dürfte nach dieser Lektüre dennoch ein bisschen weniger Spaß machen.


Karl Wolfgang Flender: Greenwash, Inc.
Roman.
DuMont 2015.
392 Seiten. Gebunden.
19,90 €

#litmas: Zum 2. Advent verlosen wir – mit freundlicher Unterstützung des Dumont-Verlags – ein Exemplar des Romans. Um an der Verlosung teilzunehmen, müsst ihr einfach bis zum 12.12., 24.00 Uhr den dazugehörigen Post auf unserer Facebook-Seite liken oder ihr schickt eine Mail mit dem Betreff „Gewinnspiel 2. Advent“ an redaktion@litaffin.de. Viel Glück!

Anna Neubauer
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