GEWINNSPIEL: Sterbehilfe ganz nahe – „Einfach gehen“ von Steven Amsterdam

Hat ein Mensch, der nicht mehr lange zu leben hat und leidet, ein Recht auf Sterbehilfe? Ist sie eine moralische Pflicht? Das sind die Fragen, die eine Debatte um Sterbehilfe normalerweise bestimmen. Nicht so bei Steven Amsterdam.

Im Rahmen der Indiebookchallenge 2018/19, herausgefordert von Sarah Käsmayr / Maro Verlag, widmen wir uns eine Woche lang dem Thema #queeresBuch: 7 Tage, 7 queere Indie-Bücher. Charlotte stellt den Roman Einfach gehen vor. Zum Finale der Indiebookchallenge wird ein brandneues Exemplar des Buches verlost. Um teilzunehmen einfach bis zum 22. Oktober einen Kommentar über Facebook, Twitter oder den Blog schreiben und uns das eigene Lieblingsbuch aus einem Indie-Verlag verraten.
Steven Amsterdam „Einfach gehen“ © Charlotte Steinbock

Der junge Krankenpfleger Evan arbeitet in einem Pilotprojekt als Sterbeassistent. Die schwierigen Themen hier sind, wie man Menschen helfen kann, die den strengen formalen Anforderungen des Projekts nicht entsprechen, wie präsent der Assistent sein soll, darf oder muss und wie das Thema assistiertes Sterben auf einmal in einem neuen Licht erscheint, wenn es um die eigene Mutter geht.

Der Sterbeassistent als Held?

Evan ist überzeugt von der Sterbehilfe und wird in dem Projekt oft darin bestärkt, dass er mit „Maßnahme 961“ den kranken Menschen am Ende ihres Lebens, aber auch den Angehörigen wirklich helfen kann. Doch das Projekt steht unter strenger, kritischer Beobachtung, deshalb beherrschen vor allem politische und formelle Fragen die Sterbeassistenzen. Evan fühlt sich eingeschränkt von der ständigen Beobachtung und den strengen Vorgaben, er kann nicht ganz in seiner Aufgabe aufgehen. Seine Chefin hat ihn im Verdacht, sich als wichtiger und unverzichtbarer Held fühlen zu müssen und sich nicht auf die vorgeschriebene Rolle des zurückhaltenden, neutralen Begleiters im Hintergrund beschränken lassen zu wollen.

Wie zu erwarten, gerät Evan mit den Vorschriften in Konflikt und verliert seinen Job. Daraufhin geht er den nächsten Schritt und schließt sich einer Untergrund-Organisation an, die Sterbebegleitung für Menschen anbietet, die nicht den Anforderungen für Maßnahme 961 entsprechen. Menschen, denen Evan unbedingt helfen möchte. Doch die Begleitungen verlaufen nicht gerade unkompliziert, die Bilder verfolgen ihn Tag und Nacht. Sie tauchen vor seinem inneren Auge auf, wenn er Sex haben will.

Nähe und Distanz

Doch das ist nicht das Einzige, das seine Beziehung zu dem Pärchen Lon und Simon erschwert. Sein Leben lang schon befindet er sich im Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstoßung, dem Drang nach Nähe und Ankommen und dem Drang, die Zelte abzureißen und weiterzuziehen. Das ist das Leben, das seine Mutter ihm vorgelebt hat nach dem Selbstmord seines Vaters, der offiziell ein Unfall war. Immer wieder zogen sie um. Ein Neuanfang nach dem anderen, nur sie zwei als einzig stabile Einheit inmitten von ständiger Unsicherheit und Rastlosigkeit.

Diese Lebensart hat sich Viv beibehalten. Sie ist zynisch, lebhaft, stur, quirlig und launisch. Evan umkreist sie wie die Erde die Sonne, aber sie hält ihn auf Distanz. Da sie schwer krank ist, lebt sie im Heim. Doch eine innovative Behandlungsmethode schlägt an und Viv erblüht über Nacht in einem neuen Leben. Mit der neu gefundenen Energie nimmt sie unversehens die Beine in die Hand und brennt durch. Erst als Evan ihr schließlich nachreist und entdeckt, dass ihr Zustand sich wieder dramatisch verschlechtert hat, stellen sich beide ernsthaft ihrer Beziehung, Vivs Krankheit und dem nahenden Ende. Sie weiß, was sie will. Das Nembutal – das Medikament, das für die Sterbehilfe eingesetzt wird – hat sie schon besorgt. Doch was wird Evan tun, wenn es so weit ist und Viv nicht mehr eigenständig handeln kann?

Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit

Mit Leichtigkeit und Humor erzählt Steven Amsterdam vom Leben und Sterben, unaufgeregt und ehrlich. Haupt- und Nebenfiguren sind plastisch und spannend. Als Sahnehäubchen wird auch die Homosexualität des Protagonisten und seine Beziehung mit Lon und Simon absolut selbstverständlich  erzählt. An keiner Stelle geht es um ein Coming-out oder Homophobie. Niemand stört sich an Evans sexueller Orientierung und seiner Beziehungskonstellation. Obwohl das leider nicht die Realität widerspiegelt, so ist es doch wohltuend, in eine Welt einzutauchen, wo all dies keine Rolle spielt und so viel Raum entsteht, um die Beziehung dieser drei Individuen unter vielen anderen Aspekten zu erzählen.

Steven Amsterdam: Einfach gehen

Unionsverlag, 2016

352 Seiten, Hardcover, 22€.

Gewinnspiel – Indiebookchallenge

Der Unionsverlag hat uns ein nagelneues Exemplar von „Einfach gehen“ zur Verfügung gestellt, das wir zum Finale der Indiebookchallenge zum Thema #queeresbuch verloren. Für diese Unterstützung danken wir dem Verlag. Um am Gewinnspiel teilzunehmen, hinterlasst ihr uns hier bis zum 22. Oktober 2018 einfach einen Kommentar mit eurem Lieblings-Indiebuch. Mit der Teilnahme akzeptiert ihr die Teilnahmebedingungen.

Beiträge zur Indiebookchallenge #queeresBuch:

Beitrag I: Queer, Schwarz, rebellisch – Biskaya

Beitrag II: „Guapa“ von Saleem Haddad – ein mitreißendes Debüt

Beitrag III: Queer & Unerschrocken

Beitrag IVEine Liebe genderneutral erzählt – „Sphinx“ von Anne Garréta

                Beitrag V: „Fleisch“ – queere Liebe mit viel Klischee

               Beitrag VI: Indie & Queer? – Die Frankfurter Buchmesse

               2018

Charlotte Steinbock
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3 Kommentare zu „GEWINNSPIEL: Sterbehilfe ganz nahe – „Einfach gehen“ von Steven Amsterdam“

  1. Gegenwärtig stellt das von der jungen Österreicherin mit japanischen Wurzeln Milena Michiko Flašar verfasste und im Jahre 2012 von dem in Berlin ansässigen Wagenbuch Verlag publizierte Opus „Ich nannte ihn Krawatte“ meinen unangefochtenen Favoriten innerhalb des mitunter schwer unterschätzten Spektrums literarischer Independent-Veröffentlichungen dar.

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