Frankfurter Buchmesse 2019: „the dream we carry“

Mit der Frankfurter Buchmesse hat letzte Woche das jährlich wichtigste Event der Buchbranche stattgefunden. Wie jedes Jahr ein wahres Großereignis, ein Höchstmaß an Hysterie, Chaos und Massenauflauf, aber auch eine Feier der Freundschaft und des Zusammenhalts in einer kleinen, global vernetzten Branche und eine Hommage an die Fantasie und die Macht der Worte. Mittendrin im Gewusel und mit offenen Ohren für euch dabei waren die Litaffin-Redakteurinnen Eileen und Lena!

Frankfurter Messegelände von oben © Eileen Schüler

Velkommen

Fjorde, Berge, Kälte – das verbindet man zuerst mit Norwegen, doch das skandinavische Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse hat vom 16. bis 20. Oktober bewiesen, dass es auch viel(-fältige) Literatur zu bieten hat. Besonders viel Raum wurde in mehreren Lesungen und Gesprächsrunden vor allem einem Thema eingeräumt: der Meinungsfreiheit.

Lesung im Rahmen des Ehrengastlands Norwegen auf der Frankfurter Buchmesse 2019 © Lena Stöneberg

Norwegens Gastauftritt stand in diesem Jahr unter dem Motto „the dream we carry“. Diese Zeile entstammt dem Gedicht Is That Dream von Olav H. Hauge. Ein Leitspruch, der die Messe in traumwandlerische Züge hüllt und an die in der Literatur beheimateten Ideale und Potenziale erinnert.

Auch wenn Norwegisch in der Welt der Übersetzung zu den kleinen Sprachen zählt, stehen uns auf dem deutschen Markt eine ganze Menge Titel zur Verfügung. 2018 wurden von NORLA (Norwegian Literature Abroad) 639 Bücher in 45 Sprachen gefördert. Von Klassikern wie Henrik Ibsen oder Sigrid Undset bis zu gegenwärtigen Schriftsteller*innen wie Kjersti Annesdatter Skomsvold oder Jo Nesbø lässt sich viel entdecken.

Eindringlich kritisiert Elif Shafak auf einer Podiumsdiskussion, dass seit 2016 Menschen auf der ganzen Welt wieder in der Position sind, um ihre Meinungsfreiheit kämpfen zu müssen.

Freiheit für das Wort

Journalist Deniz Yücel über seinen Roman „Agentterrorist“ © Nadine Bohland

Weltweit sitzen ca. 300 Journalist*innen im Gefängnis, nur weil sie ihrer Arbeit nachgehen und kritische Berichterstattung betreiben. Der Journalist Deniz Yücel war von 2017 bis 2018 im Hochsicherheitsgefägnis Silivri Nr. 9 inhaftiert. Auf der Messe stellte er sein Buch „Agentterrorist“ vor, in dem er seine zehnmonatige Haftzeit beschreibt: „Die Tür geht zu und die Welt da draußen geht weiter.“ Er habe Angst gehabt, vergessen zu werden, sagt Yücel. Doch das war nicht der Fall, denn in Deutschland zeigten die Menschen eine große und überwältigende Solidarität mit dem Türkei-Korrespondenten der Welt. Die „Free Deniz“-Kampagne sorgte für gewaltige Medienaufmerksamkeit. „Ich war nicht darauf aus, ein Posterboy zu werden“, so Yücel, aber „ein Jahr mit Solidarität war gut für mich, besser als vergessen zu werden.“ Durch diese Kampagne wurde der deutschen Bundesregierung die Dringlichkeit zu handeln klar vor Augen geführt. Schließlich sorgte sie für die größte Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen. „Wenn es um Wirtschaftsinteressen geht, dann wird sich um das Problem gedrückt“, äußerte sich Alexander Skipsis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. Es sei wichtig, laut zu sein, um Druck auf die Politik auszuüben, die sich in solchen Fällen bloß in stiller Diplomatie verhalte.

Ein weiteres, hochbrisantes Beispiel bildet in dieser Sache der Verleger und Menschenrechtler Ragıp Zarakolu. Er konnte aufgrund eines laufenden Auslieferungsgesuchs der türkischen Regierung nicht zur Frankfurter Buchmesse anreisen. Das Bundeskriminalamt (BKA) konnte für seine Sicherheit nicht garantieren.

Was kann und darf Literatur?

Deutscher Buchpreis 2019 für Saša Stanišić „Herkunft“ © Eileen Schüler

Der Deutsche Buchpreiträger 2019 hatte während der Messetage wohl die meisten Termine und wurde nicht müde seine Sympathie zu versprühen. Saša Stanišić las unter anderem auf dem blauen Sofa auf mitreißende Weise aus seinem neuen und nun ausgezeichneten Buch „Herkunft“ vor. Darin erzählt der Autor von seiner Flucht aus Bosnien, von seiner Familie und davon, wie es sich anfühlt, in verschiedenen Heimaten zu leben. Auch wenn seine Geschichte deutliche autobiografische Züge aufweist, unterstrich Stanišić: „Literatur kann und darf Fiktion schaffen“, denn niemals könne er den Schmerz adäquat in Sprache übersetzen. Sein Roman gibt sich dem Schwanken zwischen den Polen Humor und Traurigkeit hin.

Stanišićs Dankesrede bei Erhalt des Deutschen Buchpreises, in der er sich gegen den aktuellen Literaturnobelpreisträger Peter Handke aussprach, hat mittlerweile ein starkes Medienecho angestoßen. Es fielen Schlagwörter wie „Wutrede“ oder „Abrechnung mit Peter Handke“. Als die Moderatorin ihn darauf ansprach, erwiderte Stanišić: „Ich trage eine Erschütterung in mir als Wut.“ Handke sei einen Weg gegangen, den er nie gehen würde. Wütend sei er nur auf die Gewichtung und die Ignoranz der Aussagen von Handke. Allerdings begrüße er, dass sich nun Gespräche über Wirkmacht und Möglichkeiten von Literatur entwickelten.

„Literatur findet nicht nur zwischen den beiden Buchdeckeln statt.“

Berit Glanz auf der Leseinsel der Unabhängigen Verlage mit ihrem Debütroman „Pixeltänzer“ © Eileen Schüler

Bunt, laut und immer etwas aus der Reihe tanzend, sind die Unabhängigen Verlage in Halle 4.1. Dort stellte Berit Glanz auf der Leseinsel ihren Debütroman „Pixeltänzer“ vor. Der Text dreht sich um die Protagonistin Beta (eigentlich Elisabeth), die in einem Berliner Start-up arbeitet. Da Beta eine sehr neugierige Person ist, probiert sie eine App aus, über die sie von einem Fremden mit einer Maske als Profilbild kontaktiert wird. Ein Abenteuer beginnt, als sie sich auf die Suche nach dem Fremden macht und bei ihren Recherchen in die Zwanzigerjahre eintaucht.

„Das klingt so abgefahren – Start-up-Szene und dann sind da auch noch die Zwanziger“, lachte Glanz. Ihre Lesung hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Berit Glanz ist außerdem sehr aktiv auf Twitter und betonte: „Literatur findet nicht nur zwischen den beiden Buchdeckeln statt.“ Diese Überzeugung hat sie in ihr Buch übertragen: Am Anfang eines jeden Kapitels befinden sich Links, die ihre Leser*innen im Internet eingeben und so zwischen gedruckter und digitaler Welt hin- und herspringen können.

Eine andere Herangehensweise und nicht minder einfallsreich zeigt der Kiepenheuer & Witsch-Verlag mit seiner neuen Reihe, der KiWi Musikbibliothek: Sie wollten die Liebe zur Musik und die Liebe zur Literatur zwischen zwei Buchdeckeln vereinen. Anja Rützel, Sophie Passmann und Thees Uhlmann präsentierten auf charmante und witzige Art ihre Bücher.

KiWi Musikbibliothek mit Anja Rützel, Sophie Passmann und Thees Uhlmann © Eileen Schüler

„Die Toten Hosen gehören zu meiner Ursuppe“, sagt Uhlmann. Er habe die Band persönlich kennengelernt und sie würden sich auf das Buch freuen. Für Sophie Passmann dagegen hat Frank Ocean der Welt das beste Album überhaupt geschenkt und sie würde es eine Stunde lang auf ihrer eigenen Beerdigung spielen lassen. Und Anja Rützel würde ihre Mitmenschen gern mit der Musik von Take That umerziehen bzw. inspirieren.

Work hard, play hard

Buchmesse-Standort Frankfurt am Main bei Nacht © Eileen Schüler

Nach einem anstrengenden und erlebnisreichen Tag auf der Messe verschwanden Büchernerds aber nicht nur zwischen den Seiten eines guten Buches, sondern auch auf einem der zahlreichen Events und Partys, wo weiter getanzt und genetzwerkt wurde. So zum Beispiel bei der Veranstaltungsreihe #pubnpub, organisiert von der digitalen Plattform Orbanism, die zu einem entspannten Plausch in einer Bar mit Wohnzimmeratmosphäre einlud. Beim gemütlichen Essen und Trinken traf sich hier der Nachwuchs der Jungen Verlagsmenschen zum Austauschen und im Literaturhaus Frankfurt bebte auf der Party der Unabhängigen Verlage bis spät in die Nacht der Tanzboden.

Oh Frankfurt, du hast uns mal wieder ein paar herrliche Tage im Ausnahmezustand beschert!

Lena Stöneberg

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