Leipziger Buchmesse – Das Revival

Groß war die Aufregung, als die Leipziger Buchmesse 2022 kurzfristig abgesagt wurde. Umso erwartungsvoller hat sich unsere Autorin dieses Jahr in den vollen Zug gequetscht und ist nach vier Tagen Messe mit einem Rucksack voller Eindrücke und Begegnungen zurückgekehrt.

©N.n. Wetzel

Endlich, endlich, endlich! Zum ersten Mal seit Pandemiebeginn fand vom 27. bis 30. April die Leipziger Buchmesse (LBM) statt und zwar ohne Beschränkungen, in all ihrer Größe und ganzen Blütenpracht. Nicht nur die Cosplayer:innen mit ihren Fotoshootings vor den Zierbäumen des Messegeländes dürften sich an diesem Frühlingserwachen erfreut haben. Vielleicht sollte man die LBM dauerhaft von März auf April verlegen, wie in diesem Jahr aus Sorge vor einer anhänglichen Wintervariante geschehen, dachte ich bei einer meiner frische-Luft-Pausen. Dieses Jahr haben also Wetter, Natur und Immunsystem mitgespielt und Leipzig konnte nach der langen Zwangspause endlich wieder als Gastgeberin all die Leseratten, Bücherwürmer, Familien, Literat:innen und Literaturbetriebsmenschen willkommen heißen.

Fachgespräche vs. Treibenlassen

Dieser Begeisterung entsprechend war es in den Messehallen voll. Sehr voll. So verdammt voll, dass meine Freund:innen aus dem Literaturbetrieb die LBM in ihrer Eigenschaft als Publikumsmesse nachhaltig verfluchten. Sie seien schließlich zum Arbeiten hier und nicht wie ich zum Flanieren. In Frankfurt, meinten sie (nicht allzu ernst), sei man als Fachpublikum wenigsten die ersten Tage unter sich. Während ich mich also mit dem Besucher:innenstrom durch die Hallen und an unzähligen Ständen großer und kleiner Verlage, Selbstverleger:innen und Interessenverbände vorbei treiben ließ, versuchten sie in diesem Gewusel, ihre zahlreichen Gesprächstermine wahrzunehmen. Denn die LBM ist nicht nur eine Begegnungsstätte für Lesepublikum, Neuerscheinungen und deren Autor:innen. Im Fall meiner Freund:innen trafen sich auch Buchhandel und Verlage, um das aktuelle und kommende Programm sowie Buchpremieren und andere Veranstaltungen in aller Eile und gebotener Tiefe zu besprechen, fröhlicher Schnack mit Bekannten aus der Branche inklusive.

Tipps & Tricks

Nach vier Tagen Messe kann ich schon mal folgende Tipps fürs nächste Jahr festhalten: Donnerstag- und Sonntagnachmittag ist es vergleichsweise – nun, ich will nicht sagen leer, aber zumindest weniger sardinenbüchsenmäßig voll. Wenn die Messe ab 18 Uhr ihre Tore zu schließen versucht, sollte man sich aber nicht einbilden, mit der nächsten S-Bahn nach Leipzig rein fahren zu können. Ein Scherzkeks würde wohl von 9-Euro-Ticket-Verhältnissen am Bahnsteig sprechen. Doch mit einem guten, quasi druckfrischen Buch und der Abendsonne im Gesicht lässt es sich bequem auf die nächste Bahn warten. Oder auf die übernächste.

Sehr zu empfehlen ist auch, vorab einen Blick ins reichhaltige Programm zu werfen. Eins meiner Highlights war das Lesungsgespräch mit Hengameh Yaghoobifarah zum neuen Buch Habibitus, einer kurzweiligen Text- und taz-Kolumnensammlung. Doch auch die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse habe ich mit Interesse verfolgt, da die Nominierungen diesmal wirklich spannend waren. Mein Tipp in der Kategorie Belletristik war ja eigentlich Aufklärung von Angela Steidele, die – der Titel legt es nahe – die Zeit der Aufklärung in Leipzig thematisiert, allerdings aus der Perspektive jener halb vergessener Frauen, deren Männer wir heute aber noch erinnern. Sehr verdient gewonnen hat dann aber Dinçer Güçyeter mit Unser Deutschlandmärchen, in dem er außergewöhnlich poetisch über das Auswandern nach und Ankommen, Aufwachsen, Durchbeißen in Deutschland schreibt und dabei besonders seiner Mutter eine eindringliche Stimme verleiht. Das Sahnehäubchen dieser Preisverleihung: Unser Deutschlandmärchen ist bei mikrotext erschienen, dessen Verlegerin Nikola Richter einst das Seminar an der FU hielt, aus dem Litaffin hervorgegangen ist. Die Gratulation am Stand fiel herzlich und flott aus, schließlich musste auf die Schnelle noch ein Sektempfang organisiert werden. Doch nicht nur das bierernste, literarisch interessierte Publikum kam auf seine Kosten.

Wo die Grenzen sich auflösen

Auch und gerade für Kinder und Jugendliche hielt das Programm zahlreiche Workshops bereit, vom kreativen Schreiben übers Mangazeichnen bis hin zum queeren klischeefreien Charakterdesign und Vorträgen zur Frage, wie japanische Mangas überhaupt nach Deutschland kommen. Denn was wäre die LBM ohne die MCC, die Manga Comic Con? Die Antwort lautet: farbloser, leerer, weniger queer und weniger vielfältig in Sachen Angebot und Community-Austausch. Die MCC lag in Halle 1, doch die vermeintlichen Grenzen zwischen Lesepublikum und Manga-Fans sind zum Glück fließend. Das beginnt schon bei der Personalunion von seriösen Literaturmenschen und schillernden Otakus (= Manga-Nerds) und setzt sich fort mit dem Standort der Mangaverlage, die sich mit anderen Comic- und Kinderbuchverlagen eine Halle teilten, sodass sich der Mangacontent eben nicht nur auf die MCC in Halle 1 beschränkte. 

Allen, die sich noch nie zur MCC gewagt haben, sei gesagt: Es gibt dort nicht nur Manga- und Anime-Merchandise, japanische Keramik, Sweets und Snacks, sondern auch einen großen Bereich, in dem Hobby- und independent Artists ihre Kunst verkaufen. Das können – again – selbstverlegte Mangas und Anime-Merchandise sein, aber auch Schmuck, wunderschöne Prints mit mehr oder weniger starkem Japanbezug, Buttons, Kuscheltiere, Postkarten, Lesezeichen – also allerlei Stuff, der nicht nur japanaffine Menschen begeistert.

Mut zum Austausch, Spaß am Kontakt

Und dann wären da noch die Cosplayer:innen! Vom literarischen Publikum mitunter skeptisch beäugt, von den jüngeren Generationen für ihre aufwendigen Verkleidungen gefeiert, bringen sie eine Buntheit und Lebensfreude in die Menge, die viele von uns gerade gut gebrauchen können. Ob ich beobachtet habe, wie der Pumuckel im Foodcourt eine Menükarte klaute und von seinem Meister Eder ausgeschimpft wurde? Vielleicht. Ob Kinderaugen geleuchtet haben, weil plötzlich Prinzessin Elsa und Super Mario vorbeigeschritten sind? Oder weil die Jüngsten selbst als Anya von SpyxFamily die Gegend unsicher gemacht haben? Sicherlich! Ob ich mich alt gefühlt habe, weil ich einige Cosplays nicht mehr treffsicher zuordnen konnte? Darüber möchte ich lieber schweigen.

Mein Fazit von vier Tagen Leipziger Buchmesse lautet jedenfalls: Nächstes Jahr wieder! Wir brauchen Begegnungsstätten wie diese, wo Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen, aber einer geteilten Leidenschaft für Bücher und Geschichten zusammenkommen, so dringend. Und wenn man eh im Getümmel der großen Glashalle nebeneinander steht mit Kaffee, Pommes und Buch in der Hand und vielleicht auch einer bunten Perücke auf dem Kopf, dann kann man auch mal wagen, miteinander ins Gespräch zu kommen.

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