Vom Sprechtext zum Debütroman: Zwei Rezensionen

Die Frage, ob Spoken Word und gedrucktes Wort miteinander vereinbar sind, hat die Poetry Slam Szene in den letzten Jahren vielfach diskutiert und häufigst fröhlich bejaht. Etliche Bühnenpoeten haben ihre Sprechtexte mittlerweile veröffentlicht – und gezeigt, dass ihre Texte auch ohne Performance ein Publikum finden. Immer wieder haben einzelne Performer auch die Großform der Erzählung, den Roman gewagt, so wie jetzt auch Xochil A. Schütz und Mirco Buchwitz.

Beide wissen auf der Bühne ihre Zuhörer in den Bann zu ziehen: Xochil mit einer Mischung aus zarter Romantik und derber Provokation, die ihren besonderen Ton ausmacht – mit „Sahne in der Stimme und Sex in den Zeilen“, wie die Presse über sie sagt. Mirco Buchwitz dagegen gilt als „intellektueller Rocker“, der in seinen Texten so präzise und melancholisch gewitzt beobachtet, dass es einen den Kneipenblues der Kleinstadt durch die Adern spült. Doch was passiert, wenn diese Autoren ohne Mikro und angeheitertes Publikum unterwegs sind? Schwarz auf weiß, gebunden, mit ISBN und Ladenpreis versehen?

Eher ein Romänchen als ein Roman ist Xochil A. Schütz‚ Debüt was ist, erschienen im Hamburger Independent-Verlag asphalt & anders. Mit 158 Seiten wiegt das Buch eher leicht, umso schwerer ist aber der Stoff, den die Autorin ihrer Ich-Erzählerin zumutet. Die knapp dreißigjährige Frau hat das Schlimmste in ihrem Leben überlebt: Ihre Kindheit, in der sie die willkürliche Wut des alkoholisierten Vaters über sich ergehen lassen musste, ebenso wie das ergebene Wegsehen der Mutter und die Schikanen der Schwester. Längst ist sie ausgezogen, hat ein abgeschlossens Studium, eine Arbeit, die sie erfüllt, einen Freund, den sie liebt. Doch ihre Seele ist immernoch beschädigt, ihr fällt es schwer zu sagen „Hier bin ich. Ich will“.

Ein beklemmender, sich ständige drehender Sog ist es, der einen in die Gedankenwelt dieser Frau zieht, die nicht weiß wohin mit ihrer Sehnsucht und ihrer Wut. Die sich von der Weihnachtsansprache im Fernsehen etwas Bedeutungsvolles erhofft, die irriert ist, wenn ihre Freund „Halbinnereien fremder Frauen“ auf dem Computer ansieht, die ein Kind möchte, obwohl es ihr Angst macht. Die als Kind zu Jesus gebetet hat, sie wolle sterben wie er: „Ich habe mir in bunten Mädchenfarben ausgemalt, wie das wäre, wenn ich sterben würde und mich dann alle einfach liebten und ehrten. Ich wäre etwas wert, wenn ich nur sterben würde. Dann habe ich geweint, geweint, so sehr wollte ich sterben. Ich bin dann aber nicht gestorben.“

Sätze wie Rillen in einer Eislaufbahn

Xochils Sätze sind wie Rillen, die Metallkufen in einer Eislaufbahn hinterlassen: Man stolpert hinein, bleibt in ihnen gefangen, fährt eine Runde und noch eine und noch eine. Ein vertrauter Sound ist das, den sie auf dem Papier entfaltet, hochrhythmisch und immer nah dran am gesprochenen Wort. Die einzelnen Kapitel sind kurz, beinahe Gedichte, und immer wieder funkelt lakonischer Witz durch die Zeilen, der der labilen Ich-Erzählerin Kraft und Würde verleiht.

Mindestens ebenso musikalisch, aber vom Ton her erzählerischer ist das Debüt von Mirco Buchwitz, erschienen im Aufbau Verlag. Auch er beschäftigt sich mit dem Thema Identität und Erinnerung, spannt dabei einen wesentlich größeren Bogen. Auf 333 Seiten bringt es sein Roman nachtleben und lässt damit Raum für eine sich nach und nach entfaltende Geschichte, die nach Bier vollgesogenen Tischplatten und Dezembernebel an einer abendlichen Autobahnraststätte riecht.

Der Ich-Erzähler heißt Richard, ist Mitte 30 und befördert fremde Frauen, neben denen er nach durchzechten Nächten gegen Mittag aufwacht, unsanft aus dem Bett. Er müsse zu seinen Eltern, ist seine Standardansage – eine Lüge, die ihm leicht über die Lippen geht, leichter zumindest als das, was tatsächlich passiert ist. Mit acht Jahren kam Richard in ein Kinderheim, da der überforderten Mutter das Sorgerecht entzogen wurde. Seitdem hat er weder sie noch seine jüngere Schwester Ingrid wiedergesehen, der Vater ist ein Unbekannter. Die Leere betäubt Richard mit Boxen im Keller vom alten Schmidt, durchzechten Nächten mit Kumpel Flavio und zwielichtigen Geschäften. An das Nicht-Nachdenken hat er sich so sehr gewöhnt wie an das Gelaber Betrunkener, die er als Türsteher ertragen muss. Doch dann, nach 25 Jahren Stille, kommt ein Anruf von Ingrid: Die Mutter liege in einem Schweizer Krankenhaus – ob er sie noch einmal sehen möchte?

Eigentlich sind es lauter Kurzgeschichten, die auch für sich stehen könnten, die Mirco geschickt miteinander verwebt. Bevölkert sind sie mit wunderbar zweischneidigen Figuren, wie etwa dem freundschaftlich-väterlichen Heimleiter, der die ihm Anvertrauten auf die richtige Bahn bringen möchte, jedoch selbst skrupellos wird, wenn es darum geht seine eigene Haut zu retten. Oder der Nigerianer Pete, der sich als politischer Flüchtling ausgibt, sich die vernarbten Hiebe auf dem Rücken aber selbst zugefügt hat. Auch Erzähler Richard bleibt ein zweifelhafter Zeitgenosse – ein „dummes Schwein“, wie es seine Schwester Ingrid schließlich ausspricht – und ist in seiner nicht in Worte zu fassenden Verlassenheit gleichzeitig so verständlich wie sympathisch.

Mit wenigen Strichen zu unglaublich dichten Atmosphären

Mit nur wenigen Strichen erschafft Mirco unglaublich dichte Atmosphären; seine Sätze sind Farbfotos, deren Grundton zwischen verblichenem Sepia und hartem Neongelb wechselt: Die verwahloste Wohnung der Mutter, der Hagebuttentee im Kinderheim, die Schlägereien in heißen, stickigen Großraumdiskos. Die Puzzleteile der nicht-chronologisch angeordneten Kapitel setzen sich nach und nach zusammen, ein Gespinst aus Lügen und  Halbwahrheiten, die Richard für sich und andere erzählt, getrieben von einer Frage, die längst schon Rost angesetzt hat, die aber nie ausgesprochen wurde.

Bühnenliteratur wird oft vorgeworfen, sie sei oberflächlich und Produkt eitler Nabelschau. Sie mache ihre Witze auf Kosten anderer und sei im Ton austauschbar. Für einige Möchtegernliteraten mag dies zutreffen.  Xochil A. Schütz und Mirco Buchwitz zeigen in ihren Debüts, dass es auch anders geht. Beide haben Erzählstimmen gefunden, denen man sich gerne anvertraut. Und sie zeigen eine Lust an der Sprache, die vom Auge direkt ins Ohr geht.

2 Kommentare zu „Vom Sprechtext zum Debütroman: Zwei Rezensionen“

  1. „Xochils Sätze sind wie Rillen, die Metallkufen in einer Eislaufbahn hinterlassen.“
    Schöner, treffender Satz. Von dir, Franzi, lese ich hier am Liebsten.

    Ich fand Schütz Protagonistin unemanzipiert. Ich wollte sie ständig schütteln. Sie schafft es, sich gegen ihre Eltrern zu behaupten, aber nicht gegen Otto-Normal-Freund.

    Beide Bücher lassen sich super vorlesen. Das Mündliche ist den Autoren nicht abhanden gekommen. Gott sei Dank.

    Noch mehr Versuche und Genreüberschreitungen: Buchwitz liefert zum Roman den Soundtrack gleich mit
    http://www.mircobuchwitz.de/buchwitz_nachtleben_soundtrack.html

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