Verschlag Verlag

Im Gespräch mit dem Verschlag Verlag

Eine Handvoll junger Menschen hat Bock auf junge Literatur, also gründen sie einen Verlag. Das geschieht ausnahmsweise mal nicht in Berlin, sondern in Göttingen. Dort sitzt der Verschlag Verlag seit 2016, vor kurzem ist hier Steffen Bachs Debüt ist es eine ebene? erschienen. Im Interview mit Litaffin erzählen die Ver(sch)lagsmenschen, warum sie so viel Spaß am Büchermachen haben, wie sie über den Literaturbetrieb in Deutschland denken, wie eine Lesung mit Berliner Luft funktioniert (oder auch nicht) und was uns in Zukunft vom Verschlag Verlag erwartet.

Verschlag Verlag
Der Verschlag Verlag: (v.l.n.r.) Christoph von Borell, Steffen Bach, Joscha Röhrkasse, Maximilian Meier und Henry Riechers (nicht auf dem Foto, aber auch dabei: Mara Becker) | Foto: © Verschlag Verlag

Seit wann gibt es den Verschlag Verlag schon und wer seid ihr eigentlich?

Christoph von Borell: Der Verschlag Verlag wurde 2015 von mir in Leipzig gegründet, lag zwischendurch ein bisschen brach und hat mit meinem Umzug nach Göttingen wieder Fahrt aufgenommen. Dank toller Menschen. Ich habe nach meiner Ankunft in Göttingen 2016 mit einem kleinen Aufruf nach Leuten gesucht, die mitmachen wollen und da haben sich zum Glück einige gemeldet. Es gab ein bisschen Fluktuation bei den Leuten, die mitwirken – an dieser Stelle nochmal vielen Dank an alle, die dabei waren. Aktuell mischen mit: Joscha Röhrkasse, Henry Riechers (der obligatorische Berlinkorrespondent), Steffen Bach, Maximilian Meier, Mara Becker und ich.

Woher kam die Idee zur Gründung?

Christoph: Hauptantrieb waren wohl zwei Klassiker der Rubrik „Mutproben, Delinquenz und Verlagsgründungen“: Langeweile und mangelnde Ausgeglichenheit. Mir hat eine gestalterische Seite in meinem Leben gefehlt und da ich schon mal im Sujet Verlag Bremen gearbeitet habe und das in guter Erinnerung hatte, dachte ich mir wohl: „Warum nicht?“. Das Schöne an einem Verlag ist, dass man sehr viel Gestaltungsmöglichkeiten hat. Ich glaube, das macht uns allen einfach viel Spaß. Was vielleicht auch zur Gründung beigetragen hat, ist, dass mir die meisten Verlage häufig eine Spur zu ernst und konservativ auftreten, mit einem austauschbaren Jargon, hinter dem die wirtschaftlichen Interessen des Verlags durchschimmern. Es liegt uns schon am Herzen, dass die künstlerische Ebene nicht völlig eindampft, sobald der Buchrücken der aktuellen Titel zugeklappt wird.

Du erwähntest den Sujet Verlag. Auf eurer Verlagswebsite ist zu lesen, dass ihr ein Imprint des Bremer Verlags seid. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen euch und dem Sujet-Team ab?

Christoph: Ja, genau. Ursprünglich waren wir wirtschaftlich eigenständig, aber die Notar*innen haben ständig ihren Rachen ganz weit aufgemacht und die Anrufe vom Finanzamt häuften sich. Irgendwann wollten wir uns das nicht mehr geben und haben bei Sujet nachgefragt, ob wir nicht das wirtschaftliche Getose dort langlenken können. Inhaltlich haben wir aber weiterhin Narrenfreiheit. Und wir drucken unsere Bücher über Sujet.

Steffen Bach: Als ich im Sommer 2016 meine Rohtexte, die jetzt zur „Ebene“ geworden sind, an den Verschlag Verlag geschickt habe, waren die bürokratischen Hürden immer noch ein großes Thema in den Teamsitzungen, bei denen ich wegen der Buchplanung dabei war. Es ging um Beurkundungen von Firmenunterlagen, Steuernummern und so weiter. Seit das alles über den Sujet Verlag laufen kann, hatten wir deutlich mehr Zeit, uns mit der kreativen Arbeit zu beschäftigen. Das Lektorat, die Auswahl der Texte, die Papierauswahl, die Schriftarten, all das habe ich immer mit dem Verschlag-Team besprochen, von Sujet aus gibt es da keinerlei Vorgaben. Als es dann konkret in den Druck ging, sind Christoph und ich für einen Tag nach Bremen gefahren, um Probedrucke zu machen. Dabei stand uns Sujet-Verleger Madjid Mohit dann schon zur Seite, weil er natürlich viel mehr Erfahrung hat mit den praktischen Sachen.

Es liegt uns schon am Herzen, dass die künstlerische Ebene nicht völlig eindampft, sobald der Buchrücken der aktuellen Titel zugeklappt wird.

Das Ergebnis, dein Debüt ist es eine ebene?, kann sich auch wirklich sehen lassen. Dieser schmale Band ist alles andere als ernst und konservativ. Vielmehr probiert sich hier einer aus. Das Endprodukt ist erfrischend unkonventionell. Wie sucht ihr eure Autor*innen aus?

Henry Riechers: Erfrischend und unkonventionell, dankeschön! Das tätowieren wir uns vielleicht auf die Website. Dieser Eindruck könnte wahrscheinlich so nicht zustandekommen, wenn wir das Buch auf Teufel komm raus so hätten aussehen lassen wollen. Letztendlich profitiert Steffens Band am Ende auch davon, dass wir alle bislang relativ unerfahren sind, was das Büchermachen angeht. So können wir vielleicht noch einen Tacken unbelasteter von der harten Realität eines konventionellen Buchmarkts oder professioneller Verlagsarbeit dem hinterhergehen, was sich irgendwie richtig, cool, witzig, dreckig oder geschmeidig anfühlt.
Steffen ist irgendwann mal auf uns zugekommen mit einer Mappe voller Gedichte und Erzählungen unterm Arm, einem Käppi auf dem Kopf und noch mit Pseudonym. Vieles davon war schon ganz gut so, ein paar Sachen weniger, in anderem schlummerte noch unerforschtes Potenzial. Und was ich besonders gut beim Sichten fand, war, dass alle Texte danach schreien: Ich bin Steffen! 
Der Verschlag Verlag orientiert sich in der Auswahl seiner Autor*innen nicht an einem ausgefeilten programmatischen Leitfaden, sondern viel mehr an so einer Lust, ein Buch unbedingt machen zu wollen und mit warum auch immer spannenden Personen zusammenzuarbeiten. Das kann ja alles sein. Dabei versteht sich aber auch von selbst, dass da vom Charakter her jetzt nicht unbedingt das letzte Arschloch auf der anderen Seite steht.

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Steffen Bach mit seinem Erstlingswerk ist es eine ebene? | Foto: © Verschlag Verlag

Ihr geht also eher spielerisch und experimentierfreudig an die Gestaltung eures Programms heran. Das ist sehr löblich, vor allem in Zeiten, in denen Verlage ihre Titel auch aus wirtschaftlichen Gründen auswählen. Wie sieht es da bei euch aus? Ist der Verlag eher Hobby oder würdet ihr euch wünschen, in ein paar Jahren von den Einnahmen leben zu können?

Joscha Röhrkasse: Christoph hat den Verschlag Verlag damals in Leipzig primär als Hobby gegründet und als er dann mit dem Projekt nach Göttingen kam, behielt der Verlag tatsächlich auch seinen Hobby-Charakter, was insbesondere daran abzulesen ist, dass wir im Endeffekt alle unsere Freizeit investieren, um beispielsweise ein Buch wie das von Steffen zu produzieren. Unabhängig von der finanziellen Seite aber bietet der Ver(sch)lag einen sehr ausdifferenzierten und individuellen Mehrwert für jeden von uns, wodurch er zu einer Art Lernwerkstatt (und Sprungbrett) für junge Autor*innen, Lektor*innen, Buchdesigner*innen und Kulturveranstalter*innen wird. Wir können uns, denke ich, alle eine Zukunft im Literaturbetrieb vorstellen und die gestalterische Freiheit im Ver(sch)lag erlaubt es uns natürlich auch davon zu träumen, dass unsere Arbeit irgendwann (mit Cash) entsprechend gewürdigt wird.
Realistisch gesprochen planen wir also eine umfassende Übernahme des internationalen Buchmarktes mit Monopolstellung des Verschlag Verlages bis spätestens 2045.

Steffen: Ich persönlich sehe das Schöne am Verschlag Verlag gerade darin, dass wir einen Fick geben können auf die Funktionsweise des ach so wichtigen Literaturbetriebes und einfach geilen Scheiß machen, der uns gefällt.
Der „Mehrwert“ am Verschlag Verlag ist für mich also weniger, dass er ein Sprungbrett in den Kulturbetrieb sein könnte, als vielmehr dass er ein Ventil gibt für all die kreative Energie in mir, die sich bahnbrechen kann, ohne dass ein Chef mir sagt: „Ja, Herr Bach, sieht gut aus, aber machen sie das mal lieber so.“
Also ganz persönlich halte ich mir offen, einfach jetzt grade seltsamen Scheiß zu machen, der mir gefällt und dann eben in ein paar Jahren halbtags als Grundschullehrer zu arbeiten und mich zu freuen, dass ich meine kreativen Sachen nur für mich mache und mich nicht irgendeinem Betrieb unterwerfe, der mir sagt, was grade ökonomisierbar ist und was nicht. Es ist ja ohnehin kaum vorstellbar, vom Lyrikschreiben leben zu können.
Ein kurzer Traum vom nicht-kapitalistischen kreativen Arbeiten also, ermöglicht durch die Finanzierung durch meine Eltern und die Lücken, die das Philologiestudium für eigene Projekte lässt.

Joscha: Klar. Deshalb habe ich ja auch gesagt, dass die Motivation sowie der persönliche Mehrwert für jeden von uns sehr unterschiedlich sein können. Ich z.B. sehe den Verschlag nämlich durchaus auch als Sprungbrett und fände es fetzig, wenn wir das freie Konzept beibehalten könnten und trotzdem irgendwann genug Grundlage und Reichweite hätten, um als Big Player durch die Turnhalle des Literaturbetriebs zu hüpfen. Ich plane ja z.B. auch nicht Lehrer zu werden, sondern möchte alles daran setzen, mir ein Leben als professionell Schreibenden zu ermöglichen.

Ich persönlich sehe das Schöne am Verschlag Verlag gerade darin, dass wir einen Fick geben können auf die Funktionsweise des ach so wichtigen Literaturbetriebes und einfach geilen Scheiß machen, der uns gefällt.

Ihr seid ja alle auch noch recht jung, aber führt schon euren eigenen Verlag. Auf welche Erfahrungen könnt ihr dabei zurückgreifen?

Joscha: Christoph hat ja bereits vor der Verlagsgründung ein Praktikum beim Sujet-Verlag in Bremen gemacht, das ihm einige Einblicke in die Verlagsarbeit gewährt hat, und Henry scheint derzeit in Berlin den Kaffee durch alle wichtigen Verlage zu schubsen.
Was die Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsplanung anbelangt, ist „learning by doing“ und manchmal etwas Abgucken angesagt. Das klappt mal gut, mal weniger gut. Ich denke da an eine Lesung, bei der wir es spaßig fanden auf der Bühne zu frühstücken und Berliner Luft zu trinken, was sich dem Publikum, wie wir später feststellten, nicht wirklich erschließen wollte – weder künstlerisch noch humoristisch. War trotzdem lustig!
Um „gute“ Texte erkennen oder auswählen zu können, müssen wir vor allem viel lesen, was bei einem literaturwissenschaftlichen Studium (Steffen, Henry, Mara und ich) ohnehin notwendig ist. Auch das Korrektorat ist mit dem Deutsch-Studium im Rücken vermutlich leichter durchzuführen. Max hat in der Hinsicht auch schon viel Erfahrung gesammelt, weil er zwar nicht Deutsch studiert, aber seit zwei Jahren die Prisma mitherausgibt, die für die kommende Ausgabe Texte von 101 Autor*innen zugesandt bekommen hat.

Und welche Hürden gilt es für euch als junge Verleger*innen zu meistern?

Christoph: Für mich immer noch bürokratische Altlasten. Die Gründung einer Kapitalgesellschaft verbunden mit einer Ach-wird-schon-Mentalität war und ist „learning the hard (expensive) way“. Der Buchmarkt erschließt sich auch nicht im Vorbeigehen, aber ansonsten ist das alles Spaß bislang.

Henry: Der Spaß an der Sache liegt für mich auch so ein bisschen darin, dass wir – selbst wenn ein etwas starrer Buchmarkt uns hier und da die ein oder andere Hürde vor die Füße knallt – einfach versuchen können, unter ihnen durchzukriechen anstatt bei jeder Kleinigkeit mitzuspielen und zu springen. Wäre auch viel zu anstrengend.
Wirklich spannend beginnt es ja in dem Moment zu werden, wo uns gar nichts anderes übrig bleibt als total naiv und pragmatisch mit dem umzugehen, was wir haben. Wer kennt irgendwen über wie viele Ecken, die dieses und jenes macht oder kann oder hat oder veranstaltet? Wäre doch cool, da einfach mal anzuklopfen, oder? Und dann schaut man halt, was passiert. So in der Art ist z.B. letztens eine kleine Lesereise durch die Nordmetropolen Bremen, Hamburg und Hannover entstanden. Und auf einmal steht man ganz unerwartet in so einem gut versteckten Hinterhof-Atelier, wo ansonsten alles stattfindet, aber bestimmt keine Lesungen, und ist total happy. Oder etwas wie das Interview hier kommt zustande. Ich finde das super.

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Eine Ver(sch)lagslesung mit Henry und Joscha | Foto: © Verschlag Verlag

Viele deutsche Verlage, unabhängige Lesereihen und junge Autor*innen versammeln sich in Berlin. Da fällt es unglaublich leicht, sich in der „Szene“ zu vernetzen. Wie macht sich denn Göttingen so als Ver(sch)lagsstandort?

Steffen: Göttingen ist natürlich winzig klein und nicht im Ansatz vergleichbar mit dem Literaturstandort Berlin. Für mich finde ich das ganz schön, weil ich so dosieren kann, wie viele krasse verrückte Kunstmenschen Berliner Prägung ich treffe, also wann ich zu Events in die Großstädte fahre und wann nicht. Oft habe ich nach solchen Zusammenkünften das Gefühl, alle sind so überzeugt von sich und dem, was sie tun, und ich mache nur so kleine unwichtige Sachen, die eh keine Berechtigung haben. Da tun dann ein paar Wochen Göttingen ganz gut, um wieder Mut zu fassen und weiterzumachen. Dass es hier überhaupt Menschen gibt, die sich für Literaturselbermachen interessieren, ist natürlich ein großer Schatz. Und ein Vorteil der Kleinheit ist außerdem, dass man alle (wenigen) Lesungen mit jungen Schriftsteller*innen, die es so gibt, mitnehmen kann und nie etwas verpasst!

Mara Becker: Außerdem ermöglicht die Überschaubarkeit von Göttingen, dass man findet, wenn man sucht – wenn es zwei, drei Anlaufpunkte gibt, die das literarische Treiben der Stadt bestimmen, dann treffen sich dort zwangsläufig alle, die interessiert sind. Klar ist Literatur in Göttingen hauptsächlich durch Institutionen wie den Literaturherbst und das Literarische Zentrum geprägt, aber das macht halt umso spannender, dass Projekte wie der Verschlag Verlag hier Fuß fassen können und  Zuspruch finden.

Realistisch gesprochen planen wir also eine umfassende Übernahme des internationalen Buchmarktes mit Monopolstellung des Verschlag Verlages bis spätestens 2045.

Was erwartet uns in naher Zukunft vom Verschlag Verlag?

Steffen: Viele lustige neue Sticker! Unter anderem, jedenfalls. Ansonsten haben wir grade einen Band mit seltsamen Geschichten eines sehr aufstrebenden norddeutschen Autors im Lektorat, dazu noch einen Roman aus Eigenzüchtung, und unsere Lyrik-Heftreihe, in der bislang gluta-mate von Henry Riechers erschienen ist, soll auch Nachwuchs erhalten. Also, stay tuned!

Zum Schluss kommt noch eine wohl viel zu oft gehörte Frage, aber es interessiert mich einfach: Welche Bücher liegen denn bei euch gerade auf dem Nachttisch?

Steffen: Zunder von Ulrike Almut Sandig.

Henry: geschmacksverstärker von Thomas Kling und Paul Austers New-York-Trilogie.

Maximilian Meier: Schreckliche Gewalten von Jakob Nolte.

Christoph: für die fisch von Jopa Jotakin und Die Erfindung der RAF durch einen manisch-depressiven Teenager von Frank Witzel.

Joscha: I Love Dick von Chris Kraus und Unendlicher Spaß von David Foster Wallace.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier seht ihr noch, wo und wann ihr die Ver(sch)lagsmenschen als nächstes live erleben könnt:

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