Julia Zejn, Drei Wege (avant-verlag 2018) © Angie Martiens

From Panels with Love #13: Hundert Jahre – Drei Wege

Julia Zejns Graphic-Novel-Debüt „Drei Wege“ erzählt mehr als nur drei individuelle Geschichten: Sie erzählt auch von gesellschaftlicher Entwicklung in 100 Jahren, in 3 Generationen.

Julia Zejn, Drei Wege (avant-verlag 2018) © Angie Martiens
Julia Zejn, Drei Wege (avant-verlag 2018) © Angie Martiens
Hundert Jahre

Am 12. November 2018 können wir in Deutschland das hundertjährige Jubiläum der Ausweitung des Wahlrechts auf die weibliche Bevölkerung feiern. YAY!!! Dass am 12. November 1918 dieses demokratische Grundrecht endlich auch Frauen zugestanden wurde, war ein langer Kampf, für den sich viele Frauenrechtlerinnen eingesetzt haben (hier ein Link zu Geschichte dieses Ereignisses). Seit 1918 ist viel Zeit vergangen – drei Generationen. Julia Zejn erzählt in ihrer Graphic Novel Drei Wege von eben jenen drei Generationen, von drei Frauenleben im Abstand von jeweils fünfzig Jahren.

Drei Wege
Idas Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag
Idas Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag

Ida ist 1918 – dem letzten Jahr des ersten Weltkrieges – eine junge unverheiratete Frau, die bei einer wohlhabenden Berliner Familie dient. Während es Ida in ihrer Dienstfamilie materiell verhältnismäßig gut geht, herrschen um sie herum Armut und Verzweiflung und es bahnt sich die Novemberrevolution an, die zum Ende des Kaiserreichs und auch zur Einführung des Wahlrechts für Frauen führen wird.

Marlies ist 1968 eine junge Frau, die bei ihren spießbürgerlichen und faschistisch erzogenen Eltern in West-Berlin wohnt. Sie arbeitet in einem Café, träumt jedoch eigentlich vom Leben als Buchhändlerin. Es ist die wilde Zeit der Student*innenproteste ’68, in die die ruhige und zunächst schüchterne Marlies hineingerät, ohne ganz dazuzugehören.

Marlies Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag
Marlies Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag

Selin ist 2018 eine junge Frau am Ende des Abiturs, die sich überlegen muss, wohin ihr Lebensweg nun gehen soll. Ihre beiden besten Freund*innen scheinen das schon genau zu wissen und auch ihre Single-Mutter hat sich selbst als Yogi und Food-Bloggerin noch einmal neu gefunden. Der Druck der Selbstdarstellung packt hier jede*n auf seine*ihre eigene Weise.

Erzählerische Zusammenführung

Die drei Geschichten werden parallel erzählt. Wir folgen den Charakteren immer nur für eine Sequenz, um dann fünfzig Jahre in der Zeit zu springen und die nächste Figur wieder ein Stück zu begleiten. Die Ahnung einer narrativen Zusammenführung der drei Leben schwingt von Beginn an mit, schließlich ist es ein altes Motiv, drei Erzählstränge wie einen Zopf miteinander zu verflechten. Letztlich eröffnet sich die Zusammenführung erst am Ende des Buches und gestaltet sich dann leider etwas unspektakulär.

Selins Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag
Selins Weg. Julia Zejn, Drei Wege, 2018 © avant-verlag
Visuelle und thematische Verflechtung

Deutlich interessanter ist die Art und Weise, wie Zejn die Geschichten thematisch und visuell miteinander verbindet: Die Bildgestaltung der einzelnen Erzählstränge greift immer wieder Elemente der vorhergingen bzw. nachfolgenden Geschichte auf, wodurch smoothe Übergänge zwischen ihnen entstehen. Gleichzeitig werden die drei Wege jeweils durch eine andere Grundfarbe voneinander getrennt: Ida ist in einem verblassten Beige gehalten, das an vergilbte Fotos erinnert und daher besonders gut zu der Erzählung aus den 1910er Jahren passt; von Marlies wird mit einem blassen Rosé erzählt, dass farblich wunderbar die altbackene und spießbürgerliche Atmosphäre ihres Lebensumfeldes widerspiegelt; Selins Geschichte hingegen ist in einem kühlen blaugrün gehalten, das zu ihrer coolen und abgeklärten Generation passt.

Zejn beleuchtet immer wieder neue Lebensaspekte: die Frage, wie und unter welchen Bedingungen gewohnt wird, ebenso wie die Frage, wie Liebesbeziehungen gestaltet werden oder die Frage, wie und für wen Verantwortung übernommen werden muss. Indem wir zwischen den drei Figuren hin und her springen, eröffnet sich der Vergleich zwischen den drei Frauenleben und zeigt wie sich die verschiedenen Lebensaspekte für sie ganz unterschiedlich ausgestalten. So wird der Blick auch für soziokulturelle Veränderungen freigelegt. Zwischen Idas und Selins Welt haben sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen deutlich verändert, ebenso wie die Lebensbedingungen. Ohne dass das Thema des Feminismus bzw. des Geschlechterverhältnisses hier explizit thematisiert werden würde, wird doch auch automatisch von einem Wandel des Frauenbildes erzählt.

Zeitgeschichte statt Einzelgeschichte
Drei Wege. Julia Zejn, 2018 © avant-verlag
Drei Wege. Julia Zejn, 2018 © avant-verlag

Besonders gelungen ist eine Sequenz, die aus dem Erzählmuster herausfällt: Zejn stellt über vier Seiten hinweg fragmentarisch einzelne Alltagsschnipsel der drei Protagonistinnen nebeneinander. Hier wird keine Handlung vorangetrieben, sondern vielmehr die Bedeutung bestimmter Alltagsaspekte für die einzelnen Personen herausgestellt: Ida schrubbt die fremde Wäsche, neben einer Marlies als Kellnerin mit Serviertablett im Arm, neben einer Selin, die ihrer Katze gerade das Futter nachfüllt – eine Gegenüberstellung, wer hier für wen dient und arbeitet. Ein weiteres Beispiel: Ein Panel zeigt Marlies, wie sie mit einem Fotoapparat von ihrem Freund fotografiert wird; daneben das Panel von Selins Smartphone mit Selfies; daneben ein repräsentatives Gruppenbild von Ida mit ihrer Dienstfamilie, das extra von einem Fotografen mit großer historischer Standkamera geschossen wird – die technische Entwicklung der Fotografie in hundert Jahren. Es sind wohlüberlegte Szenerien, die hier in ihrem Nebeneinander wirken.

Schade ist jedoch, dass die gegenwärtige politische Situation Deutschlands unbelichtet bleibt. Vielleicht lässt sich darin die Spiegelung der so oft heraufbeschworenen entpolitisierten, nur um sich selbst kreisenden Generation erkennen. Gerade weil Drei Wege die Kriegsthematik 1918 sowie die Studierendenproteste 1968 aufgreift, wäre es jedoch nur konsequent gewesen, auch gegenwärtige Konflikte aufzunehmen und sei es nur als Reflexe am Rande der Erzählung. So erscheint die erzählte Gegenwart doch allzu sehr als heile Welt, in der Selbstfindung, Selbstoptimierung und Ernährungsfetische die zentralen sozialen Phänomene darstellen.

Fazit

Ich war zunächst etwas skeptisch, ob das Motiv drei Handlungsstränge miteinander zu verflechten spannend werden kann, wo es doch schon so oft ausgespielt wurde. Nun, Zejn hat diese Aufgabe fantastisch gemeistert, denn es gelingt ihr in Drei Wege nicht nur ganz nebenbei, die Entwicklung der Frauenrollen und -bilder mit zu thematisieren. Vor allem hat sie die zeichnerischen Möglichkeiten klug genutzt, um Geschichten und Themen miteinander zu verbinden, ohne dies explizit mit Worten auszudrücken. In Hinblick auf eine Reflexion politischer Entwicklungen hätte der Band jedoch noch mehr Potenzial gehabt.

 

Am 29. November 2018 präsentiert Julia Zejn ihr Comicdebüt übrigens in Berlin und am 09. Dezember 2018 auch in Leipzig.

 

Julia Zejn: Drei Wege
Avant-verlag, 2018.
Angie Martiens
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