Filmriss, Genitalhumor und Liebe
– in der lettrétage werden Texte junger Autoren diskutiert

Vor und mit dem Publikum über die eigenen Texte diskutieren und sich der Kritik stellen – kein Kinderspiel. Das wagten drei Autoren aus den Zentren der jungen deutschen Literatur Hildesheim, Leipzig und Berlin. In der Reihe außerbetrieb lud die die Berliner Lesebühne kreuzwort am Mittwochabend zum Workshop „Netzbetriebe Prosa“ in die lettrétage ein. Isabel Bredenbröker, Hakan Tezkan und Juan Gosze präsentierten ihre Texte.

Das Publikum besteht im Durschnitt aus 23-jährigen Germanistik-Studenten, die Stimmung ist locker bis angespannt-erwartungsvoll. Den Anfang macht Isabel Bredenbröker, die an der FU studiert und am Heiner-Müller-Autorenkolleg 2011 unter der Leitung Thomas Lehrs teilgenommen hat. Ihr Text „Laborarbeit“ wurde inspiriert von einem Filmriss in ihrer Kamera und der Frage, ob mit dem Verlust von Fotos auch ein Stück Leben verloren geht.

Die anschließende Debatte wird schnell hitzig – und ein Missverständnis zwischen dem Vorhaben der Lesungsmacher, den kreuzwortlern Caroline Beutel und Kristoffer Cornils, und der Erwartung des Publikums muss geklärt werden: Sehen erstere die Veranstaltung als Workshop im Sinne von direkter Arbeit am Text, bemängelt letzteres gerade dieses kleinschrittige Vorgehen und möchte lieber etwas über den Einfluss der Dichterschulen auf das Schreiben und die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Unis erfahren.

Kristoffer, der den Abend moderiert, lenkt die Diskussion aber doch immer wieder auf die Texte, die zum Mitlesen an die Wand gebeamt werden. So erinnert das Ganze tatsächlich an ein Literaturwissenschafts-Seminar.
Auf Nachfrage erhält das Publikum aber auch Infos über den Text hinaus, etwa als Hakan erklärt, dass es genauso wie an diesem Abend in seinen Seminaren am Deutschen Literaturinstitut Leipzig zugeht: Man sitzt zusammen, der Autor liest seinen Text und danach wird hemmungslos kritisiert. Isabel erzählt, dass Thomas Lehr „ganz nett“ gewesen sei, d.h., fair und nicht so diffamierend wie viele seiner Vorgänger, die Seminarteilnehmer wohl nicht selten zum Weinen gebracht hätten.

Der zweite Text stammt von Juan Gosze, der in Hildesheim Kreatives Schreiben studiert, bis dahin noch gar nichts gesagt hat und in seinem grünen Parka etwas teilnahmslos am Tisch sitzt. Seine „Asperger Miniaturen. Auszüge“ werfen die Fragen auf, was denn eigentlich das Asperger Syndrom sei (eine Form von Autismus, weiß eine Zuhörerin), wieviel Penis und Genitalhumor einem Text guttut (Geschmacksache) und ob die einzelnen Miniaturen überhaupt einen Zusammenhang haben. Hier äußert sich das einzige Mal der Autor: „In meinem Kopf bestehen die Verbindungen der Texte zu achtzig Prozent, auf dem Papier vielleicht zu zehn. Das Werk wird nicht fertig sein, ehe ich dreißig bin.“ Jetzt ist Juan 21 – damit erntet er Lacher. Die Debatte wird, nicht zuletzt Dank des türkischen, Mitte fünfzigjährigen Mitdiskutanten, der beim ersten Vortrag das undeutliche Lesen, beim zweiten die unklare Personeneschreibung kritisiert, so hitzig, dass eifrig Bier nachgeschenkt, das Fenster aufgerissen und die Mahnung, sachlich zu bleiben, ausgesprochen werden muss.

Nach einer kurzen Pause liest Hakan seinen Text „In Zeiten wie diesen“ vor, eine eher klassische Prosaerzählung. An der Liebesgeschichte zwischen einem jungen Türken und einem deutschen Mädchen wird bemängelt, dass es zu wenig Konflikt gebe und die Beschreibung von Alltäglichem keine Berechtigung habe, wenn sie nicht assoziativ aufgeladen sei. Eine Zuhörerin gibt offen zu, dass dies der einzige von den drei Texten sei, den sie richtig verstanden habe, eben weil er sich nicht hinter Assoziationen verstecke. Schade, dass an dieser Stelle die Veranstaltung beendet werden muss – wegen der Anwohner schließt die lettrétage um Punkt 22 Uhr. Das Publikum wird eingeladen, im Pub um die Ecke weiterzudiskutieren.

Auch wenn ich mir etwas weniger textimmanente Kritik und mehr über das Studium an den verschiedenen Literatur-Instituten gewünscht hätte – ein interessanter Abend war es in jedem Fall.

Foto: © Leonie Langer

6 Kommentare zu „Filmriss, Genitalhumor und Liebe <br/>– in der lettrétage werden Texte junger Autoren diskutiert“

  1. Danke für die Richtigstellung, Kristoffer!

    Und danke für de Veranstaltungshinweis, Moritz! Nach Jena werd ich es wohl nicht schaffen -- aber vielleicht bloggt ja jemand drüber? ;)

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