„Es ist toll, sich was zuzutrauen.“

Katharina Gerhardt ist freiberufliche Lektorin, Co-Autorin, Moderatorin und Hochschuldozentin. In einem Gespräch erzählt sie von der Selbstständigkeit, der Arbeit in der Literaturbranche und vor allem: Sichtbarkeit. Ein Thema, für das sie sich engagiert.

© Ellen Coenders

Im Dezember 2021 ist ein Interview im Börsenblatt mit Ihnen erschienen, in dem Sie über Ihre Wünsche bezüglich der Sichtbarkeit von Frauen in der Literaturbranche für 2022 gesprochen haben. Wurden da gute Fortschritte gemacht?

Junge Frauen in der Buchbranche haben heutzutage mehr Vorbilder, als ich sie zu meiner Anfangszeit hatte. Es kann für Lebensentscheidungen enorm wichtig sein, zu sehen: Hier gibt es Frauen in leitender Position, die Kinder haben. Als ich vor 30 Jahren im S. Fischer Verlag volontiert habe, hatte dort keine einzige Lektorin Kinder. An Verlegerinnen mit Kindern kann ich mich schon gar nicht erinnern. Da hat sich etwas verändert, auch die Personalabteilungen denken heute anders. Allerdings geht diese Veränderung langsam vonstatten, nicht von einem Jahr aufs andere. Ich beobachte sie eher im Zeitraum meiner gesamten beruflichen Laufbahn.

Was kann besonders für Frauen mit Kindern noch verbessert werden?

Erstens, dass in Vorstellungsgesprächen Fragen nach Kinderwunsch, existierenden Kindern, Betreuungszeiten und Vereinbarkeit einfach nicht mehr gestellt werden, so nach dem Motto: Wie wollen Sie das alles managen? Solche Fragen sollten im Vorstellungsgespräch absolut tabu sein. Und zweitens, dass man akzeptiert, wenn wir als Menschheit weiter existieren wollen, müssen nun mal Kinder in die Welt gesetzt werden. Kinder werden von Frauen geboren. Das heißt im Mutterschutz und ein halbes oder ein Jahr danach stehen sie eventuell nicht für den Beruf zur Verfügung. Live with it, dear companies! Auch Väter gehen erfreulicherweise inzwischen in der Buch- und Verlagsbranche in Elternzeit, wenn auch immer noch weniger und kürzer als Mütter. Aber immerhin haben sich die Rahmenbedingungen hier etwas geändert und verbessert.

Sind Frauen zögerlicher, weil sie die Erwartung haben, dass es ihnen schwerer gemacht werden könnte?

Ja, ganz klar. Frauen stellen ihr Licht leider noch zu oft unter den Scheffel. Dagegen müssen wir engagiert anarbeiten. Wir müssen das Selbstbewusstsein der Frauen in unserer Branche stärken. Das ist mir auch wichtig in meinen Hochschulseminaren. Ich möchte immer vermitteln: Es ist toll, sich was zuzutrauen. Ich engagiere mich bei den BücherFrauen, einem Netzwerk für Frauen in der Buchbranche, weil ich es wichtig finde, dass wir einander schwesterlich unterstützen bei dem, was wir tun und können.

Sie waren kürzlich bei einer Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse 2022 zur Sichtbarkeit von Übersetzer*innen. Wie stehen Sie zur Debatte um deren namentliche Nennung?

Es ist enorm wichtig, dass Übersetzer*innen genannt werden, denn sie sind ja Urheber*innen des übersetzten Werks in deutscher Sprache. Auch hier gilt: Sichtbarkeit bedeutet Wertschätzung. Auf der Titelseite des Buches und bei Rezensionen sollte die Nennung selbstverständlich sein. Ich bin auch immer froh, wenn Verlage die Namen der Übersetzenden auf die Umschlagseite drucken – das kann als Verkaufsargument dienen. Übersetzer*innen sind Leute mit einer unglaublichen Sprachkraft. In meinem Beruf als Lektorin habe ich enorm viel von guten Übersetzer*innen gelernt, die kann man gar nicht genug preisen. Vor allem auch, weil sie nach wie vor nicht sehr gut bezahlt werden.

Diskutiert wird seit einiger Zeit auch über die Nennung von Lektor*innen. Wie denken Sie darüber?

Bei den Lektor*innen finde ich wesentlich, dass sie im Impressum stehen, weil sie den Feinschliff des Buches zu verantworten haben. Wenn Sie einen Text lesen und denken „Wow, ist der gut geschrieben“, dann hat das eben nicht nur mit den Autor*innen oder im Fall der Fälle mit den Übersetzer*innen zu tun, sondern auch damit, wie dieser Text lektoriert worden ist.

Welche Unterschiede gibt es zwischen freien und festangestellten Lektor*innen?

Das Berufsbild hat sich aufgespalten: Es gibt die festangestellten Lektor*innen in den Verlagen. Sie entscheiden über das Verlagsprogramm, arbeiten aber in vielen Fällen nicht mehr an den Texten. Sie sind product manager oder acquisition editors geworden. Sie entscheiden, was verlegt wird. Und dann gibt es die freien Lektor*innen, die die Textarbeit machen und für den sprachlichen Feinschliff sorgen. Sie entscheiden mit, wie verlegt wird. Das ist zwar branchenweit bekannt, aber nach außen sagt man immer noch zu häufig „wir im Verlag haben das gemacht“. Ohne die Freien allerdings, sei es jetzt im Bereich Übersetzung oder Lektorat, würde die Branche längst nicht eine solche Vielzahl qualitativ hochwertiger Titel produzieren können.

Sie hatten eine pointierte Stellungnahme geschrieben zu einem Blogartikel von einer Self-Publisherin, die eine ablehnende Haltung gegenüber dem Lektorat hatte. Warum?

Das war eine Autorin, die als Self-Publisherin, also auf eigene Faust, ohne Verlag arbeitet. Sie fand ein Lektorat für ihren Text zu teuer und beklagte sich über den angeblichen „Lektorats-Zwang“. In der schriftlichen Diskussion habe ich erwidert, dass es selbstverständlich keinen solchen Zwang gibt. Das Gute ist ja: Durch die Digitalisierung sind die Möglichkeiten, einen Text zu veröffentlichen, viel unkomplizierter geworden. Natürlich kann ich meinen Text auch unlektoriert in die Welt schicken. Aber deshalb muss ich ja nicht wettern gegen Menschen, die ein Lektorat als Dienstleistung anbieten. Wenn ich meine Wohnung selbst streiche und die übermalten Stellen in Kauf nehme, beschwere ich mich ja auch nicht über den Berufsstand der Maler und Lackierer.

Das ungute Gefühl Lektor*innen gegenüber kommt vielleicht auch daher, dass es Zerrbilder wie das der bösen Korrektorin gibt, die mit Rotstift in den Texten wütet und immer alles besser weiß, oder auch das des notorischen Verhinderers, des Zensors.

Lektor*innen haben also bei manchen Autor*innen einen schlechten Ruf?

Es schwingt immer ein bisschen mit, dass wir vom Lektorat auch ‚Gatekeeper‘ sind. Natürlich sind wir das, sowohl in den Verlagen als auch im freien Arbeiten. Aber nennen Sie es nochmal anders, nennen Sie es Qualitätsmanagement, etwas, das jedes Unternehmen hat. Dann hat es schon wieder einen ganz positiven Beiklang. Ein Text kann immer noch besser werden. Doch allein, um das sehen zu können, brauche ich eine gewisse Kompetenz.

Es geht also auch wieder um Sichtbarkeit und Wertschätzung?

Ja, natürlich! Man glaubt immer noch, Autor*innen, vor allem literarische, setzen sich hin und der Geistesblitz fährt in sie und dann ist der Text auf dem Papier. So ist es eher selten. Selbstverständlich gibt es auch den glücklichen Schreibflow. Aber häufiger ist es doch so: Man hat eine Idee und dann muss sie ausgeführt werden. Jeder literarische Text entsteht über mehrere Fassungen, wird manchmal auch in einem frühen Stadium schon mit dem Lektorat mündlich oder schriftlich diskutiert. Da geht es dann um den Plot, das Setting, die Figuren, die Figurenrede, den Stil und den Ton. Der Text wird mehrfach überarbeitet. Zuerst von den Autor*innen und dann natürlich noch einmal im Dialog mit dem Lektorat. Diese intensive und vertrauensvolle Arbeit basiert auf dem Vier-Augen-Prinzip.

Sie sind seit über zwanzig Jahren freiberuflich tätig. Sich selbstständig machen, das klingt für viele junge Menschen nach einem großen Risiko. Warum haben Sie sich trotzdem für diesen Schritt entschieden?

Aus verschiedenen Gründen. Ich habe gemerkt, dass ich in starren Strukturen nicht so gut funktioniere, weil ich sehr gerne inhaltlich arbeite. Als sich dann die Möglichkeit bot zu sagen: „Ich versuche das selbstständig“, war das für mich ein großes Abenteuer und ein großer Spaß. Natürlich ist es ein kleineres Schiff, auf dem ich unterwegs bin, aber ich bin wendiger.

Worin sehen Sie die Vorzüge von freiberuflicher Arbeit?

Was ich auf lange Sicht als großen Vorteil empfinde, ist die Freiheit zu sagen, was ich denke, die Freiheit, mir die Aufträge auszusuchen, die ich möchte, die Freiheit mit Menschen zu arbeiten, mit denen ich gerne arbeite. Es ist auch die Vielfalt der Aufträge, die ich bekomme. Ich sitze nicht in einer Abteilung, in der ich beispielsweise ein Leben lang nur Krimis lektoriere, sondern ich habe eine große Bandbreite, ein Spektrum, das vom Lektorat deutscher Literatur, über das Übersetzungslektorat aus drei Sprachen bis hin zu Jugendbüchern und Sachbüchern reicht. Ich kann mir immer wieder neue Berufsfelder erschließen, wie die Veranstaltungsmoderation, das Unterrichten an der Hochschule oder die Arbeit als Co-Autorin. Ich langweile mich eigentlich nie bei der Arbeit. Und ich kann mir freinehmen, wenn mir danach ist. Das muss ich natürlich mit Blick auf mein Konto tun, aber eigentlich kann ich schwimmen und zum Yoga gehen, wann ich will (lacht). Der größte Vorzug des freiberuflichen Arbeitens: Man bleibt auf eine ganz eigene Art und Weise wach.

Vermissen Sie die Arbeit im Verlag gar nicht?

Was ich toll fand, als ich festangestellt war, waren die vielen schlauen und lustigen Kolleginnen und Kollegen. Die suche ich mir jetzt über meine Netzwerke, über die BücherFrauen, über den Verband der freien Lektorinnen und Lektoren, und auch über private Netzwerke, die mir viele Jobs gebracht haben.

Worin liegen die Herausforderungen, wenn man frisch in die Selbstständigkeit startet?

Am Anfang ist man bereit, alles Mögliche zu machen: Es braucht dann den Rat erfahrener Kolleg*innen und eine ganze Menge Fortbildungen, bis man sagt: „Okay, das kann ich, das biete ich an und gute Arbeit wird gut bezahlt“. Ich muss mir meine eigenen Fortbildungen organisieren und gucken, dass ich up-to-date bleibe, das wird mir nicht verordnet. Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen man sich denkt: „Es ist doch irgendwie relativ viel und guck dir die anderen an, die kriegen `ne Gehaltserhöhung und du selber musst für höhere Honorare kämpfen“. Aber ich muss mich eben auch nicht verbiegen und bin meine eigene Chefin. Das ist unbezahlbar.

Noch einen letzten Tipp für uns Studierende, die auch in Richtung Buchbranche wollen?

Neugierig bleiben, sich in die jeweils neue Technik reinfuchsen, Sprachen können oder lernen, auch die entlegeneren. Viel lesen, gern auch querbeet, die Bestsellerliste ebenso wie zeitgenössische Literatur. Sich in der Branche tummeln, analog und digital, auf den Messen, auf Veranstaltungen. Vor allem einander helfen, sich gegenseitig stark machen, einander wirklich wertschätzen und loben. Früh Netzwerke bilden. In bestehende Netzwerke (Junge Verlagsmenschen, VFLL, BücherFrauen) eintreten und sich dort engagieren. Gerade ein Tipp an die Frauen: Wenn Sie eine andere Frau bewundern, sie intellektuell brillant oder besonders zupackend finden, sagen Sie ihr das und empfehlen sie sie weiter. Das machen Männer glaube ich automatisch. Und sonst der Rat an den akademischen Nachwuchs: Mutig sein, Fragen stellen und, ganz wichtig: sagen, was man will, es den richtigen Leuten sagen. Denn was nicht passieren wird, ist, dass jemand auf Sie zukommt und Sie entdecken wird. Sie müssen selbst formulieren, wohin die Reise gehen soll… so ungefähr (lacht).

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