Elias Canetti, Max Frisch, Elfriede Jelinek, Peter Esterházy, Karen Duve oder Zsuzsa Bánk sind nur einige der über 1000 Autoren, die die Fotografin Renate von Mangoldt seit der Gründung des Literarischen Colloquiums portraitierte. Ihre Schwarz-Weiß-Bilder prägen unser literarisches Gedächtnis auf visueller Ebene. Per E-Mail beantwortet Renate von Mangoldt Fragen zu ihrer Arbeit am LCB, der Beziehung von Autor, Text und Bild sowie zu ihrem demnächst erscheinenden Buch.
litaffin: Seit 1963 sind Sie nun schon als Fotografin am Literarischen Colloquium in Berlin tätig. Welche besonderen Reize und Schwierigkeiten birgt die Arbeit mit Autoren am LCB?
Renate von Mangoldt: Für mich ist das LCB meine Heimat. 36 Jahre war ich fest angestellt, habe mich dort bewegt wie ein Fisch im Wasser, habe die Veranstaltungen dokumentiert, die eingeladenen Autoren abgelichtet und mich in der literarischen Umgebung am richtigen Ort gefühlt, weitgehend frei verantwortlich.
Schwierig waren für mich einzig die vielen Abendveranstaltungen, an denen ich, nach der täglichen Arbeit in der Dunkelkammer, im Hause blieb, und unter nicht sehr attraktiven Bedingungen (das Podium mit den Mikros, der immer gleiche Hintergrund, das Licht!) versuchte, ein paar gute Fotos zu machen. Chancen allerdings gab es dabei auch, denn die Gesprächsteilnehmer sind auf das Gespräch konzentriert, die Gestik und der Gesichtsausdruck reagieren spontan. Ohne Pose, dafür aber mit einer interessanten ‚Grimasse‘.
Schön war auch mein Empfinden, dass sich niemand an meiner fotografischen Präsenz störte, alle wussten, wer ich bin und nahmen meine leisen Bewegungen und das Klicken der Kamera hin. Es gehörte dazu!
Dass die Schriftsteller und Schriftstellerinnen auch noch ohne mein Zutun ins LCB kamen, war pure Erleichterung. Und dass sie als Stipendiaten und als Hausgäste auch für länger anwesend waren, hat einige Freundschaften ermöglicht und die Verbundenheit mit allen Autoren gefördert. Viele kamen des Öfteren. So konnte ich über die Jahre Autorinnen und Autoren in ihren verschiedenen Lebensaltern fotografisch festhalten, als Zeugnisse der vergehenden und der vergangenen Zeit. Beim Betrachten der Fotos findet man die verlorene Zeit wieder, das berührt mich immer wieder an meinem Beruf.
litaffin: Wie beeinflusst sind Sie in Ihrer Arbeit vom Werk der portraitierten Autoren? Informieren Sie sich vor den Fototerminen über deren Texte oder versuchen Sie, möglichst unvoreingenommen in die Begegnung mit dem Menschen (statt in erster Linie mit dem Schriftsteller) zu gehen?
von Mangoldt: Ich bin eine leidenschaftliche Leserin. So habe ich viele Bücher der Autoren, die ich fotografiere, gelesen. Aber doch eher unabhängig von meiner fotografischen Arbeit.
Unbeeinflusst vom Werk (aber jedes gelesene Buch hinterlässt einen Eindruck!) versuche ich, ein gutes Foto zu machen, auf dem der Autor, die Persönlichkeit, der Mensch in einer spezifischen Weise zu erkennen ist. Aussagekräftig soll das Foto sein, das ich mir wünsche. Und wenn einer inszeniert, so soll es der Autor sein, der es tut. Ich handle lieber spontan und unvorbereitet, das Reagieren liegt mir näher als eine feste Vorstellung.
Nie habe ich also als Vorbereitung auf einen Fototermin ein Buch gelesen, entweder ich kannte Werke des Autors oder ich las sie nach der Begegnung, weil ich durch den Menschen neugierig geworden war.
In den letzten Jahren bin ich allerdings mit den Büchern meiner fotografierten Autoren nicht mehr mitgekommen. Und habe mein ‚Wissen‘ aus den vielen Lesungen bezogen, zu denen ich immer noch gern gehe (jetzt ohne zu fotografieren), weil mich die Literatur (und die Menschen, die sie schreiben!) interessieren.
litaffin: Immer häufiger beobachtet man, dass die Figur des Autors in den Marketingstrategien der Verlage in den Mittelpunkt rückt. Visuelle Eindrücke spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Helmut Böttiger sagte einmal über eines Ihrer Bilder von Judith Hermann, es sei „der Schlüssel zu allem, was […] folgen sollte“, es „machte Judith Hermann sofort zu einer Ikone der Popkultur“. Ist die betriebliche Inszenierung der Schriftsteller ein Aspekt, über den Sie sich beim Fotografieren Gedanken machen?
von Mangoldt: Ich mache mir darüber so gut wie keine Gedanken. Die Gedanken machen sich die Verlage, oder eventuell die Autoren selbst! Das fängt ja schon mit der Kleidung an, die nicht ich auswähle, und kann sich in einer Haltung ausdrücken, die nicht ich vorschlage. Ich suche das rechte Licht und bestimme die Sekunde, das Format und den Ausschnitt, der wegen des Hintergrundes sehr wichtig ist. Wenn Zeit ist, stelle ich immer eine Serie von Fotografien her, um möglichst viele Facetten einzufangen. Die Verlage oder die Autoren suchen sich dann das Foto aus, das zu ihren ‚Strategien‘ passt.
Auch das Foto mit Judith Hermann ist ganz unpretentiös entstanden. Sie kam an einem hellen Wintermorgen so wunderschön ins LCB und ich habe sie so wiedergeben wollen. Wie sie war! Und bei den vielen Fotos, die ich auf Veranstaltungen machte, spielen betriebliche Aspekte sowieso keine Rolle.
litaffin: Neben den klassischen Portraits fotografieren Sie seit über 40 Jahren viele der Autoren auf Stühlen sitzend. Welche Idee steht hinter diesen Aufnahmen?
von Mangoldt: Die Idee der Stuhlfotos entwickelte sich aus dem Projekt der Reihe ‚LCB-Editionen‘, in der im Laufe der Jahre 100 Bücher herauskamen. Wir suchten ein Titel-Signet, und es war klar, dass es, mit einer Fotografin am Ort, ein Foto sein sollte. Statt des üblichen Porträts schlug ich die ganze Figur als Abbildung vor, diese erschien uns (Walter Höllerer, dem Grafiker Christian Chruxin und mir) dann aber als zu lang, sodass sich ein Stuhl anbot, auf dem Autoren und Autorinnen im geeigneteren Format Platz nehmen konnten.
Der Autor/die Autorin auf dem Stuhl gab unserer neuen Reihe einen ins Auge fallenden Titel! Und mir als Fotografin die Möglichkeit, in einem einzigen Foto so viel mehr von einer Person zu zeigen als normalerweise: Ihre Körpersprache kommt zum Ausdruck, denn Sitzen erfordert immer eine Art Inszenierug. Die Haltung, die Gestik, die Statur charakterisieren den Menschen. Seiner Kleidung, selbst den Schuhen kommt Bedeutung zu. Der Stuhl sollte, wenn möglich, von den sich Setzenden selbst ausgesucht werden. Es war eine gute Idee! So gut, dass ich viel mehr Autoren auf Stühlen fotografiert habe als für die Titel der LCB-Editionen nötig waren. Leider habe ich in den 90er Jahren damit aufgehört, will aber jetzt, auch für ein folgendes Buch, damit wieder anfangen.
litaffin: Sie werden demnächst ein Buch mit den von Ihnen aufgenommenen Autorenportraits veröffentlichen. Möchten Sie abschließend etwas mehr über dieses Projekt erzählen?
von Mangoldt: Vor ein paar Jahren fragte mich ein Freund, der Lyriker Dieter M. Gräf, ob ich denn nicht daran dächte, ein Buch mit allen meinen Schriftstellerporträts zu veröffentlichen. Das würde sich doch zu meinem 70. Geburtstag (im Jahre 2010) geradezu anbieten. Ich hatte noch nicht daran gedacht, aber schnell war ich Feuer und Flamme und fragte ihn, ob er mir bei der Auswahl der Fotos helfen wolle.
Es war mir klar, dass 50 Jahre Fotografien von über 1000 Autoren und Autorinnen nicht leicht in ein Buch zu fädeln waren. Wir entschlossen uns zur Chronologie und für die Einteilung in Dekaden.
Wir erarbeiteten nicht nur die Auswahl der Fotos sondern auch die Zusammenstellung der Seiten. Meinen Fotos, finde ich, bekommt es gut, wenn sie korrespondieren können, ein Pendant haben. Und meinen Fotos, finde ich, ist es gut bekommen, dass ein ‚fremder‘ Blick, der Blick eines Dichters, auf sie geworfen wurde.
Es ist ein sehr buntes Kaleidoskop geworden, ein Bild der Jahre, der Jahrzehnte, von den 60ern bis eben heute. Porträts, Schnappschüsse, Gruppenaufnahmen, Gruppe 47, Veranstaltungsfotos, die Autoren international. Die Berühmten sollten möglichst alle dabei sein, die Unbekannteren müssen sich mit einem interessanten Foto ausweisen.
Bis auf die letzte Dekade, die noch am Wachsen ist, weil sich die Veröffentlichung nun doch verzögert hat, ist das Buch fertig. Ein ziemlicher Brocken. Der Steidl Verlag will ihn im nächsten Jahr veröffentlichen.
Die Fragen stellte Sarah Ehrhardt.
Foto oben (Renate von Mangoldt, 2008): © Anna Grass
Foto Mitte (Michel Houellebecq mit Hund Clément): © Renate von Mangoldt
- „The future of reading is not reading.“
Litflow. Für die nächste Literatur. - 1. Oktober 2012 - Literatur im Radio:
„Literatur und Dunkelheit“ - 23. Dezember 2011 - Fotografische Chronologie der Literatur:
Renate von Mangoldt im Interview - 9. September 2011
Der Bericht macht Lust auf das Buch!
Allerdings!