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Zu Gast beim taz-Medienkongress: Die Revolution hatte ich mir anders vorgestellt

MERIAN New York PortfolioIm Haus der Kulturen der Welt versammelten sich am Wochenende hunderte von Medieninteressierten für den Medienkongress „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“.

Von taz und der Wochenzeitung der Freitag organisiert, bot der zweitägige Kongress zahlreiche Vorträge, Podiumsdiskussionen, Debatten, Filme, praxisnahe „Speedlabs“ und sogar eine öffentliche Redakteur-Beschimpfung an.

In aller Munde waren Themen wie die Macht der neuen Medien, der Protest gegen Zensur – Karikaturen über den Islam, Wikileaks – die Rolle des Internets in Revolutionen – u.a. in Nordafrika und Weißrussland – und Fragen à la: Wie prägt die Digitalisierung politische Partizipation? Wo bleibt der unabhängige Journalismus, wenn immer weniger Konzerne immer größere Teile der Medienlandschaft bestimmen?

Zwar konzentrierten sich die Veranstaltungen in erster Linie auf journalistische Schwerpunkte, dennoch sind viele dieser aktuellen Thematiken  – Digitalität, Konzentrationsprozesse, Ansprache der Leser durch Webauftritte  – auch für den Literaturbetrieb relevant.

Am ersten Abend diskutierten Blogger und Aktivisten aus der arabischen Welt und anderen Ländern die spezifische Rolle des Internets in den Aufständen in Ägypten und Tunesien. Am zweiten Tag ging es mit etlichen Schwerpunkten weiter. Das Publikum stellte eine bunte Mischung aus Journalisten mit ihren Mininotebooks, jungen Leuten, Studenten und Senioren dar.

Bei einigen Veranstaltungen spiegelte sich diese Vielfalt auch im Podium wieder. Bei „Media to the People“, wo es um alternative Medienprojekte ging, waren die Journalistinnen Bettina Dyttrich aus der Schweiz (die Wochenzeitung WOZ) und Karen Thorne aus Südafrika (Cape Town Television) vertreten, sowie Marcelo Pereira, Chefredakteur von La Diaria in Montevideo und Randy Kaufmann, Mitarbeiter bei der taz. Sie tauschten sich über Geschäftsformen, über „flache Hierarchien“ – bei der WOZ zum Beispiel bekommen alle Mitarbeiter den gleichen Lohn – und den Einfluss der Leserschaft auf Medieninhalte aus.

Kaufmann staunte über die Arbeitsabläufe bei La Diaria, einer unabhängigen uruguayischen Zeitung. Da das Land so klein ist, können die Journalisten fast bis Mitternacht an einer Ausgabe arbeiten. In der Nacht wird die Zeitung dann gedruckt und landesweit verbreitet. Dagegen muss eine überregionale deutsche Zeitung wie die taz viel früher in Druck gegeben werden. Die Printnachrichten sind dadurch weniger aktuell. Diesen Zeitverlust gleichen aber mittlerweile die Online-Vertretungen der Zeitungen aus.

Über La Diaria wurde ein Film gezeigt, der den Eindruck vermittelte, dass die Mitarbeiter ihre Motivation sehr viel mehr aus ihrer Überzeugung politischen aktiv sein zu müssen schöpfen, als daraus, Geld zu verdienen.

Kurz danach ging ich zu der Gesprächsrunde „Die neuen 68er“, mit Rainer Langhans (Autor, Kommune-1-Mitglied), Beate Wedekind (Bloggerin), Emily Büning (Bundespressesprecherin der Grünen Jugend), Max Winde (Podcaster, Programmierer), Michael Angele (Freitag-Redakteur) und Moderator Klaus Raab (Freitag-Redakteur). Was als gut strukturierte Diskussion über die revolutionären Aspekte der „digitalen Generation“ anfing, geriet schnell in ein Durcheinander von Meinungen über das Internet im Allgemeinen.

Wedekind, Büning und Winde lieferten lauwarme Kommentare darüber, inwieweit die Möglichkeiten des Internets die Kommunikation zwischen Menschen verändern. Raab stellte der Gruppe eine Reihe von Schwarzweißfragen wie „Ist die digitalen Generation revolutionär, oder kaufen sie nur Handys?“. Die Podiumsteilnehmer konnten sich nur darauf einigen, dass es keine einfachen Antworten auf solche blöden Fragen gibt. So Windes wenig hilfreicher Kommentar zu Facebook: „Facebook kann höchstens so politisch sein, wie im Wohnzimmer sitzen politisch sein kann.“

Dagegen waren Angele und Langenhans in ihren Positionen etwas aussagekräftiger. Angele sprach von einer „analogen Welt“, die für ihn durch einen Mangel und eine Sehnsucht nach „mehr“ gekennzeichnet ist, im Gegenteil zur digitalen Welt, die von Überfluss geprägt ist. Die anderen sahen ein, dass die „virtuelle Sphäre“ des Internets nie die „reale Welt“ ersetzen wird, und Büning, die Jüngste in der Gesprächsrunde, wies nachdrücklich zurück, dass ihre Generation sich mehr im Internet, als im Offline-Leben aufhalte.

Der langhaarige Langhans stahl allen die Schau, als er das Publikum darüber aufklärte, dass wir durch die Digitalisierung immer weniger körperlich, sondern zunehmend vergeistigt seien. „Das Ziel der Kommunikation ist Liebe“, sagte er, „Da das Internet die Menschen zunehmend miteinander vernetzt, ist es unbedingt revolutionär. Das Internet ist der Beweis dafür, dass wir gewonnen haben“, so Langhans.

So wie alle Teilnehmer über „Realität“ vs. „ Digital“ sprachen, fiel mir einmal mehr auf, dass viele Netzaffine immer noch nicht erkannt haben, dass beide Bereiche übergangslos ineinandergreifen. In der Runde wurde das Internet zwar als Sprachrohr und Plattform anerkannt, mit Hilfe derer sich Leute politisch vernetzen, aber es schwang dabei immer eine Relativierung mit. Während Langhans nur den Sieg der Liebe im Netz sieht, waren sich die anderen einig, dass der Informationsüberfluss des Internets auch negative Auswirkungen hat. Jedoch blieben die Podiumsteilnehmer bei keinem einzelnen Thema lang genug dabei, als dass sie irgendwas Bedeutsames darüber hätten sagen können.

Während der Veranstaltung verließen Leute ständig das Auditorium, oft mit Stöhnen und gequälten Gesichtern. Als ich das sah, fragte ich mich, wo all die Aktivisten von heute waren, die im Internet aktiv sind, egal ob aus der Anti-Atomkraft-, der Menschenrechts- oder anderen Bewegungen. Wo waren die Befürworter, die ihren Glauben an die Vernetzungsmöglichkeiten der neuen Medien besser begründen können, als mit der Bemerkung „Ich habe mir noch nie so viele tolle Videos angucken und so tolle Musik anhören können, seitdem es das Internet gibt“?

Mein Tipp an die Veranstalter für das nächste Jahr: weniger (parallele) Events und dafür besser besetzte Podien.

Als ich langsam Abschied vom Medienkongress nahm, schnupperte ich noch bei den Infoständen rein. Außer der taz und dem Freitag waren noch andere Zeitschriften  wie La Lettre und gemeinnützige Projekte wie Reporter ohne Grenzen und Stiftung Wandel vertreten. La Lettre, eine wunderschöne, großformatige Publikation, ist dem Printmedium treu geblieben. Obwohl im Vergleich zu Videoblogs, Podcasts und Zeitungs-Apps dieses Heft fast dinosaurierenhaft wirkt, wird vielleicht doch das Printmedium, mit seinem langsamen, analogen Charakter, das tatsächlich revolutionäre Medium. Es ist das Format, wofür wir uns immer noch (fast sündhaft) viel Zeit lassen. Auf dem Medienkongress jedenfalls ist dieses kostbare Gut viel zu knapp gewesen.

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