„Ich bin Sklavin und gleichzeitig Sklaventreiberin“

Katarina Ganslandt ist Übersetzerin aus Leidenschaft. Zu ihren bekanntesten Arbeiten gehören Romane wie „Nur noch ein einziges Mal“ (2017) oder „Verity“ (2020) von der US-Bestsellerautorin Colleen Hoover. Ich habe sie und ihren Hund Elmo auf ein Stück Kuchen in ihrer gemütlichen Berliner Wohnung getroffen, um mit ihr über das Leben als Übersetzerin zu sprechen.

Interview: Gina Naumann

© privat

Wusstest du schon immer, dass du als Übersetzerin tätig sein möchtest?

Ja, ich glaube schon. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, hatte ich einen besten Freund, den Olek. Wir hatten eine geheime Bande und auch unsere eigene Geheimsprache. Wir haben „Mama“ von Heintje in diese Sprache übersetzt. Das ist sowas, wo ich mir erst hinterher dachte: irgendwie verrückt. Dass ich in dem Alter schon die Idee hatte, dieses Lied zu übersetzen. Ich weiß auch nicht, woher das kam. Meine Eltern haben immer auf Französisch miteinander gesprochen, wenn wir etwas nicht verstehen sollten. Dadurch waren Fremdsprachen vielleicht auch immer etwas, was interessant oder mir präsent war. Wir hatten außerdem unheimlich viele Bücher zu Hause und ich habe viel gelesen, echt so ein Buch pro Tag. Das war vielleicht ein Grund.

Wie sah dein Werdegang aus?

In der Schule war ich super schlecht. Ich musste jedes Jahr in Mathe die Nachprüfung machen, um überhaupt in die nächste Klasse zu kommen. In Englisch hatte ich sogar zeitweise Nachhilfe, weil ich ziemlich faul war. Dann bin ich vom Gymnasium geflogen und auf die Realschule gekommen. Ich war auch ein Punk und habe angefangen zu kiffen. Das erzähle ich, weil ich denke, dass diese schwierige Kindheit auch wichtig für das Übersetzen war. Weil es mir hilft, die Gefühle der Leute in Büchern zu verstehen.

Ich wusste nicht richtig, was ich machen sollte, und bin auf eine Akademie gegangen, wo man erst Fremdsprachenkorrespondentin und dann Übersetzerin werden konnte. Mir war sofort klar, dass ich Literatur übersetzen möchte. Danach hatte ich über eine Freundin, die ein Buch übersetzt hat, die Chance, das mit der zusammen zu machen. Da war für mich klar, dass ich das unbedingt machen möchte. Weil es ein tolles Gefühl ist. Eben dieses Detektivische, dieses Rausbekommen und Erkennen von Sachen.

Und eine Szene sprachlich lebendig zu gestalten. Der Verlag hat daraufhin gefragt, ob ich an einem anderen Buch für sie arbeiten möchte, und danach ging es Schlag auf Schlag so weiter. Anschließend habe ich über eine Bekannte angefangen, für Ravensburger zu übersetzen.

Gibt es deiner Meinung nach Fähigkeiten, die fürs Übersetzen obligatorisch sind?

Neugier und diese detektivische Ader sind unglaublich wichtig. Fantasie wahrscheinlich auch. Einfühlungsvermögen oder auch die Lust an Vorstellung. Die fremde, aber vor allem auch die eigene Sprache total gut zu beherrschen. Die Fähigkeit, allein arbeiten zu können. Und Selbstdisziplin! Du verdienst nur dann Geld oder kommst weiter mit deiner Arbeit, wenn du Seiten in den Computer tippst. Die Zeit, in der du grübelst, wird nicht bezahlt. Nur du kannst dich antreiben. Ganz oft habe ich das Gefühl, ich bin Sklavin und gleichzeitig Sklaventreiberin. In anderen Jobs ist es häufig so, dass du Kundschaft hast oder jemand ruft an, du musst auf irgendwas reagieren. Als Übersetzer:in bist du die ganze Zeit allein mit diesem sehr langen Text und musst dich da durchkämpfen. Ich mache verschiedene Durchgänge, die am Anfang zäh sind. Du brauchst daher die Liebe zu dem, was du tust, um dranzubleiben. Und eine große Frustrationstoleranz, weil es ganz oft Momente gibt, in denen man das Gefühl hat, es nicht hinzukriegen. Es nie zu schaffen, daraus einen flüssigen Text zu machen. Das bringt aber die Erfahrung.

Wie lange brauchst du in der Regel für ein Buch?

Also es ist so, dass ich ein Buch erstmal total roh übersetze. Wirklich so, dass wenn du es lesen würdest, du denken würdest ‒ die kann weder Englisch noch Deutsch. Dann kommt der zweite Durchgang (auch mit dem Original), wo ich nochmal Wort für Wort übersetze. Da habe ich aber die grobe Arbeit schon gemacht und vor allem das ganze Buch schon im Kopf. Ich weiß, was da passiert, kenne die Orte und die Gefühle. Dadurch finde ich ganz oft schon Lösungen, die sich sozusagen auf magische Art in meinem Gehirn gebildet haben. Und dann mache ich einen dritten Durchgang. Den mache ich oft ohne das Original, um ein bisschen von dem wegzukommen, was da steht, weil man manchmal Sachen wirklich umformulieren muss, damit sie authentisch klingen. Dann mache ich nochmal einen Durchgang, bei dem ich mit dem Original vergleiche.

Ich schreibe jeden Tag auf, wie viele Seiten ich geschafft habe. Und am Schluss teile ich die Seiten von dem Buch durch die Tage, an denen ich gearbeitet habe. Dabei kommen ungefähr sechs Seiten raus.

Was gefällt dir am Übersetzen?

Eine Frage, die man als Übersetzerin ganz oft gestellt bekommt, ist: „Warum schreibst du eigentlich kein eigenes Buch?“

Ich habe leider keine Geschichten in mir, von denen ich denke, die Welt braucht sie. Aber ich glaube, ich kann eine Geschichte so von Sprache zu Sprache transferieren, dass sie sich spannend liest und da eine Dynamik erhalten bleibt. Das ist das, was mir total Spaß macht. Ein Buch in die ideale Form zu bringen. Ich glaube, das ist mein Hauptantrieb. Ich möchte, dass die Leute, die das Buch lesen, es gerne lesen und dass sie darin versinken können. Ich versuche den Autor:innen so treu zu sein, wie es nur geht. Aber eigentlich bin ich vor allem auch den Lesenden treu.

Hat der Beruf auch Schattenseiten?

Man verdient nicht viel. Durch Colleen Hoover verdiene ich jetzt zum ersten Mal ziemlich gut. Es ist ein unglaubliches Glück, dass ich sie habe. Es ist kein Lottogewinn, aber wenn meine Waschmaschine kaputt geht, kann ich mir eine neue kaufen, das ist sehr viel wert. Dadurch muss ich seit drei Jahren tatsächlich nicht mehr von einem Honorar zum anderen leben. Davor war es wirklich so, dass, wenn ich mich dem Ende eines Buchs genähert habe, auch mein Geld fast am Ende war. Bei Notfällen musste mir oft meine Mutter unter die Arme greifen. Das war Jahrzehnte lang mein Leben und es ist auch die Realität von den allermeisten Übersetzer:innen.

Die zweite Schattenseite ist, dass es schwierig ist, diesen Beruf mit Kindern zu machen. Ich sehe das bei Kolleginnen. Das ist ein unglaublicher Kraftakt, weil du immer das Gefühl haben wirst, du wirst weder dem Job noch dem Kind gerecht. Auch meine Beziehungen haben darunter gelitten, dass ich das halt auch so ernst nehme und so einen hohen Anspruch an mich selbst habe. Es ist kein Job, bei dem du sagst: „Ich arbeite jetzt schon so viele Stunden und danach habe ich meine Freizeit.“ Das ist in deinem Kopf drin. Du denkst die ganze Zeit darüber nach. Das klingt jetzt alles sehr dramatisch, oder?

Etwas, aber du liebst deinen Beruf ja trotzdem, richtig?

Ich liebe den Beruf über alles. Aber ich glaube, das ist der Punkt. Wenn du ihn nicht über alles liebst, kannst du ihn nicht machen.

Colleen Hoovers Bücher sind besonders durch „BookTok“ momentan in aller Munde. Dein Name wird in diesem Zusammenhang jedoch selten erwähnt. Wie fühlt sich das für dich an?

Das ist manchmal bitter. Von den 28 Jahren, in denen ich übersetze, habe ich bestimmt 20 Jahre schon darunter gelitten. Ich gebe so viel, ich überarbeite die Texte so oft, um die wirklich lustig und das Leseerlebnis so schön wie möglich zu machen. Und mein Anteil wird kaum wahrgenommen. Ich glaube, uns würde es allen viel besser gehen, wenn man uns mehr sehen würde. Das wollen die Leute aber nicht. Sie möchten die originalen Autor:innen lesen und nicht noch jemanden dazwischengeschaltet bekommen, den sie sich gar nicht ausgesucht haben.

Auf der anderen Seite ist es aber auch was Schönes, ein bisschen im Hintergrund arbeiten zu können. Ich habe mich bei „Harry Potter“ zum Beispiel immer gefragt, wie hart es sein muss, das zu übersetzen. Die Leute lesen das ja auch auf Englisch, können permanent gegenchecken und sagen: „Ja, aber das hätte man doch viel besser machen können!“ Also insofern ist es auch ein Vorteil, unsichtbar zu sein.

Hat sich die Situation von Übersetzer:innen im Vergleich zu früher verbessert?

Ganz früher standen Übersetzer:innen nirgendwo. Inzwischen steht man immerhin auf der ersten Seite, gelegentlich mit Vita im Klappentext. Bei manchen Verlagen stehen die Übersetzer:innen sogar schon vorne drauf. Ich habe das Gefühl, dass Übersetzer:innen auch unheimlich viel dafür tun. Zum Beispiel kommunizieren viele auch in den Sozialen Medien mit den Lesenden und machen darauf aufmerksam. Das schärft das Bewusstsein dafür, dass es uns gibt. Und es gibt ja auch den Hashtag „#namethetranslator“, den benutzen inzwischen auch total viele. Es ist eine kleine Menge, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass sie auch zu einer kritischen Masse wird.

Früher hast du – wenn überhaupt – auch nur Tantiemen ab ungefähr 30.000 verkauften Exemplaren bekommen. Diese Spanne war praktisch kaum zu erreichen. Da brauchte es schon einen echten Bestseller. Der Verband der Übersetzer:innen hat für die Bezahlung und die gerechte Anerkennung der Arbeit der Übersetzer:innen gekämpft. 2014 hat er mit einer kleinen Gruppe von Verlagen eine gemeinsame Vergütungsregel ausgehandelt und sich auf eine angemessene Vergütung geeinigt. Seitdem bekommen Übersetzer:innen bei einigen Verlagen schon ab ca. 5000 – 7000 Exemplaren eine Beteiligung.

Was hältst du von der Forderung, dass Übersetzer:innen auf dem Cover stehen sollen?

Natürlich wünsche ich mir, dass meine Arbeit gesehen wird. Aber ich glaube, noch entscheidender ist es, ins Bewusstsein der Lesenden zu rücken, wie prekär Übersetzer:innen leben und was für einen Wahnsinnsdruck es auf ihr Leben ausübt, weder gesehen zu werden noch finanziell sicher leben zu können. Wenn beide Punkte nicht erfüllt werden, ist das hart. Damit musst du klarkommen können. Ich merke jetzt, nachdem eine dieser Schwierigkeiten für mich (zumindest vorübergehend) weggefallen ist, nämlich diese finanzielle Unsicherheit, wie schlimm das wirklich ist.

Könnte darüber hinaus noch etwas für die Sichtbarkeit von Übersetzer:innen verändert werden?

Am allermeisten würde es echt bringen, dass immer dann, wenn Leute über Bücher reden, auch die Übersetzer:innen genannt werden. Das muss man einfach immer wieder einhämmern. Es ist letztendlich wie bei gendergerechter Sprache. Je öfter etwas wiederholt wird, desto normaler wird es dann auch. Aber so ein richtig tolles Patentrezept fällt mir nicht ein.

1 Kommentar zu „„Ich bin Sklavin und gleichzeitig Sklaventreiberin““

  1. Liebe Gina und Katarina, danke für die Einsichten. Und eure wertvolle Arbeit. Es ist spannend, die Bücher auch einmal aus Sicht der Übersetzung zu betrachten -- ein Feld, das meines Erachtens immer viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Herzlich, Noëmi

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