Im Gespräch mit Valentin Moritz

Aufgepasst! Ein mysteriöses Kerlchen treibt derzeit sein Unwesen in der jungen Literatur. Ob der  Grottenhermann wirklich so gefährlich ist, wie man sich erzählt, und was das Ganze mit einem Quickie zu tun hat, erfahrt ihr in Maries Interview mit dem Autor Valentin Moritz.

© Marie Krutmann
© Marie Krutmann

Vor wenigen Monaten hast du dein erstes Kurzgeschichten-Booklit veröffentlicht. Bevor wir uns über den Grottenhermann unterhalten, würde mich allerdings interessieren, wie du zum Schreiben gekommen bist. Wie ich weiß, hast du auch an der FU Berlin studiert.

Stimmt, ich habe vor ein paar Tagen den Master abgeschlossen. Im Bachelor habe ich Deutsch und Spanisch auf Lehramt studiert und im Master dann Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Du wolltest Lehrer werden?

Zwischenzeitlich war das der Plan, aber nach einem Praktikum habe ich gemerkt, dass das nichts für mich ist. An der Uni haben mich vor allem die literaturwissenschaftlichen Kurse interessiert. Mit dem Schreiben habe ich erst vor 4 Jahren richtig angefangen. Ich war auf Reisen und habe ein Erasmusjahr in Andalusien verbracht. Aus den Aufzeichnungen, die ich dort gemacht habe, sind die ersten Erzählungen entstanden.

© Literatur Quickie

Ist der Grottenhermann deine erste literarische Veröffentlichung?

Ich habe auch vorher schon Texte online und in Zeitschriften veröffentlicht. Den Grottenhermann sehe ich nicht wirklich als mein Debüt an, aber es ist eben ein erstes kleines Büchlein. Ich war auf der Suche nach einer Möglichkeit, einen Text zu veröffentlichen (Bahía Salvador), der zu lang für Lesungen, Zeitschriften oder Wettbewerbe war, aber auch zu kurz, um ihn einem ‚normalen‘ Verlag anzubieten. Durch den Tipp einer Freundin bin ich dann auf den Literatur Quickie Verlag aufmerksam geworden. Dort wollte man Bahía zwar auch nicht veröffentlichen, dafür aber drei andere von meinen Erzählungen.

Sorry, wenn ich das so sage, aber ein Quickie ist doch in erster Linie eine schnelle Nummer zwischendurch.

Ein Quickie ist einerseits eine schnelle Nummer zwischendurch, andererseits kann es auch die beste Nummer deines Lebens sein – so kurz sie dann auch gewesen sein mag. Wenn man den Begriff auf meine Texte bezieht, dann ist damit in erster Linie einfach die Länge gemeint, die auf das Leseverhalten unterwegs abgestimmt ist.

Entgeht den Texten durch das kleine Format nicht eventuell die angemessene Aufmerksamkeit?

Ich finde die Aufmachung der Quickies so cool und frisch, dass ich Vertrauen in die potentiellen Leserinnen und Leser habe, dass sie erst einmal mit viel Interesse an die Geschichten herangehen. Je nachdem welcher Text gewählt wird, bleibt man dann hoffentlich auch dran. Beim Literatur Quickie bin ich schließlich in guter Gesellschaft mit tollen anderen Autorinnen und Autoren (u.a. Ulrike Draesner, Juli Zeh, Nora Bossong).

Ein Quickie ist einerseits eine schnelle Nummer zwischendurch, andererseits kann es auch die beste Nummer deines Lebens sein – so kurz sie dann auch gewesen sein mag.

Welche Themen interessieren dich persönlich besonders, wenn du schreibst?

Der Wahnsinn.

Der Wahnsinn als Geisteskrankheit?

Der Wahnsinn im Sinne von Extremsituationen, in denen Menschen an ihre Grenzen kommen und ausrasten.

Ein anderes Thema, das ich spannend finde, ist die Grenze zwischen Mensch und Tier – oder Tiere allgemein. Wie stellt man sie in der Literatur dar, welche Rolle können sie spielen? Dienen sie nur der Atmosphäre oder stehen sie als Symbol für etwas?

Tiere spiegeln in der Literatur oft die Charaktereigenschaften von Menschen wieder.

Ja, das ist in Fabeln der Fall. Das kann man schon gerne machen, interessiert mich aber weniger. Ich finde es spannender zu sehen, wie Mensch-Tier-Beziehungen funktionieren. Das kommt in literarischen Texten häufig zu kurz. Generell ist es unglaublich schwer, das Tier zu erzählen. Wie kann es handeln, wie soll es sich ausdrücken? Natürlich gibt es Kommunikation zwischen Tieren und auch zwischen Menschen und Tieren, aber in der Literatur gibt es da ein Potential, das längst noch nicht ausgeschöpft wurde.

In deiner Erzählung Grottenhermann sind die agierenden Charaktere Fantasiewesen. Es gibt aber auch normale Tiere, die die Umgebung prägen. Um was für eine Art von Beziehung handelt es sich hier?

Für mich sind es keine Fantasiewesen. Es gibt zum Beispiel eine Echse, die für den Protagonisten von großer Wichtigkeit ist und einen positiven Ankerpunkt in seinem Leben darstellt. Ob das nun ein echtes Tier ist oder nicht und was dieses Tier, wenn es denn real ist, tatsächlich tut, damit der Protagonist so positiv davon zehren kann, bleibt offen.

Die behaarten, spanisch sprechenden Figuren sind also keine Fantasiewesen?

Der Ich-Erzähler hat eine andere Wahrnehmung. Er ist eingesperrt und weiß nicht (oder nicht mehr) so recht, wer er ist. Deswegen nimmt er die Welt so wahr, wie sie ihm von seinem Gegenüber – dem Nino, der ihn gefangen hält – erzählt wird. Das Erzählte bleibt dem Protagonisten rätselhaft und so schmiedet er daraus seine eigenen Geschichten. Eine dieser Geschichten ist die über ihn selbst: den Grottenhermann.

Ich wollte einen grotesken Text schreiben, in dem die Figuren nicht eindeutig gut oder böse sind. Sie sind hässlich und trotzdem schön.

Man sagt ja, Namen prägen den Charakter. Hermann klingt eigentlich nicht besonders böse.

Ob er böse ist oder nicht, hängt von dem ab, was passiert ist, bevor die Geschichte einsetzt. Den Namen habe ich gewählt, weil der Text in einer spanischsprachigen Welt spielt. Die Bezeichnung, die man dort für ihn hat, lautet Germán Grutesco. Daraus ergab sich die deutsche Übersetzung: Grottenhermann. Grutesco heißt einerseits grotesk und verweist andererseits auf das Wort Grotte. Daher ist der Name genau richtig. Ich wollte einen grotesken Text schreiben, in dem die Figuren nicht eindeutig gut oder böse sind. Sie sind hässlich und trotzdem schön. Genauso weiß man auch nicht, wer eigentlich der Gefangene und wer der Wärter ist. Nino muss letztendlich dort bleiben wo er ist, um Hermann gefangen zu halten. Er ist auch nicht unabhängig.

Mir ist aufgefallen, dass viele deiner Sätze mit Und, Oder und Weil anfangen. Vor allem am Ende der Erzählung folgen viele Oder-Sätze aufeinander. Werden darin verschiedene Alternativrealitäten des Grottenhermanns entwickelt?

Das trifft es eigentlich ganz gut. Diese Sätze spiegeln die Unsicherheit des Erzählers wider, der sich selbst verschiedene Realitäten oder Alternativen vorsagt. Wichtig war mir auch, dass der Text mit Aber anfängt. Der Anfang ist ein Traum, aus dem der Protagonist aufwacht. Von den Bildern, die er im Traum sieht, weiß er, dass sie stimmen. Daher gibt es hier kein Oder. Der Traum ist ein großes Aber gegen die Unterdrückung, die er erfährt.

Wieso spielen so viele deiner Geschichten im spanischsprachigen Raum?

Das kommt daher, dass mich Szenerien und Orte des spanischsprachigen Auslands immer wieder inspiriert haben. Ich erinnere mich beim Schreiben an Reisen dorthin und frage mich, was mich an den Orten so gereizt hat. Wenn ich schreibe, möchte ich immer dort sein, wo ich gerade nicht bin. Wäre ich jetzt im Ausland, würde ich vermutlich über Neukölln schreiben.

Ich bin beim Lesen von Kurzgeschichten manchmal enttäuscht, wenn sie abrupt enden, obwohl ich mich gerade an die Charaktere gewöhnt habe. Bleiben Kurzgeschichten bei dir immer Kurzgeschichten?

Eine gute fertige Kurzgeschichte ist und bleibt eine Kurzgeschichte. Es gibt aber sicherlich Texte von mir, die man noch weiter auserzählen könnte. Der zweite Text in meinem Booklit, Tag 19 Andorra, ist für mich so ein Fall. Neben der gedruckten Version existieren in meinem Kopf noch die Geschichte vor sowie die Geschichte nach dem Aufeinandertreffen der drei Reisenden. Hieraus könnte man gut etwas größeres machen.

Manchmal bin ich aber auch skrupellos. Es muss ja nicht jeder den versteckten Goldbrocken im Erzählfluss finden.

Kommst du manchmal in die Versuchung, Hintergrundinformationen zu deinen Charakteren weiterzuerzählen?

Dir gegenüber werde ich mich zurückhalten, weil du sonst alles ausplauderst, aber gegenüber Freunden ohne Aufnahmegerät lüfte ich solche Geheimnisse auch gerne mal. Ich freue mich, wenn jemand mehr über meinen Text wissen will. Dann versteht man auch, was andere in dem Text sehen und kann darüber diskutieren.

Hast du bestimmte Erwartungen an deine Leserinnen und Leser?

Nö, ich finde mein Text muss überzeugen, sodass man beim Lesen dranbleibt. Das ist allerdings vielmehr eine Erwartung an den Text und nicht an die Leserinnen und Leser. Ich nehme auch gerne Kritik an und überarbeite einen Text, wenn etwas überhaupt nicht so ankommt, wie ich es mir gedacht hatte. Manchmal bin ich aber auch skrupellos. Es muss ja nicht jeder den versteckten Goldbrocken im Erzählfluss finden.

Du bist nicht nur Autor, sondern auch Literaturagent in der Agentur von Elisabeth Ruge. Wie beurteilst du, ob ein Text gut ist?

Das wichtigste Kriterium ist, dass ein Text mich gefangen nimmt und im Nachhinein Bilder bei mir im Kopf hinterlässt, an die ich mich gerne erinnere. Manchmal muss man aber natürlich auch zwischen gut und gut verkäuflich abwägen.

Hilft es dir bei deiner Arbeit als Agent, dass du selber schreibst?

Es hat sich gezeigt, dass das hilft, weil ich durch das eigene Schreiben ohnehin immer wieder mit anderen jungen Autorinnen und Autoren in Kontakt komme. Zudem schätzen die meisten es, wenn sie jemanden vor sich haben, der weiß, wie ein Text aufgebaut wird und nicht nur wie man ihn vermarket.

Was liest du privat, wenn du keine Manuskripte sichtest?

Neulich habe ich Krabat noch einmal gelesen. Das ist eines der wenigen Bücher, das ich immer wieder lese. Davor habe ich Tucholskys Schloss Gripsholm gelesen.

Du liest privat also lieber Klassiker?

Ich lese privat tatsächlich eher ältere Sachen. Junge Literatur lese ich für die Agentur.

Denkst du, dass man als junger Autor oder junge Autorin Klassiker gelesen haben sollte? Braucht die junge Literatur die alte Literatur?

Ich denke, es gibt Leute die einfach so schreiben können und ihr eigenes Ding durchziehen, ohne in jedem dritten Satz auf irgendetwas zu referieren, was es schon gab. Das finde ich faszinierend. Wenn man in einen literarisch ambitionierteren Bereich gehen will, ist es aber sicherlich hilfreich, wenn man Klassiker gelesen hat. Allerdings kann es das einem manchmal auch verhageln. Gerade wenn man Literaturwissenschaft studiert und nur Texte liest, die älter als 50 Jahre sind, schreibt man nur Grottenzeug. Davon sollte man sich freikämpfen.

Vielen Dank für das Interview, Valentin.

Marie Krutmann
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